M. Schaer: Roland Donzé 1921 – 2011

Cover
Titel
Nachdenken, Forschen, Schreiben. Ein Professorenleben vor Bologna. Roland Donzé 1921 – 2011


Autor(en)
Schaer, Michel
Erschienen
Bern 2014: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marianne Derron Corbellari

Mit dem Buch über Roland Donzé bringt Michel Schaer seinem Hochschullehrer eine posthume Würdigung dar. Der Werdegang des Berner Romanistikprofessors steht exemplarisch für eine universitäre Epoche, der nicht erst die Bologna-Reform ein Ende setzte. Die strikt chronologisch aufgebaute Monografie enthüllt vor allem im ersten Buchteil, wie interessant Donzé als Zeitzeuge ist: Wie sich ein bernjurassischer, frankofoner Jüngling aus bescheidenen Verhältnissen hochgearbeitet hat, nötigt Respekt ab. Die Familiengeschichte Donzés zeigt eindrücklich, wie hart die Vorfahren arbeiten mussten, um den folgenden Generationen den ökonomischen und gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen. Dass sich diese Geschichte im Schnittfeld verschiedener sozialer Schichten (reiche Bauern vs. Heimatlose, Landwirte vs. Proletariat) und auf der Sprachgrenze abspielt, macht die drei ersten Kapitel umso anregender. Der Fall Donzé illustriert, dass der Aufstieg unter prekären Umständen u.a. dank den guten öffentlichen Bildungsinstitutionen der Schweiz möglich wurde.

«1964 wurde Roland Donzé ordentlicher Professor für französische Philologie; 1986 gab er das Amt mit Erreichung der Altersgrenze ab. Er hat während dieser Zeit keine einzige Zeile publiziert. Unangefochtener Star der Alma Mater bernensis, was Brillanz, Intelligenz, Breite des Horizonts, Humor, Lehr- und Redebegabung angeht, verzichtete er, einmal installiert, darauf, seinen Namen durch die Veröffentlichung wissenschaftlicher Texte zu vergrössern, zu sichern, zu verewigen» (S. 81).

Ein universitäres Paradies? Donzé hatte Glück: Der Lehrsatz «publish or perish» hatte für ihn noch keine Gültigkeit. Angebote nach Zürich, Basel, Heidelberg, ja sogar Berkeley durfte er noch getrost ausschlagen, weil sie unweigerlich zur Festigung seiner Stellung an der Heimatuniversität führten. Internationaler Wettbewerb sowie kontinuierliche kritische Überprüfung von Forschungsarbeiten waren Dinge, die einem Lehrstuhlinhaber nicht zu viel Kopfzerbrechen bereiteten. Für den Wandel seither ist aber nicht Bologna verantwortlich, sondern der Zwang digitaler Vernetzung, die erhöhte Mobilität nicht nur der Studenten, sondern des wissenschaftlichen Personals überhaupt und die ungleich grössere Konkurrenz. Donzé war so privilegiert, dass er 50 Prozent seiner Arbeitszeit nur der Lektüre widmen konnte, und zwar nicht der Fachliteratur, sondern «schlicht [dem] Lesen von Literatur» (S. 84). Angesichts der radikalen Veränderungen in der universitären Welt seither schwankt der Leser bei der Schilderung dieses Professorenlebens zwischen Nostalgie und Erleichterung.

Wer in Bern Literatur studiert hat, wird in Schaers Buch einiges Amüsantes finden über ehemalige Professoren, die man noch von ihren Forschungen kennt (Walther Killy, Pierre-Olivier Walzer usw.). Schaers Buch demontiert ein Vorurteil: Auch ohne internationale Konkurrenz oder Publikationszwang war der universitäre Mikrokosmos Berns der 1960 er- und 1970 er-Jahre keineswegs eine heile Welt. Dieselben Affekte (Neid, Frustration, Rivalität, Geltungssucht) traten ebenso unvermindert zutage wie nach den Bologna-Reformen. So endeten offenbar einige Professorenleben in Verbitterung und Einsamkeit – auch Donzé war davor nicht ganz gefeit. Er versuchte sich zum Beispiel immer wieder als Schriftsteller, hatte aber trotz seinem universitären Status grösste Mühe, für seine Romane Verleger zu finden.

Amüsiert oder besorgt schmunzelt man, wenn Schaer den Germanisten Killy zitiert: Die Professoren «sind oft zu masslos beanspruchten Managern geworden […] Von äusserer Musse kann nicht mehr die Rede sein, bei ihnen so wenig wie bei ihren Studenten» (S. 104). Oder Werner Säuberli: «Alle wollen höher hinaus. Der Kindergarten will Primarschule werden und bringt den Kindern Lesen und Schreiben bei. Die Primarschule will Sekundarschule werden und stellt Fachlehrer anstelle von Generalisten an. Die Sekundarschule will Gymnasium werden und gibt Lateinunterricht. Das Gymnasium will Universität werden und verlangt wissenschaftliche Projektarbeiten. Und die Universität […] die wird zum Kindergarten.» (S. 130)

Die Biografie zeigt weiter, wie ungeheuer männerbeherrscht der Wissenschaftsbetrieb vor nicht allzu langer Zeit noch war. Für Wissenschaftler-Gattinnen verblieb immerhin das kulturelle Rahmenprogramm. Dennoch verzichtete die bejahrte Anne Donzé der Gesundheit ihres Mannes zuliebe darauf: «Wissen Sie, für meinen Liebling ist mir nichts zu viel. […] Er ist ein so ausserordentlicher Mensch, dass man nicht nein sagen darf, wenn er einen braucht» (S. 142). Diese Aussage enthüllt zugleich die grosse Schwäche des Buches: Das Unternehmen hat einen deutlich hagiografischen Anstrich und Anspruch. Die zahlreichen Anekdoten aus Donzés Berufs- und Privatleben sprechen die Leserschaft, die weder die Personen noch die Situationen miterlebt hat, nicht unbedingt an. Dabei wirkt manches sogar unbedarft: Wie ein Ehepaar (ein hochkultivierter, aber schüchterner Professor und seine ihm bildungsmässig weit unterlegene Frau) miteinander umgehen, wirkt nicht rührend, sondern eher peinlich. Die zu grosse emotionale Nähe zwischen Schaer und Donzé führt den Autor zu Fehleinschätzungen, die sich bei einer Gelegenheit besonders pointiert äussern: Schaer lädt zwei befreundete Deutsche ein, um ihnen den «Wundermann» Donzé (S. 157) vorzustellen. Nach dem Gespräch zu viert ist er enttäuscht, weil seine Freunde sich relativ unbeeindruckt zeigen. Seine Bekannten hätten vermutlich mehr «brillante Intellektualität» (ebd.) erwartet, während das französische Konversationsideal von Donzé Zurückhaltung geheischt habe. Damit liegt Schaer sicherlich falsch. Donzé nämlich kannte Madame de Staël: «Un Français sait encore parler lors même qu’il n’a point d’idées; un Allemand en a toujours dans sa tête un peu plus qu’il n’en saurait exprimer.» (De l’Allemagne, 1. Teil, 9. Kap.)

Zitierweise:
Marianne Derron: Rezension zu: Schaer, Michel: Nachdenken, Forschen, Schreiben. Ein Professorenleben vor Bologna. Roland Donzé 1921 – 2011. Bern: Stämpfli Verlag 2014. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 128-130.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 128-130.

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