U. Altermatt u.a.: Die zweisprachige Universität Freiburg

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Titel
Die zweisprachige Universität Freiburg. Geschichte, Konzepte und Umsetzung der Zweisprachigkeit 1889–2006


Autor(en)
Altermatt, Urs; Späti, Christina
Reihe
Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz 51
Erschienen
Freiburg 2009: Academy Press
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Josef Inauen, Universität Freiburg i.Ue.

Im Wissenschaftsmagazin «UNIVERSITAS», März 2010, Seite 49, antwortete Urs Altermatt auf die Frage, welches Merkmal der Universität Freiburg er persönlich als herausragendes Kennzeichen in Erinnerung behalten werde: «Ich kam ja von der Uni Bern her nach Freiburg. Was mir besonders aufgefallen ist – und dies noch immer tut – ist die Multikulturalität der Universität Freiburg. Hier lernt zum Beispiel der Deutschschweizer Student, sich in einer anderssprachigen Stadt- und zum Teil Universitätskultur zu bewegen. Dieses multikulturelle Flair hat mir immer gefallen.» Wie schon in seinem ebenfalls hier besprochenen Buch zur Suche der Universität Freiburg nach Identität deutlich wird, ist die Zweisprachigkeit stets ein besonderes Merkmal der Alma Mater Friburgensis gewesen, wenn auch in verschiedenen Ausformungen und mit unterschiedlichem Gewicht. Es ist daher sehr zu begrüssen, dass er und Christina Späti ihr ein eigenes Buch widmen.

Der Autor Urs Altermatt, seit 1986 Schriftleiter dieser Zeitschrift, hat sich als Historiker oft mit Sprachen und Sprachpolitik befasst und verstärkte als Rektor von 2003 bis 2007 das Mehrsprachigkeitsprofil der Universität. Aber auch die Mitautorin, Dr. Christina Späti, ist an unserer Universität bekannt; sie war seine Schülerin und beschäftigt sich schon seit Langem mit Zwei- und Mehrsprachigkeit, hat an entsprechenden Projekten mitgearbeitet und ist seit 2006 Co-Leiterin des SNF-Forschungsprojektes «Sprache und Identitätspolitik». Sie wirkt als Lektorin für Zeitgeschichte am Departement für Historische Wissenschaften an der Universität Freiburg.

Wie Autorin und Autor im Vorwort präzisieren, konnte die Universität Freiburg im Unterschied zu anderen Universitäten – Löwen oder Prag – «ihre Zweisprachigkeit seit ihrer Gründung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erhalten und sogar ausbauen. Im europäischen Vergleich bildet diese lange Kontinuität einen Spezialfall.» Sie zeigen aber auf, dass es zwischen den verglichenen Universitäten in der konkreten Umsetzung der Mehrsprachigkeit erhebliche Unterschiede gibt. Dieser internationale Blickwinkel macht eine wichtige und ins Auge fallende Stärke des Buches aus, in welchem sie die Zweisprachigkeit der Universität Freiburg über mehr als hundert Jahre hinweg beschreiben. Sie füllen damit eine Lücke; denn die Universitätsgeschichte von 1991 und der Band zur Suche der Universität Freiburg nach Identität behandeln die Zweisprachigkeit nur relativ kurz.

Wie sie in der Einführung präzisieren, gehen die Autoren von der Mehrdimensionalität der Sprache – Element der individuellen und kollektiven Identität einerseits und Kommunikationsmittel andererseits – aus. Da Sprache und Sprachkenntnisse heute zunehmend als «wichtige ökonomische Ressource» angesehen werden, gewinnt die individuelle Zwei- und Mehrsprachigkeit und damit das entsprechende Angebot der Universität Freiburg an Bedeutung. Dass sich dieser Wandel vor dem Hintergrund der schweizerischen Sprachpolitik und jener der Europäischen Union vollzog und vollzieht, zeigen die Verfasser klar auf. Lange Zeit galt die Schweiz als ein Modell für das friedliche Zusammenleben verschiedener Sprachgruppen, in den letzten 30/40 Jahren entwickelten sich aber auch hier den Sprachgrenzen entlang Diskussionen und Konflikte, was auf Bundes- und zum Teil Kantonsebene eine dichtere verfassungs- und gesetzmässige Fixierung zur Folge hatte. Sie geben einen Überblick über die Bedeutung der Mehrsprachigkeit für die Universität Freiburg, wobei die Mehrsprachigkeit nicht eigentlicher Gründungszweck, sondern «nur» die Voraussetzung dafür war, als erste und einzige katholische Universität der Schweiz Studierende aus allen Sprachregionen anzusprechen. Natürlich ist das Besondere auch, dass die Universität auf der Sprachgrenze liegt, allerdings verstand sich Freiburg zur Zeit der Universitätsgründung vorab als Kanton der Romandie; Deutschfreiburg musste noch lange um Einfluss und Gleichberechtigung kämpfen. Dass das starke Gewicht der deutschen Sprache an der Universität dabei unterstützend wirkte, war Chance und Konfliktstoff zugleich.

Allerdings stand zu Beginn und noch über Jahrzehnte nicht die individuelle Zweisprachigkeit im Vordergrund, sondern die institutionelle, also die Möglichkeit, ein Studium in deutscher oder französischer Sprache zu absolvieren. Dies bedingte eine parallele Führung der wichtigen Lehrstühle. Zweisprachigkeit war also «ein mehr oder weniger gleichberechtigtes Nebeneinander zweier einsprachiger Entitäten [...], eine Art von ‹paralleler Einsprachigkeit›» (13). Die individuelle Zweisprachigkeit wurde erst ab den 1980er-Jahren, als der katholische Charakter schon stark an Bedeutung verloren hatte, ein wichtiges Identitätsmerkmal der Universität; nun propagierte man das Studium in beiden Sprachen propagiert, mit entsprechenden Vermerken in den Diplomen. Allerdings, so stellen die Autoren fest, zieht auch jetzt noch eine Mehrheit der Studierenden das einsprachige Studium vor.

Die Diskurse über Mehrsprachigkeit und ihre Veränderungen im Laufe der letzten hundert Jahre werden im zweiten Kapitel behandelt, während einige zwei- und mehrsprachige Universitäten im dritten Kapitel miteinander verglichen werden. Die Autoren unterscheiden fünf Typen: (1) Nationbuilding und Herrschaftswandel: Prag und Czernowitz; (2) Universitäten in mehrsprachigen Nationalstaaten: Freiburg, Helsinki; (3) Zusammen hang mit der Sprachpolitik des Staates: Ottawa; (4) Auswirkungen von ethnisch-kulturellen Autonomiebewegungen: Spanien; (5) Zugpferde der europäischen Integrationsbewegung: Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, Cluj.

Im vierten Kapitel befassen sich die Autoren mit den wichtigsten Aspekten des Zusammenlebens der Sprachgruppen und der Entwicklung der schweizerischen Sprachpolitik und weisen auf die unterschiedlichen Auffassungen über Zweisprachigkeit in der Deutschschweiz mit den Dialekten als Umgangssprache und der französischen Schweiz hin, wobei sie uns die Ernüchterung, dass der Sprachfriede lange Zeit mehr auf Indifferenz und auf einem Neben- statt Miteinander beruhte, nicht ersparen können. Ganz ähnlich wie auf Bundesebene wurden an der Universität Freiburg Regeln, die sich mit der Zeit eingebürgert hatten, nicht schriftlich fixiert; erst die Statuten von 1986 und das Gesetz von 1997 taten dies.

Die historische Entwicklung der Zweisprachigkeit der Universität Freiburg zwischen 1889 und 2006 stellen die Verfasser im fünften Kapitel, dem Hauptteil des Buches, dar und teilen sie in vier Phasen ein: (1) die Jahre von der Gründung 1889 bis 1920: internationale Prägung, Sprachparallelismus, aber Sprachargument als Werbung für die neue Universität, Konflikte wie etwa die 1895 erfolgte Trennung der ersten Sektion des Schweizerischen Studentenvereins, Romania, die Kollektivdemission deutscher Professoren Ende 1897 und die sprachlichen Spannungen im Ersten Weltkrieg; (2) 1920 bis 1970: Betonung des Zusammenhangs zwischen sprachlicher und kultureller Zugehörigkeit, Bedeutung der Zweisprachigkeit der Universität als Ausdruck für eine Verbindung der Sprachgruppen, als «Brücke der Kulturen», im Ganzen aber relativ wenig Aufmerksamkeit für die Zweisprachigkeit, Katholizität als wichtigstes Merkmal; (3) ab 1970: Neuinterpretation der Zweisprachigkeit als eines Mittels für die Positionierung der Universität, Katholizität als identitätsstiftendes Merkmal der Universität verliert an Bedeutung, rasanter Anstieg der Studentenzahl, Zunahme des Anteils der Studierenden aus dem Kanton Freiburg («Freiburgisierung»), Abnahme des Anteils ausländischer Studierender; (4) ab den 1990er-Jahren: systematische Entwicklung der Zweisprachigkeit zum neuen Identitätsmerkmal, Kommission für Zweisprachigkeit, Aufbau von zweisprachigen Studiengängen, Förderung der individuellen Zweisprachigkeit. Die zunehmend grössere Rolle der englischen Sprache führt zu einer wachsenden Bedeutung der Mehr- oder mindestens Dreisprachigkeit (zwei Landessprachen und Englisch: «2+»).

Das – umfangreiche – Fazit der Autoren steht unter dem Titel «Von der institutionellen zur individuellen Zweisprachigkeit» und betont damit einen der wesentlichsten Aspekte des Wandels; es würdigt zusammenfassend den unterschiedlichen Stellenwert, den die drei Identitäten der Universität Freiburg – Katholizität, Internationalismus, Zweisprachigkeit – zu verschiedenen Zeiten eingenommen haben.

Was zeichnet dieses Buch aus? Besonders interessieren der wechselnde Stellenwert, den die Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit als Identitätsmerkmal erhielt, der jeweilige Zusammenhang der universitären Sprachpolitik mit der schweizerischen Sprachsituation und –politik sowie die Herausforderungen für die Hochschulen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Entwicklung der sprachlichen Situation an der Universität wird umfassend dargestellt und mit zahlreichen Tabellen und Grafiken unterlegt. Wegen der ausführlichen internationalen Vergleiche zwei- und mehrsprachiger Universitäten ist es für die Kenntnis der schweizerischen Sprach- und Universitätsgeschichte und der europäischen wichtig und unverzichtbar. Das Buch regt schweizerische und internationale Vergleiche sowie ähnliche Studien für andere Universitäten an und ist für neue Fragestellungen zum Stellenwert des Latein als Universitätssprache neben den Landessprachen etwa oder zum sprachpolitischen Verhältnis zwischen den autochthonen (Landes-)sprachen und den allochthonen Sprachen der Schweiz offen.

Auch für diesen Band gilt, dass die Titel sprechend sind, er leicht zu lesen ist und dass die Anmerkungen und Literaturangaben die Studie präzise und umfassend in der universitätsgeschichtlichen und sprachpolitischen Forschungslandschaft verorten. Das Buch leuchtet zwar die Geschichte aus, ist aber trotzdem hochaktuell; denn wir stehen mitten in einem laufenden Prozess; von der Schweiz, von Europa, ja vom globalen Markt und von der globalen Gesellschaft her werden weitere Anforderungen an die Sprachpolitik auf die Universität Freiburg/Fribourg zukommen.

Zitierweise:
Josef Inauen: Rezension zu: Urs Altermatt/Christina Späti, Die zweisprachige Universität Freiburg. Geschichte, Konzepte und Umsetzung der Zweisprachigkeit 1889–2006 (=Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz, Bd. 51), Freiburg, Academic Press Fribourg, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 509-512

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