J. Gross: Denkmalpflege in der Stadt Bern

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Titel
Denkmalpflege in der Stadt Bern. Vierjahresbericht 2005 – 2008


Herausgeber
Jean-Daniel, Gross
Erschienen
Bern 2009: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Martin Fröhlich

In der Regelmässigkeit von Legislaturperioden legt die Denkmalpflegestelle der Stadt Bern Rechenschaft über ihre Tätigkeit ab. Nun liegt der Vierjahresbericht 2005 – 2008 vor. Er präsentiert sich diesmal nicht als Sonderheft der Berner Zeitschrift für Geschichte, wie noch 2005 (Heft 2+3), sondern als eigenständige Publikation. Sie enthält neben dem Vorwort des Stadtpräsidenten und der Einleitung des neuen Denkmalpflegers der Stadt Bern, Jean-Daniel Gross, 67 Berichte über Restaurierungen dieser Jahre. 27 Berichte betreffen Objekte der Altstadt, 40 Berichte den Rest des Stadtgebiets. Die Bauten werden jeweils mit einigen Fotos vorgestellt. Ein kurzer Abschnitt erwähnt Inventare und Planungen. Im Anhang finden sich Register der Objekte und der Architektinnen und Architekten. Ganz am Anfang befinden sich planähnliche Orthofotos, die über den Standort der beschriebenen Objekte Auskunft geben. Der Bericht schliesst mit zahlreichen Farbfotos, die Arbeiten und die schön restaurierten Objekte zeigen. Die Berichtsjahre sind gekennzeichnet vom Wechsel in der Leitung der stadtbernischen Denkmalpflege von Bernhard Furrer zu Jean-Daniel Gross. Nach den 28 Dienstjahren des ersten Denkmalpflegers der Stadt Bern ist das eine markante Zäsur. Das reiche und umfangreiche Werk, gestaltet vom Grafikatelier der Hochschule der Künste Bern, kann auch als Abschiedsgeschenk an den Zurückgetretenen verstanden werden.

Beim Lesen zeigen sich zwei Problemkreise:
1. Wie wirkt sich die Arbeit an den geschilderten 67 Objekten auf die Erhaltung des ganzen Stadtkörpers aus? Die Berner Altstadt umfasst 1 020 überbaute Liegenschaften, die ganze Stadt Bern ungefähr 20 220. Davon sind rund die Hälfte (ungefähr 10 000) über dreissig Jahre alt und deshalb finanziell abgeschrieben. Darum sind sie veränderungs- oder abbruchgefährdet. «Erhalt und sorgfältige Weiterentwicklung dieser wertvollen Ressource [ist] ... – kurz gesagt – die Aufgabe der Denkmalpflege» (S. 5). Diese Arbeit leistet die Denkmalpflege mit einem Personalbestand von gesamthaft 400 %. Sie verfügt also über rund 7 200 Arbeitsstunden pro Jahr, kann damit rund 43 Minuten pro pflegebedürftiger, da veränderungs- oder abbruchgefährdeter Liegenschaft einsetzen. Dazu kommen noch die Aussenräume (Gassen und Plätze.) Offenbar hat sich die städtische Denkmalpflege auf die 67 im Bericht dargestellten Objekte konzentriert, ihnen also pro Jahr je rund 107 Arbeitsstunden (oder rund zweieinhalb Arbeitswochen) angedeihen lassen – dabei aber notgedrungen die anderen 9 933 pflegebedürftigen Liegenschaften vernachlässigen müssen – und sie dem Gutdünken der jeweiligen Bauträger überlassen. Natürlich ist dieses offensichtliche Ungenügen vor dem immensen Umfang des Auftrags, des «Erhalts und der sorgfältigen Weiterentwicklung dieser wertvollen Ressource» der Stadt Bern nicht der Denkmalpflegestelle anzulasten, da sie nicht über mehr Personal und Mittel verfügt. Dahinter steht ein politischer Wille, der die «wertvolle Ressource» als Vermögenswerte und nicht als Kulturgut betrachtet. Ein Hinweis auf diese Problematik fehlt leider. Die 67 Berichte loben häufig gute restauratorische und konservierende Massnahmen und tadeln gelegentlich Verhaltensweisen weniger kooperativer Partner: «Insgesamt verbinden sich die neuen architektonischen Elemente geschickt mit den baulichen Elementen ...» (S. 345). Aus der Sicht des Rezensenten ist es aber nicht Aufgabe der Denkmalpflege, die ästhetische Qualität der Arbeit ihrer Partner zu beurteilen, sondern darüber zu wachen, dass bei aktuellen Massnahmen das historische Gefüge der betreffenden Bauten nicht leidet.

2. Das Buch verfestigt den alten Irrtum, dass Baudenkmäler von der Denkmalpflege gepflegt werden. Die Baudenkmäler werden jedoch von den Fachleuten, den Architekten, den Restauratoren, Maurern, Zimmerleuten, Schreinern und Malern gepflegt. Diese Fachleute werden von den Bauherrschaften beauftragt, die (fast) das Ganze auch bezahlen – aber darüber informiert der Bericht nicht. Bauträger und Unternehmer werden in die Fussnoten verbannt. Die Architekten erhalten zwar eine eigene Liste, aber über die Höhe der finanziellen und arbeitszeitlichen Aufwendungen zugunsten von «Erhalt und sorgfältiger Weiterentwicklung dieser wertvollen Ressource» schweigt sich der Bericht aus. Im «Dank» oder im Vorwort des Stadtpräsidenten sucht man vergeblich eine Anerkennung für diese Investitionen. Ebenso fehlen Angaben über die Subventionen der öffentlichen Hand.

Es ist gut, dass die Denkmalpflegestelle der Stadt Bern periodisch in ihre Tätigkeit Einblick gibt. Aber im nächsten Vierjahresbericht sollte das doch leicht überhebliche Notenverteilen unterbleiben. Dafür sollten die Leistungen der Partner – und das sind nicht «nur» die Architekten und Restauratoren – mit der ihnen zustehenden Anerkennung aufscheinen.

Zitierweise:
Martin Fröhlich: Rezension zu: Gross, Jean-D. (Hrsg.): Denkmalpflege in der Stadt Bern. Vierjahresbericht 2005 – 2008. Bern: Stämpfli 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 4, Bern 2010, S. 49-51.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 4, Bern 2010, S. 49-51.

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