W. Zanier: Der spätlatènezeitliche und römerzeitliche Brandopferplatz

Titel
Der spätlatènezeitliche und römerzeitliche Brandopferplatz im Forggensee (Gde. Schwangau).


Autor(en)
Zanier, Werner; Van den Driesch, Angela; Küster, Hansjörg; Tegel, Willy
Reihe
Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 52
Erschienen
München 1999: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
202 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter-A. Schwarz

Ausgehend von den Untersuchungen am spätlatène /frühkaiserzeitlichen Opferplatz am rund 35 Kilometer entfernten Döttenbichel bei Oberammergau untersuchte die Kommission für Vergleichende Archäologie römischer Alpen- und Donauländer der bayerischen Akademie der Wissenschaften auf Betreiben von Joachim Werner im Jahr 1993 zu Vergleichszwecken den bereits seit 1977 bekannten Brandopferplatz im Forggensee (Gemeinde Schwangau, Landkreis Ostallgäu, Bayerisch-Schwaben). Die für die Erforschung des frühkaiserzeitlichen Raetiens wichtigen Ergebnisse werden vom Grabungsleiter, Werner Zanier, auf eine Art und Weise vorgestellt, die weit über eine reine Befund /Fundpublikation hinausgeht. Dazu tragen nicht zuletzt auch die zahlreichen und durchgehend sehr qualitätvollen Abbildungen bei.

Die ausführliche Vorlage und Diskussion der Befunde (S. 18–27) und Funde (S. 28–77 mit Katalog S. 167–193) resp. deren Verteilung (S. 78–89 mit den Kartierungen Abb. 13–28) bildet die Grundlage für eine ebenso umfassende wie ausgewogene kultur- und religionsgeschichtliche Auswertung der archäologischen Relikte (S. 106–144). Letztere stützt sich auch auf die in Form von Beiträgen vorgelegten Untersuchungsergebnisse der naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen zu den Tierknochen (A. van den Driesch, S. 153–158), zu den Pflanzenresten (H.J. Küster, S. 159–162) und zu den Holzkohlenresten (W. Tegel, S. 163f.).

Der Brandopferplatz liegt nördlich von Füssen auf einer kleinen Halbinsel, die sich heute im Bereich des Forggensee befindet, eines vom Lech gespiesenen Staussees im Allgäu (S. 11–13), der regelmässig abgesenkt wird. In Sichtweite des Brandopferplatzes kamen an insgesamt sieben weiteren, etwas höher gelegenen Fundstellen ebenfalls Metall , Keramik- und Glasobjekte sowie verbrannte und unverbrannte Tierknochen zum Vorschein (S. 95–105). Vier von ihnen lassen in den Zeitraum zwischen der frühen und der mittleren Kaiserzeit datieren (S. 105).

Die zwischen 1977 und 1998 geborgenen Funde aus dem Opferplatz im Forggensee stammen von drei «Stellen» (Beilage 1, S1, S2, S3). S1 umschreibt einen als Altar angesprochenen römerzeitlichen Rollsteinhügel (S. 20–24; Beilage 2), S2 den zentralen, aus Steinplatten gefügten «Altar» (S. 24–26; Beilage 3), S3 eine Konzentration von spätlatènezeitlichen Metallobjekten (S. 26f.). Bei Opferstelle S3 fanden sich ausserdem vier (nachrömische!) Hufeisen (S. 55f.), deren Vorkommen sich jedoch plausibel mit der Existenz eines alten Wegs erklären lässt.

Die Funde aus dem Bereich des gesamten Opferplatzes datieren in die Zeit zwischen dem 1. Jh. v.Chr. und der mittleren Kaiserzeit, beginnend mit einem Vertreter des ausführlich besprochenen Typs «Regenbogenschüsselchen» aus der Zeit um 100 v.Chr. (S. 28–32).

Auffällig ist, dass sich der — vergleichsweise spärliche und vielleicht mit der Verwendung von Behältnissen aus organischen Materialien erklärbare — keramische Fundniederschlag ausschliesslich auf die Kaiserzeit beschränkt: Neben einer latènezeitlichen Graphittonscherbe fanden sich acht Terra Sigillaten sowie Fragmente von sog. Auerbergkochtöpfen (S. 67–71).

Die synoptische Zusammenstellung der Fundobjekte nach Kategorien und Fundarealen auf Beilage 4 (im M 1:10) vermittelt einen hervorragenden Überblick über das Gesamtinventar. Unter den Schmuck- und Trachtbestandteilen (S. 34–43) dominieren mit 26 bzw. 14 Exemplaren spätlatènezeitliche Fibeln und Gürtelhaken, während Arm- und Fingerringe lediglich mit je drei Exemplaren vertreten sind. Küchen- und Hausgerät (S. 44–49) ist in Form von 9 Messern, einem Bratspiess, einer Fleischgabel, Resten von Metallgefässen, vier Schlüsseln, je einer Schere und einem Rasiermesser sowie einem Stilus vertreten. Waffen (S. 49–52) sind in Form von fünf Lanzenspitzen, verschiedenen Spitzen (Lanzenschuhen?), zwei Schwertscheideklammern, drei bandförmigen und einem runden Schildbuckel sowie einer Fussfessel(?) nachgewiesen. Des Weiteren fanden sich Pferdegeschirr- und Wagenbestandteile (S. 53–56), Werkzeuge und Geräte (S. 57–61) sowie Nägel und andere Bauelemente (S. 62–66).

Der zentrale Opferplatz (S2) im Forggensee bestand aus einem ca. 6×4 m grossen Substruktion aus Steinplatten (S. 24–27). Auf diesem «Altar» wurden im Laufe der Zeit offensichtlich die Schädel und Füsse von mindestens 227 jungen Schafen/Ziegen und 171 Rindern verbrannt (S. 73–78).

Nicht zuletzt Dank des Beizugs der naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen lässt sich der eigentliche Opferritus recht gut rekonstruieren (S. 121–124): Offensichtlich wurde die Opfertiere im Bereich des Altars geschlachtet und zerlegt. Anschliessend wurden ausgewählte Teile — i. e. Schädel und Füsse — auf einem Scheiterhaufen deponiert und verbrannt. Als Brennstoff dienten Hainbuchen, Eschen, Tannen und Fichten. Die neben dem Altar gefundenen, nicht verbrannten Tierknochen stammen mehrheitlich von fleischhaltigen Teilen (Schulter, Schenkel) und werden — unseres Erachtens plausibel — als Überreste von (spätlatènezeitlichen) Kultmahlzeiten angesprochen. Um den zentralen Scheiterhaufen ist ausserdem mit kleineren Feuern zu rechnen, auf denen weitere Speiseopfer — nachweisbar in Form verkohlten Erbsen, Ackerbohnen und Gerstenkörnern — dargebracht wurden (S. 124).

Entsprechende Spuren an den niedergelegten Schmuck- und Trachtelementen sowie an den Waffen und Geräten lassen zudem den Schluss zu, dass ein Teil der Opfergaben vor der Deponierung resp. der Niederlegung im Feuer absichtlich beschädigt worden ist — dies wohl um sie einer weiteren profanen Nutzung zu entziehen. Zwei Lanzschuhe bzw. zwei Sensenringe wurden vor der Deponierung ineinandergesteckt.

Nicht mit Sicherheit feststellen liess sich hingegen, ob der Brandopferplatz im Forggensee als Relikt von individuellen oder von gemeinschaftlichen Kulthandlungen anzusprechen ist (S. 117–121). Ebenfalls nicht erschliessbar war, aus welchen Gründen hier geopfert wurde bzw. welche Gottheit(en) verehrt wurden (S. 124–126).

Schwierig zu beantworten ist auch die Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit der Dedikanten. Die meisten vorchristlichen Objekte lassen sich zwar anhand der Typologie der Spätlatènezeit zuweisen, was aber nicht a priori den Schluss zulässt, dass es sich bei den Opfernden um Kelten gehandelt hat. Unter den spätlatènzeitlich/frühkaiserzeitlichen Funden fanden sich jedenfalls auch zwei «germanische» Schwertscheideklammern (S. 50). Nach Aussage eines Armringes (S. 40: B27) und eines Mahdhakens (S. 60f.) könnte es sich bei den Dedikanten (zum Teil?) um Angehörige der in Südrätien ansässigen Heimstettener Gruppe gehandelt haben (S. 145–149).

Über den in jeder Beziehung mustergültig vorgelegten Befunde und Funde vom Forggensee und die in der näheren Umgebung angetroffenen Brandopferplätze hinaus, wird im Rahmen dieser Arbeit auch eingehend auf die seit 1966 sehr kontrovers geführten Diskussion um die latène- und römerzeitlichen Brandopferplätze im bayrischen Alpenvorland eingegangen (S. 106–149; vgl. dazu auch die Rezension von Frank Unruh, Trierer Zeitschrift 63, 2000, 447–451 bes. 448f.). Letztere werden in Form von Kurzkatalogen vorgestellt und analysiert (S. 132–143). Wichtig ist dabei der Hinweis, dass die Konzentration im Allgäu in gewissem Sinne auch die intensive Prospektionstätigkeit widerspiegelt und dass das Fehlen von archäozoologischen Untersuchungen diesbezüglichen Aussagen gewisse Grenzen setzt (S. 143).

W. Zanier kommt zum Schluss, dass — sensu stricto besehen — das Vorkommen von kalzinerten Fuss- und Schädelknochen, vornehmlich von Rind und Schaf/Ziege «den kleinsten gemeinsamen Nenner» zwischen den verschiedenen Brandopferplätzen bildet (S. 131).

Abschliessend und zusammenfassend sei festgehalten, dass die Arbeit von W. Zanier — auch noch fast zehn Jahre nach ihrem Erscheinen und trotz mancher offen gebliebener Fragen — weiterhin das Standardwerk zum Phänomen der spätlatènezeitlichen und frühkaiserzeitlichen Brandopferplätze bildet.

Zitierweise: Peter-A. Schwarz: Rezension zu: Werner Zanier (mit Beiträgen von Angela van den Driesch, Hansjörg Küster und Willy Tegel), Der spätlatènezeitliche und römerzeitliche Brandopferplatz im Forggensee (Gde. Schwangau). Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 52. München 1999. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 91, 2008, S. 252-253.

Redaktion
Veröffentlicht am
06.05.2011
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Thema
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit