M. Díaz-Andreu: A World History of Nineteenth-Century Archaeology

Cover
Titel
A World History of Nineteenth-Century Archaeology. Nationalism, Colonialism, and the Past


Autor(en)
Díaz-Andreu, Margarita
Reihe
Oxford Studies in the History of Archaeology
Erschienen
Oxford 2007: Oxford University Press
Anzahl Seiten
486 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Fabian Link, Neuere Geschichte/Zeitgeschichte, Universität Basel

Margarita Díaz-Andreu hat sich in ihrem Buch viel vorgenommen. Eine Weltgeschichte der Archäologie im 19. Jahrhundert zu schreiben, sich die Geschichte der Archäologie im Spannungsfeld von Internationalismus und Globalität zu denken, ist kein einfaches Unterfangen, gerade wenn diese Entwicklung nicht teleologisch als eine Geschichte grosser Männer und ihrer Entdeckungen dargestellt, sondern in Verschränkung mit den gesellschaftlichen Umständen aufgeschlüsselt wird.

Der globale Diskurs der Archäologie im «langen 19. Jahrhundert» (1789–1914) eröffnet sich durch die damals verstärkten kolonialen Ambitionen (S. 23). Díaz-Andreu zeigt in vier Teilen die wissenschaftshistorische Entwicklung der Archäologie auf: von der Archäologie «grosser Zivilisationen» in der Renaissance (I) über die Archäologie des Imperialismus (II) bis hin zur Kolonialarchäologie (III) und der Archäologie im Spannungsfeld von Nationalismus und rassistischen Deutungen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts (IV). Sie stellt schlaglichtartig die Entwicklungen in Nord- und Südamerika, Indien, China oder auf dem afrikanischen Kontinent dar und behandelt auch die massgebenden Impulse auf die Methoden und Inhalte der verschiedenen Archäologien, so die Religion, die Aufklärung oder der Evolutionismus. Imperialismus, Kolonialismus und Nationalismus waren die grundlegenden Strömungen, um die sich archäologisches Wissen im 19. Jahrhundert rankte. Die Archäologie war damit Teil des hegemonialen Machtdiskurses, denn durch sie liessen sich die «Anderen» definieren und als «Primitive» in Bezug zur eigenen, als überlegen gedachten Kultur setzen (S. 7f.). Die Erforschung der griechischen und römischen «Hochkulturen» der Antike diente dabei als identitätsstiftendes Element für die Bildung der eigenen Nation (S. 12f.). So verwendete Napoleon Bonaparte das Bild des Römischen Reiches, um Frankreich eine historische Legitimation zu verschaffen. In den deutschsprachigen Gebieten führte der Philhellenismus zu einer Verbindung zwischen der griechisch-antiken Gesellschaft und der zeitgenössischen deutschen Kultur (S. 49f.). Das vermeintlich «goldene Zeitalter» in der Vergangenheit wurde demnach verwendet für die Konstruktion und Legitimation einer «besseren Staatsordnung» in der Jetztzeit. In diesen Kontext verortet die Autorin auch die frühe, der Linguistik entsprungene Idee von den «Ariern» (S. 223f.), eine Denkfigur, die später der Boden für die Theorien der Rassisten bildete. So wurden den Phöniziern, als Semiten taxiert, Eigenschaften wie «Lüsternheit, Kindermord und Heidentum» zugeschrieben (S. 158f.), die im Gegensatz zum angeblichen «Heroismus, Stolz und Gottesgläubigkeit» der «Arier» standen. Verstärkt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts radikalisierte sich diese Anschauung, «Rassen» und die Unterschiede unter denselben wurden zentral (S. 212f.). Ethnien, die keine übergeordnete staatliche Organisation aufwiesen, wurde die eigene Geschichte abgesprochen, ihre Gesellschaften aus der Chronologie ausgekoppelt und als analoge Modelle dargestellt, um zu veranschaulichen, wie die eigenen prähistorischen Vorfahren in der Urzeit gelebt haben sollten. Sie waren demnach lebende Spiegelbilder aus einer längst vergangenen Zeit, die in ihrer Entwicklung stehen geblieben seien (S. 278f.). Nicht zuletzt wurden solche Prämissen erhärtet durch die Anthropologie. So stellte der Brite Thomas Huxley 1863 fest, dass die australischen Aborigines nicht nur ähnliche Schädelformen hätten wie die Neandertaler, sondern auch auf derselben kulturellen Entwicklungsstufe stünden (S. 300f.).

Erfreulich ist, dass die Autorin nicht nur die Prähistorie behandelt, sondern das disziplinäre Feld auf die Mittelalterarchäologie, die klassische und die vorderorientalische Archäologie ausweitet. Sie sieht die kolonisierten Länder nicht als passive Opfer, sondern als handelnde Akteure, die sich gegenüber den Kolonialmächten in einer Bandbreite von Anpassung, Widerstand oder der Konstruktion von eigenen nationalistischen Konzeptionen positionierten. Kritisch ist anzumerken, dass Díaz-Andreu kaum Primärquellen verwendet und sich vornehmlich auf bereits bestehende Studien stützt. Dies birgt die Gefahr, dass in der Fachliteratur eingesessene Paradigmen weitergeschleppt werden, wo eine kritische Sichtung der Quellen möglicherweise zu neuen Schlüssen geführt hätte. Ein Wermutstropfen sind die vielen orthographischen Fehler bei den deutschsprachigen Termini, so für Institutionen und Werke von deutschen Forschern. In einer renommierten Reihe wie den Oxford Studiesin the History of Archaeology sollte das nicht vorkommen.

Letztlich ist das Buch aber innovativ und aktuell. Innovativ deshalb, weil bisherige Geschichten der Archäologie vornehmlich die Wechselwirkung zwischen politischem Nationalismus oder völkisch-rassistischer Ideologie und Wissenschaft betonten, eine globale Perspektive aber nur in Ansätzen entwickelten. Aktuell ist das Buch, weil es nahtlos an die aktuellen Debatten in Geschichtswissenschaft, Soziologie und Ethnologie anschliesst, wo von der «Weltgesellschaft» und der «Global History» die Rede ist. Wichtigste Erkenntnis aus der Lektüre ist, dass die Entstehung archäologischer Disziplinen und die Institutionalisierung derselben eng mit der Bildung der Nationalstaaten verkoppelt waren. Archäologie war Legitimationswissenschaft, die aufgrund ihrer politischen Relevanz von Seiten des Staates gefördert wurde (S. 400f.). Dies ist mitunter der Schlüssel für das Verständnis der Archäologiegeschichte im nachfolgenden 20. Jahrhundert und damit auch grundlegend, um das Verhältnis zwischen Archäologie und Diktatur zu verstehen.

Zitierweise: Fabian Link: Rezension zu: Margarita Díaz-Andreu, A World History of Nineteenth-Century Archaeology. Nationalism, Colonialism, and the Past. Oxford Studies in the History of Archaeology. Oxford University Press, Oxford, New York 2007. 486 S., 5 Abb. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 92, 2009, S. 351.

Redaktion
Veröffentlicht am
05.05.2011
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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