Als zwanzigstes Produkt in der Reihe der «Glanzlichter aus dem Bernischen Historischen Museum», erschien 2009 das Bändchen zu einem urbernischen Thema: zur Gründungssage der Stadt. Und entsprechend dem geglückten Konzept dieser Reihe nimmt man auch diesen Band gerne in die Hand und legt ihn nach der Lektüre zufrieden darüber wieder beiseite, dass man zwar etwas gelernt, sich dabei aber gut unterhalten hat. Dieser Eindruck beruht zunächst auf der schönen Gestaltung mit den zahlreichen farbigen Reproduktionen, bestätigt sich aber auch nach dem Lesen der konzentrierten und trotzdem gut verständlichen Texte.
Auf den ersten 20 Seiten führt die Autorin in die Thematik ein. Die hier vorzustellenden Malereien wurden 1584 / 86 für den Burgerratssaal im Berner Rathaus vom französischen Maler Humbert Mareschet hergestellt. Knapp zusammengefasst erfährt man zunächst einiges über die Geschichte und die Funktion des Gebäudes, über die politische Situation zur Zeit der Neuausstattung sowie über das Leben des Malers. Mareschet, der zum reformierten Glauben konvertiert hatte und deshalb in den 1560er-Jahren aus Frankreich hatte flüchten müssen, kam dank einer Empfehlung des Rats von Lausanne nach Bern. Hier gab es offenbar als Spätfolge der Reformation keinen fähigen einheimischen Maler, der diesen ehrenvollen Auftrag hätte übernehmen können. Mareschet führte die Gesamtgestaltung des Raumes – es handelt sich neben der Stadtgründungslegende um eine Folge eidgenössischer Bannerträger sowie einen Gerechtigkeitszyklus – zur vollen Zufriedenheit des Berner Rats aus. Der Burgerratssaal erfuhr zwar im 18. Jahrhundert eine Veränderung (Teile der Ausstattung wurden im 17. Jahrhundert durch Gemälde des Berner Künstlers Joseph Werner ersetzt), die meisten Malereien Mareschets blieben aber bis zur Umgestaltung 1832 – 1834 am Ort. Die in Öl auf Leinwand ausgeführten Malereien gehören zum ältesten Bestand des 1894 gegründeten Bernischen Historischen Museums.
Der Hauptteil der Publikation beschäftigt sich mit dem Stadtgründungszyklus und ist als Katalog aufgebaut. Es steht jeweils eine Textseite der Reproduktion einer einzelnen Szene aus dem Gesamtfries gegenüber. Damit der Zusammenhang der inhaltlich und bildlich aufeinander bezogenen Ereignisse nicht verloren geht, kann man hinten den Zyklus zur Gesamtansicht herausfalten. Die Darstellungen Mareschets greifen auf die Chroniken des 15. Jahrhunderts zurück und schildern die legendäre Gründung Berns im Jahr 1191 in der künstlerischen Sprache der frühen Neuzeit. Sie erzählen diese Geschichte aber so anschaulich und geben so viele Details wieder, dass der Zyklus auch bezüglich der Sachkultur eine reiche Fundgrube darstellt. Die den Bildern beigegebenen Beschreibungen helfen, diese zu «lesen»; wenige zusätzliche Angaben dienen zur historischen und kunsthistorischen Einordnung. Zwar hätte die Autorin zu allen Szenen noch viel mehr zu sagen gewusst – das «Glanzlicht» ist die konzentrierte Version ihrer unfangreichen Lizentiatsarbeit – doch gelingt es ihr durch die Knappheit der Angaben das Interesse aller Leserinnen und Leser wach zu halten.
So kann man sich mit dem attraktiven Büchlein die Gründungslegende Berns auf ganz verschiedenen Ebenen zu Gemüte führen: Wie ein Bilderbuch kann der Katalogteil durchgeblättert und auch mit Kindern entdeckt werden. Aber auch der wissenschaftlich Interessierte kommt auf seine Rechnung, einerseits durch die vielseitigen Informationen, andrerseits auch dank der jeweils angegebenen weiterführenden Literatur. Und es ist ein Kompliment an die Autorin, dass man am Ende des Büchleins Lust hat, sich mit dem einen oder anderen angesprochenen Aspekt der Ausmalung genauer zu befassen.
Zitierweise:
Charlotte Gutscher: Rezension zu: Luginbühl Wirz, Regula: Die Gründung der Stadt Bern. Gemäldezyklus von Humbert Mareschet aus dem Berner Rathaus 1584 – 86. Zürich: Chronos 2009 . Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 4, Bern 2010, S. 57-58.