A. Bähler: Nachwuschsförderung fängt beim Nachwuchs an

Titel
Nachwuchsförderung fängt beim Nachwuchs an. 40 Jahre Kindertagesstätte der Universität Bern


Autor(en)
Bähler, Anna
Erschienen
Bern 2009: Verein Kindertagestagesstätte der Universität Bern
Anzahl Seiten
64 S.
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Katharina Moser

2009 feierte die Kindertagesstätte der Universität Bern ihr 40-jähriges Bestehen. Anlässlich dieses Jubiläums publizierte der Verein der Unikita eine Festschrift. Die von der Historikerin Anna Bähler verfasste Publikation ist in vier Teile gegliedert. In den beiden ersten und wichtigsten Kapiteln gibt die Autorin einen Überblick über die spannende Entwicklung der Kinderkrippen im 19. und 20. Jahrhundert und zeichnet die Geschichte der Studentenkinderkrippe von 1969 bis zur heutigen Kindertagesstätte der Universität Bern nach. Anschliessend wird kurz auf das Zusammenspiel der Unikita mit der Universität eingegangen. Zum Schluss stellt Bähler die heutige Kindertagesstätte mit dem Haupthaus, der «Casa Tutti Frutti» am Donnerbühlweg, und der Aussengruppe «Papaya» an der Sahlistrasse vor.

In den meisten europäischen Ländern entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kinderbewahranstalten oder Kleinkinderschulen, die unbetreute Unterschichtkinder im Vorschulalter für einige Stunden pro Tag beaufsichtigten, damit diese nicht auf der Strasse herumlungerten oder zu Hause eingesperrt blieben. Die Unterschichtfamilien entsprachen meist nicht dem bürgerlichen Familienideal vom «Alleinernährer» und waren auf zwei Einkommen angewiesen. Während die Ehefrauen und Mütter einer ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit nachgingen, blieben ihre Kinder häufig unbetreut. In Bern errichtete die private, aber öffentlich unterstützte Armen-Direktion ab 1828 sogenannte Gaumschulen, die drei- bis sechsjährige Kinder gegen ein geringes Entgelt, ganz arme Kinder auch kostenlos, aufnahmen. Kinder unter drei Jahren konnten einer sogenannten Wartfrau gegen Bezahlung in Pflege gegeben werden. Auch diese Wartfrauen mussten den eigenen Lebensunterhalt mit äusserst knappen Mitteln bestreiten, und die Pflege der ihnen anvertrauten Kleinkinder war demnach dürftig. Die Säuglingssterblichkeit war im 19. Jahrhundert sehr hoch: Noch in den 1870er-Jahren starb in der Stadt Bern beinahe jedes fünfte Neugeborene im ersten Lebensjahr. Die Fachleute forderten denn auch bessere Aufklärung und Ausbildung bezüglich Säuglingspflege, und der Ruf nach Kinderkrippen, in denen Säuglinge und Kinder tagsüber untergebracht werden konnten, wurde laut.

Die ersten Kinderkrippen in der Stadt Bern wurden in den 1870er-Jahren auf private Initiative bürgerlicher Frauen hin und in der Nähe von Wohngebieten der Unterschicht eingerichtet. 1899 eröffnete die Stadt Bern im Mattequartier die erste kommunale Krippe. Die Autorin zeigt auf, dass die Krippenbefürworter damals Argumente vorbrachten, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zur Legitimierung der Krippen dienten: Die Kinderkrippe hatte nicht die Aufgabe, die Familie zu ersetzen, sondern sie in sozialen Notfällen zu unterstützen. Es ging nicht darum, die Frauenerwerbstätigkeit zu ermöglichen, sondern deren Folgen für die Kinder abzufedern. Dementsprechend sind die Kindertagesstätten bis heute in den meisten europäischen Ländern wie auch in der Stadt Bern verwaltungstechnisch dem Fürsorgebereich zugeordnet.

Forschungsergebnisse bezüglich Fremdbetreuung zeigten ab den 1970er - Jahren, dass diese sich nicht per se negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirkt, sondern eine zeitweilige Gruppenbetreuung Kleinkinder in ihrer Sozialkompetenz eher fördert. Zudem setzte eine allmähliche Professionalisierung des Krippenpersonals ein. Nach und nach verloren die Kinderkrippen ihren Fürsorgecharakter. Dieser Wandel äusserte sich in den 1990er-Jahren auch in der Namensänderung: Statt Kinderkrippe wurde fortan die neutralere Bezeichnung Kindertagesstätte verwendet.

Im Kapitel über die Studentenkinderkrippe gibt Anna Bähler einen knappen Abriss über das Frauenstudium an der Universität Bern und dessen gesellschaftlichen Voraussetzungen. Ab 1868 hatten die Frauen hier Zugang zu einem regulären Studium. Die anfänglich liberale Zulassungspolitik zog viele Ausländerinnen, vor allem Russinnen, an. 1901 bis 1908 waren über 30 Prozent der Studierenden weiblichen Geschlechts. Eschwerte Zulassungsbedingungen und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs liess die Zahl der Studentinnen wieder stark sinken. Bis gegen Ende der 1950er - Jahre war diese so niedrig, dass wohl nur vereinzelt verheiratete Frauen und Mütter an der Universität Bern studierten, wie Bähler bemerkt. Ihre Anzahl vergrösserte sich in den 1960er - Jahren mit den steigenden Studentinnenzahlen. Es war denn auch 1969, als die Studentenkinderkrippe der Universität Bern – vorerst in einem Provisorium in der Migros Klubschule – eröffnet wurde. Damit war Bern nach Genf die zweite Schweizer Universitätsstadt, die eine solche Institution führte. Gegründet wurde die Krippe auf Initia tive der Vereinigung Bernischer Akademikerinnen. Diese nahm sich in Bern den Problemen der studierenden Mütter an und wollte verhindern, dass Studentinnen mit Familienpflichten ihr Studium mangels Betreuungsmöglichkeiten abbrachen. Die Trägerschaft der Unikita ist privatrechtlich organisiert und demnach, anders als ihr Name es vermuten lässt, nicht Teil der Hochschule. Die Universitätsleitung zeigte jedoch stets grosses Interesse und Engagement für die Belange der Kindertagesstätte. Einen Wandel macht die Autorin aber in der Bedeutung der Kinderkrippe aus: In den ersten Jahren war diese auch für die Universitätsleitung vorwiegend ein Mittel, um unerwünschte Studienabbrüche von Studentinnen und Studenten, die Eltern geworden sind, zu verhindern. Erst im Lauf der Jahre entwickelte sich allmählich das Bewusstsein dafür, dass die externe Kinderbetreuung ein wichtiges Instrument der Frauenförderung darstellt, und zwar auf allen Stufen der universitären Hierarchie.

Die Festschrift ist leicht verständlich geschrieben und enthält etliche Abbildungen. Die Autorin beleuchtet interessante historische Aspekte und Diskurse, lässt in farblich abgesetzten Kästen verschiedene Personen, die mit der Unikita in Beziehung stehen (oder standen), zu Wort kommen und schildert einige amüsante Anekdoten aus dem Krippenalltag.

Zitierweise:
Katharina Moser: Rezension zu: Bähler, Anna: Nachwuchsförderung fängt beim Nachwuchs an. 40 Jahre Kindertagesstätte der Universität Bern, Bern, Verein Kindertagesstätte der Universität Bern, 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 3, Bern 2010, S. 77-79.

Redaktion
Veröffentlicht am
07.04.2011
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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