K. Arn: «Wenn wir uns gut sind»

Cover
Titel
«Wenn wir uns gut sind». Ruth Seiler-Schwab – ds Müeti vom Schlössli Ins.


Autor(en)
Arn, Karoline
Erschienen
Zürich 2007: Limmat Verlag
Anzahl Seiten
263 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michèle Hofmann, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Bern

Die vorliegende Biographie beginnt in der Stube des Elternhauses von Ruth Seiler- Schwab in Kerzers im Jahr 1941. Die Mutter entdeckt bei Ruth ein Büchlein mit dem Titel «Die Brotfabriken Moskaus» und ist entrüstet. «Es ist schlimm, eine 23-jährige Tochter zu haben, die eine Kommunistin geworden ist. Noch unvorstellbarer ist aber, dass ihr tatsächlich davon träumt, dass Brote in einer Fabrik gemacht werden!» (S. 7). Ruth war der sozialistischen Jugend bereits während ihrer Gärtnerlehre in Estavayerle- Lac beigetreten. Im Sozialismus sah die junge Kommunistin eine Lösung, auch für die wirtschaftlichen Probleme der kleinen Bauern im Seeland. Nach einem Unfall des Vaters war Ruth 1939 auf den elterlichen Bauernhof in Kerzers zurückgekehrt, um ihre Familie zu unterstützen.

Ausgehend von der Episode des Auffindens des Büchleins durch die Mutter erzählt die Journalistin und Historikerin Karoline Arn in detailreichen Schilderungen die bewegte Lebensgeschichte von Ruth Seiler-Schwab. Die rund 260 Seiten umfassende Biographie gliedert sich in 51 kurze Kapitel. In der Buchmitte finden sich einige Schwarzweissfotografien.

Die oben erwähnte Auseinandersetzung mit der Mutter beendet Ruths Doppelleben als Bauerntochter und politisch aktive Kommunistin. Der Leserin wird durch die packende Eingangsepisode klar, dass hier zwei Welten aufeinanderprallen, die ansonsten getrennt sind: die ländlich-bäuerliche der Familie Schwab sowie die kommunistische, die ein urbanes Phänomen darstellt.

Durch geschickt ineinander verwobene Passagen erhält der Leser Einblick in den Alltag der Bauernfamilie zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und erfährt – durch kürzere und längere Rückblenden – zugleich etwas über Ruths Kindheit und Jugend sowie die Zeit nach der Gärtnerlehre und wie sie ihren Freund Robert kennenlernt, der ebenfalls Kommunist ist.

Nach dem Streit mit ihrer Mutter fasst Ruth schweren Herzens den Entschluss, gemeinsam mit Robert den Hof zu verlassen. Beide sind politisch aktiv, was nicht ohne Folgen bleibt. Wegen Ruths Verhaftung muss die Hochzeit verschoben werden. Robert verliert immer wieder seine Arbeitsstelle, 1943 wird er im «Kommunistenprozess» zu zwei Monaten Gefängnis bedingt verurteilt. Die Zeit nach dem Weggang aus Kerzers wird mit wenigen Ausnahmen chronologisch erzählt. Stellenweise fallen die Schilderungen etwas redundant aus, insbesondere die Darstellung der fortwährenden Entlassungen von Robert und der häufigen Ortswechsel des Paares.

Nach dem Krieg engagieren sich Ruth und Robert in der Partei der Arbeit (PdA). Als die Genossen Robert vorwerfen, er wende sich von der Tagespolitik ab, tritt er aus der PdA aus. Wenig später wird Ruth von der Partei ausgeschlossen. Nachdem sie nach einigen Ehejahren feststellt, dass ihr Mann ein überzeugter Anthroposoph ist, wendet sie sich den Schriften Rudolf Steiners zu. Einerseits erkennt sie in der Anthroposophie Parallelen zum Sozialismus, andererseits findet sie durch Steiner zum Glauben zurück, der ihr im Elternhaus vermittelt wurde und den sie als Sozialistin abgelegt hat. Den Wandel Ruth Seilers von der überzeugten Kommunistin zur Anthroposophin, die von Steiners Theorie «in ihrem tiefsten Inneren» gepackt wird (S. 144), vermag Arn nur stückweise zu erklären. Dieser Wandel stellt einen grossen Bruch in Ruths Lebensgeschichte dar.

1953 gründen Ruth und Robert, inzwischen Eltern von vier Kindern, im Schlössli Ins eine Heimschule nach anthroposophischen Grundsätzen für Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. Erfahrungen mit Pflegekindern haben sie bereits in den Jahren zuvor gesammelt. Das letzte Drittel der Biographie ist der wechselvollen Geschichte dieser Institution – die durch Erfolge, aber auch Streitigkeiten und finanzielle Sorgen geprägt wird – und dem Lebensabend des Ehepaars Seiler-Schwab gewidmet.

Die vorliegende Biographie basiert in erster Linie auf Gesprächen der Autorin mit Ruth Seiler-Schwab. Auch die weiteren Quellen, auf die sich Arn stützt, sind ausschliesslich persönlicher Art: Schilderungen der Kinder, Tagebuchaufzeichnungen und Briefe. Am Schluss des Buches treffen Protagonistin und Autorin aufeinander und die Leserin erfährt, wie ein der Biographie vorangegangenes Filmprojekt zustande kam. Karoline Arn schildert hier den gemeinsamen Besuch im Bundesarchiv und zitiert aus den Fichen der Bundesanwaltschaft, die über Ruth Seiler und ihren Ehemann vorliegen. Es ist schade, dass diese Quelle erst am Ende des Buches in die Schilderungen einfliesst, hätte sie doch die Lebensgeschichte breiter abstützen, weitere Perspektiven aufzeigen und gegebenenfalls ein differenzierteres Bild zeichnen können. Aus den Fichen liesse sich möglicherweise das soziale Netz von Ruth und Robert rekonstruieren.

Arns Quellenwahl hat zur Folge, dass die Geschehnisse beinahe ausschliesslich aus Sicht von Ruth Seiler und ihren Angehörigen dargestellt werden. Dabei gäbe es einige interessante Anknüpfungspunkte, die Biographie in einen grösseren Kontext einzubetten: Kommunismus und Antikommunismus, die Arbeiterbewegung sowie die Anthroposophie und Heilpädagogik in der Schweiz des 20. Jahrhunderts.

Der Text auf der Buchrückseite kündigt die Lebensgeschichte einer Frau an, «die engagiert das 20. Jahrhundert erlebt hat, den Zweiten Weltkrieg, den Kalten Krieg, die Reformpädagogik, aber auch den Kampf gegen Kinderlähmung und das Ringen um freie Liebesbeziehungen». Diese Inhaltsangabe weckt (zu) viele Erwartungen. In Ruth Seilers Fall beschränkt sich der Kampf gegen die Kinderlähmung auf den traurigen Umstand, dass sie ihren jüngsten Sohn durch die Folgen dieser Krankheit verliert. Das «Ringen um freie Liebesbeziehungen» impliziert das Bild einer emanzipierten Frau, die sich für sexuelle Freiheiten einsetzt. Ruth hingegen wird in der Biographie als betrogene Ehefrau beschrieben, die zeitweilig an der Untreue und Gleichgültigkeit ihres Gatten zu zerbrechen droht.

Nichtsdestotrotz legt Karoline Arn eine lesenswerte Biographie über eine interessante und engagierte Persönlichkeit vor. Die ereignisreiche Lebensgeschichte der Bauerntochter, Kommunistin und Leiterin einer anthroposophischen Heimschule dürfte für eine breite Leserschaft von Interesse sein.

Zitierweise:
Michèle Hofmann: Rezension zu: Arn, Karoline: «Wenn wir uns gut sind». Ruth Seiler-Schwab – ds Müeti vom Schlössli Ins. Zürich: Limmat Verlag 2007. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 3, Bern 2010, S. 75-77.

Redaktion
Veröffentlicht am
07.04.2011
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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