2022 jährte sich die Gründung der Jungfraujoch-Kommission der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft (SNG), der heutigen SCNAT, zum hundertsten Mal. Das Jubiläum bildete den Anlass für die vorliegende Publikation. Darin widmet sich der in Zürich tätige Historiker Leander Diener vorrangig den ersten dreissig Jahren der Hochalpinen Forschungsstation Jungfraujoch von 1922 bis 1952. Inhaltlich dient ihm die Geschichte der Station als «Prisma» (S.15). Durch dieses betrachtet er Rahmenbedingungen schweizerischer und internationaler Wissenschaftspolitik von der Nachkriegszeit des Ersten bis in die Nachkriegsjahre des Zweiten Weltkrieges.
Eingeleitet wird die Monografie mit je einem Vorwort des Präsidenten der Internationalen Stiftung Hochalpine Forschungsstation und Gornergrat, Silvio Decurtins, und des Präsidenten der Schweizerischen Kommission für die Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch der SCNAT, Urs Baltensperger, gefolgt von einem Grusswort von Stefan Estermann, Schweizer Botschafter beim Arktischen Rat.
Seine Darstellung gliedert Diener in fünf Kapitel, die er wieder in mehrere Abschnitte unterteilt. Dabei hält er sich in konventioneller Weise an den chronologischen Ablauf der Geschehnisse. Abgerundet wird der Band durch eine Chronik der behandelten Ereignisse, eine Übersicht verschiedener Zahlen zum Betrieb der Forschungsstation sowie eine Zusammenstellung des Leitungspersonals von Stiftung und Forschungsstation seit deren Gründung, ferner durch ein Abbildungsverzeichnis, einen Anmerkungsapparat, eine Auflistung der genutzten Archive sowie eine Bibliografie. Fünf Einschübe mit Fotos, Zeichnungen und Bauplänen vermitteln einen anschaulichen Eindruck der Forschungsstation und tragen zum ansprechenden Erscheinungsbild des Buches bei. Der in Weiss gehaltene Einband des Paperbackbandes passt zum Schnee, der auf zahlreichen zeitgenössischen Fotos im Buch zu sehen ist. Bei diesen handelt es sich ausschliesslich um Schwarz-Weiss-Abbildungen. Zusammen mit der an Schreibmaschinentypen erinnernden Schrift auf dem Einband und in den thematischen Einschüben im Buch wecken sie Assoziationen mit den Gründungsjahren der Station. Dadurch ergibt sich ein stimmiges Erscheinungsbild des handlichen Bandes.
Zu bemängeln sind gelegentlich unsorgfältige Formulierungen. Wir erfahren etwa, dass von 1875 bis 1887 zehn Jahre vergingen. Riesige Spekulationsobjekte wurden «ausgetragen», Zusagen «überliefert», und der Vorsteher der Jungfraujoch-Kommission «wies Bundesrat Etter an» (S. 31, 93 und 137).
Zunächst geht Diener auf die Vorgeschichte der Forschungsstation ein. Ohne den Bau der Jungfraubahn ab 1896 und ohne den Artikel 9a in ihrer Konzession zur Errichtung einer Forschungsstation gäbe es diese nicht. Dabei kann Diener zeigen, dass der Artikel dem persönlichen Wunsch des Initiators der Jungfraubahn, Adolf Guyer-Zeller, entsprang. Mit dessen Tod 1899 geriet der Plan einer Forschungsstation zunächst in Vergessenheit.
1920 kehrte der Geophysiker und Grönlandforscher Alfred de Quervain von einem internationalen wissenschaftlichen Kongress mit der Idee zurück, auf dem Jungfraujoch eine Forschungsstation zu errichten. Leider teilt der Autor nichts über den Kongress mit. Nachdem de Quervain 1922 zunächst ein privates Komitee gegründet hatte, machte die SNG aus diesem eine ihrer Kommissionen. Im gleichen Jahr übertrug der Bundesrat der SNG die Hoheit über die zu errichtende Station. Spätestens 1927 zeichneten sich unterschiedliche Vorstellungen zur Ausgestaltung einer Stiftung für die Forschungsstation ab. Einige Beteiligte betrachteten diese als nationale Angelegenheit. Dem stand jedoch ein weitgehend vergeblicher Aufruf zur Finanzierung der Station in der Schweiz entgegen. Hier hätte die interessante Frage nach den Ursachen des geringen Interesses gestellt werden können. Im Jahr der Einweihung der Forschungsstation, 1931, konnte für sie eine internationale Stiftung gegründet werden. Deren Besetzung erforderte diplomatisches Geschick. In der Stiftung wurden die ausländischen Mitglieder wie die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft oder die Royal Society als Partner anerkannt. Die SNG musste zustimmen, dass die Schweiz lediglich den Vorsitz und die lokale Verwaltung führen solle. Beim Gang in die Internationalität wurde durch die Bestimmung, dass die Stiftung Schweizer Recht unterstand, Befürchtungen der Boden entzogen, sie könnte in die Abhängigkeit des Auslandes geraten. Während des Zweiten Weltkrieges ermöglichte diese Bestimmung die Aufrechterhaltung des Betriebes der Forschungsstation. Doch war sie wenig ausgelastet. Die Schweiz als Einzugsgebiet reichte nicht aus. Eine internationale Positionierung erwies sich als überlebensnotwendig. Eine Ausstellung zum 15-Jahr-Jubiläum sollte das Interesse der neu gegründeten UNESCO wecken, was auch gelang. Doch blieb der finanzielle Beitrag der Schweiz an die Forschungsstation trotz deren internationalem Ansehen selbst zu diesem Zeitpunkt unzureichend.
Diese Erfahrung floss, so Diener, in das Projekt zur Schaffung des Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) ein. Massgeblich wurde dieses Vorhaben von Alexander von Muralt, dem Präsidenten der Jungfraujoch-Kommission, vorangetrieben. Mit der Gründung des SNF 1952 normalisierte sich die finanzielle Lage der Station, während die eidgenössische Wissenschaftspolitik eine institutionelle Form erhielt. An dieser Stelle verweist Diener darauf, dass die Erzählung vom wissenschaftlichen Rückstand der Schweiz nach dem Krieg anhand der Geschichte der Jungfraujochstation widerlegt werden kann und forschungspolitisch motiviert gewesen sein dürfte.
Insgesamt ist es dem Verfasser gelungen, seinen Anspruch, mit seiner Studie einen Einblick in die facettenreiche schweizerische und internationale Wissenschaftspolitik zu vermitteln, einzulösen.
Zitierweise:
Krüger, Tobias: Rezension zu: Diener, Leander: Das Jungfraujoch. Eine Geschichte der Hochalpinen Forschungsstation 1922–1952. Zürich 2022, https://www.infoclio.ch/de/rez?rid=145916. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 85 Nr. 2, 2023, S. 62-64.