E. Szarka: Sinn für Gespenster

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Titel
Sinn für Gespenster. Spukphänomene in der reformierten Schweiz (1570–1730)


Autor(en)
Szarka, Eveline
Reihe
Zürcher Beiträge zur Geschichtswissenschaft
Erschienen
Wien 2022: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Johannes Dillinger, Department of History, Oxford Brookes University

Mit der Abkehr von der Lehre vom Fegefeuer, dem Beharren auf dem biblischen Verbot der Totenbeschwörung und dem Kampf gegen die katholische Fürsorge für die Verstorbenen hatte sich der Protestantismus in eine schwierige Situation gebracht. Wie sollte er Erscheinungen erklären, die man traditionell als Gespensterspuk gedeutet hatte? Eveline Szarka rekonstruiert die Debatte um Totengeister in der reformierten Schweiz, näherhin in Basel, Bern und Zürich zwischen 1530 und 1730. Untersuchungsort und -zeit werden pragmatisch mit der Quellendichte gerechtfertigt. Schon bei dieser Herangehensweise ist klar, was im Fazit stehen wird und dann dort auch tatsächlich steht: Ein Vergleich mit einem katholischen Gebiet hätte zweifellos tiefere Erkenntnisse erbracht. Szarka geht es aber keineswegs nur um die theologische Interpretation des vermeintlichen Spuks. Wie man es heute bei kulturhistorischen Arbeiten erwarten darf, wird die Ebene des Alltags einbezogen: Wie reagierten Personen ohne privilegierten Zugang zu Geld und Bildung, wenn es in ihren Häusern zu spuken schien? Welche Deutungen vermeintlichen Totenspuks und welchen praktischen Umgang mit ihm ließen die weltlichen Obrigkeiten gelten?

Wie bei deutschsprachigen Doktorarbeiten in Geschichte üblich, wird in der Einleitung ausführlich über Methodik reflektiert. Szarka verwendet dabei das Wort „Semiotik“ in unterschiedlichen Varianten, wann immer es möglich ist, und reißt eine Reihe von größeren Zusammenhängen an, die für den Rest der Arbeit keine große Bedeutung gewinnen. Problematisch erscheint, dass die Reflexionen zur Methode wenig mit den konkreten Quellen zu tun haben. Es bleibt das Gefühl, dass man mit dem Methodenkapitel eher eine Verortung in der Forschungsdebatte vornehmen, weniger Wege von der Primärquelle zur Forschungsaussage beschreiben wollte. Das ist bedauerlich, da Szarkas Quellenkorpus sehr umfangreich und durchaus uneinheitlich ist. Szarka ist jedoch so diszipliniert, dass sie ihre zentrale Forschungsfrage in wenigen Sätzen formulieren kann: „In dieser Untersuchung wird der Frage nachgegangen, aus welchen Gründen Spukphänomene in reformierten Gebieten der frühneuzeitlichen Schweiz bedeutsam waren: Welche religiösen bzw. sozialen Funktionen übernahmen Gespenster in der Theologie und im gelebten Glauben?“ (S. 13)

Die Antwort auf diese Frage schöpft Szarka aus intensivem Quellenstudium. Ausgewertet wurden neben theologischen Traktaten, Sittenmandaten und Predigten auch umfangreiches Verwaltungsschriftgut, sowie Arznei- und Rezeptbücher, die Mittel zur Bannung von Geistern verzeichneten. Die Stärke der Arbeit liegt in ihrer Quellenkenntnis und ihrer Quellennähe. Szarka bleibt keine Fußnote schuldig. Ihre Gründlichkeit ist beeindruckend, ja mustergültig.

Die Geistlichkeit in Szarkas Untersuchungsraum deutete Spuk bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts eher als direkte göttliche Strafe. Ein Gespenst war nicht die ruhelose Seele eines Toten, der aus welchen Gründen auch immer die materielle Welt nicht verlassen konnte, es war eine Erscheinung, die Gott schickte, um zu prüfen und zu bestrafen. Auch der Teufel verursachte Spukerscheinungen, um die Lebenden zu verwirren und um den Ort zu markieren, an dem schwere Sünden begangen worden waren. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sah man bei Spuk weniger Gott und eher den Teufel und Hexen am Werk. Näher zu klären wäre erstens, ob das auch in anderen Regionen so war, und zweitens, wieso das so war. Hier wäre weit ausführlicher nach einer Verbindung zur Entwicklung der Hexenprozesse zu fragen. Gabor Klaniczay hatte vor Jahren bereits in einem durchaus umstrittenen Text vorgeschlagen, dass eine Verbindung zwischen dem Ausklingen der Hexenprozesse und dem beginnenden Interesse an Vampiren in Südosteuropa bestand.1 Etwas in Spannung zu dieser zeitlichen Abfolge bevorzugter Deutungen von Spuk steht, was Szarka ebenfalls in wünschenswerter Klarheit herausarbeitet: Begegnete einer angesehenen Person ein Gespenst, wurde es für Hexenzauber erklärt. Wurde eine weniger gut beleumundete Person von Spuk belästigt, war dieser eine Strafe Gottes.

Szarka belegt schlagend und überdeutlich, dass die Deutung des Spuks, wie die protestantische Theologie sie entworfen hatte, in der Praxis der Alltagskultur wenig Einfluss entfaltete. Das ist natürlich keineswegs neu und genau das, was man erwartet hätte. Szarka formuliert aber härter: Zwischen protestantischer „Norm und Praxis [...] konnte […] gar keine Übereinstimmung generiert werden“. (S. 307) Dafür waren die Spukerscheinungen allzu vielfältig und allzu vielfältig waren auch die Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen. Dass die Theologen Gespenster letztlich nur als Aufruf zu persönlicher Buße und Umkehr gelten lassen wollten, war einfach nicht genug. Die protestantische Kirche ließ die Gläubigen allein mit den Gespenstern. Mehr noch: Wenn die Gespenster kamen, um den Glauben zu prüfen und zur Reue zu mahnen, dann musste das Spukopfer ja zunächst einmal einräumen, dass es kein exemplarisch christliches Leben führte. Da glaubte man dann vielleicht lieber doch, dass der nächtliche Lärm im Keller vom Geist eines toten Geizhalses gemacht wurde, der so auf den dort vergrabenen Schatz hinweisen wollte.

Die Antwort auf die Frage, weshalb die Spukerscheinungen denn bedeutsam waren, fällt entwaffnend allgemein und großflächig aus. Sie waren bedeutsam, nicht weil die gesellschaftliche Diskussion um Gespenster exzentrisch und randständig war, sondern weil sie gleichsam als Passepartout diente, mit dem sich eine Vielzahl von Spannungen ausdrücken und aushandeln ließ. Die Debatte um Gespenster erklärte, was sonst nicht zu erklären war. Sie überwand die Distanz zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie kritisierte Missstände und Fehlverhalten. Es überrascht, dass Szarka diese Bedeutung des Gespensterglaubens nun gerade eben doch nicht von der vorherrschenden Konfession abhängig machen will. Da die Arbeit ihre Erkenntnisse aus einer Studie zur reformierten Schweiz schöpft, erscheint das methodisch problematisch. Dennoch: Dass Szarka so eindeutig und zugleich mit einem flächigen Argument Stellung bezieht, muss man schon als solches begrüßen: Hier werden Aussagen gemacht, an denen sich die spätere Forschung abarbeiten und sich an ihnen messen lassen darf.

Einmal abgesehen von der Behauptung der pauschalen und umfassenden Relevanz des Gespensterthemas sind Szarkas Ergebnisse meist überzeugend, aber selten überraschend. Tatsächlich schleicht sich sogar eine Tendenz ein, das Offensichtliche zu betonen. Dass zum Beispiel die Deutung von Spukphänomenen auch davon abhing, ob man den Spuk im eigenen Haus hatte oder zu Berichten über solche Erscheinungen als Repräsentant der staatlichen oder kirchlichen Obrigkeit Stellung nahm, dürfte unstrittig sein. Dass Krankheit nur selten mit Spuk in Verbindung gebracht wurde, braucht nicht als besondere Erkenntnis präsentiert zu werden. Es scheint vielmehr eine interessante Erkenntnis, dass diese Verbindung in Ausnahmen überhaupt hergestellt wurde. Es irritiert, dass Szarka in Einleitung und Schluss betonen zu müssen glaubt, dass „die Reformation kein einmaliges Ereignis darstellte“ (S. 309) und mit der Einführung des Protestantismus durchaus keine schlagartige Umorientierung der Bevölkerungsmehrheit in ihrem Alltag einherging. Die Feststellung, dass Menschen nicht einfach auf eine vorgegebene Umwelt reagieren, sondern mit ihr interagieren und sie damit als Umwelt erst voll konstituieren, wird auch im Proseminar kein Erstaunen auslösen.

Szarkas Sprache ist klar und eingängig. Der Jargon hält sich in engen Grenzen. Es irritiert, dass der Text gendersensibel mit Asterisk daherkommt, durchaus unsensibel gläubige Gemeindemitglieder aber wiederholt als „Schäfchen“ lächerlich machen will.

Die Arbeit von Eveline Szarka ist ein wichtiger Beitrag zur sich rasch verdichtenden historischen Diskussion des Gespensterglaubens. Ferner ist der Text von höchstem Interesse für alle, die sich mit der Kulturgeschichte der reformierten Schweiz auseinandersetzen wollen.

Anmerkung:
1 Gabor Klaniczay, Heilige, Hexen, Vampire. Vom Nutzen des Übernatürlichen, Berlin 1991.

Redaktion
Veröffentlicht am
09.08.2023
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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