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Titel
Burgrecht. Von der Einbürgerung zum politischen Bündnis im Spätmittelalter


Autor(en)
Speich, Heinrich
Reihe
Vorträge und Forschungen, Sonderband (59)
Erschienen
Ostfildern 2019: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
419 S.
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Roland Gerber

Geding-, Satz- oder Ausbürger wurden im späten Mittelalter meist adlige Personen genannt, die ihre ständischen und wirtschaftlichen Privilegien bei der Einbürgerung in eine Stadt weiterhin behalten wollten, auch wenn sie sich nicht dauernd innerhalb der Stadtmauern niederliessen. Dazu schlossen die städtischen Räte mit den auf dem Land residierenden Herren spezielle Einbürgerungsverträge ab. Diese wurden im oberdeutschen und schweizerischen Raum als Burgrechte bezeichnet. Heinrich Speich nimmt das «Phänomen» solcher Burgrechtsverträge in seiner im Jahr 2014 an der Philosophischen Fakultät der Universität Fribourg eingereichten Dissertation zum Anlass, um Akteure, Entstehung und Wirkung dieser Rechtsdokumente vom 13. bis 15. Jahrhundert vergleichend zu untersuchen. Anders als die traditionelle Verfassungsgeschichte interessieren ihn somit nicht die einzelnen in Burgrechten niedergeschriebenen Abmachungen. Vielmehr analysiert er deren vielfältige Nutzungsformen und zeigt auf, wie unterschiedliche Vertragsparteien – von in Geldnot steckenden Ritteradligen über hochadlige Landesherren und Klöster bis zu ganzen Stadt- oder Landgemeinden – ihre gegenseitigen Beziehungen im politisch dynamischen Umfeld des späten Mittelalters ausgestalteten.

Nach einer kurzen Einleitung über Methode und Quellengrundlage wendet sich Speich im ersten Hauptkapitel dem Begriff «Burgrecht» und der Forschungsgeschichte von Burg- und Landrechten zu. Er konstatiert, dass wegen des Fehlens «einer stringenten zeitgenössischen Definition» die Abgrenzung des Burg- und Landrechts von anderen zeitgenössischen Vertragsformen wie Bündnissen, Landfrieden und Schirmverträgen kaum scharf durchzuführen sei. Bei all diesen Vertragsformen verfolgten die Aussteller grundsätzlich die Absicht, benachbarte Herrschaftsträger zur Friedenswahrung und zur Anerkennung der eigenen Rechtsansprüche zu verpflichten. Je nach Grad der erlangten Autonomie und des herrschaftlichen Ausgreifens aufs Umland veränderten sich jedoch Form und Inhalt der Verträge im Lauf der Zeit. Gerade für die Stadt Bern, die seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert eine aktive und seit 1384 auch aggressive Expansionspolitik betrieb, entwickelten sich die Burgrechte zu einem wirksamen Herrschaftsinstrument.

Im nächsten Kapitel widmet sich Speich der Funktionsweise von Burg- und Landrechten. Aufgrund der in den Verträgen dokumentierten Beziehungen zwischen zwei Parteien versucht er, über die Urkundentexte hinaus deren Wirkungen als «politisches Instrument» nachzuweisen. Er kommt zum Schluss, dass das individuell ausgehandelte Burgrecht das flexibelste Mittel war, wie zwei sozial und rechtlich ungleiche Nachbarn ihre gegenseitigen Beziehungen schriftlich regeln konnten. Entsprechend waren es die mit päpstlichen Sonderrechten ausgestatteten Klostergemeinschaften, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts als Erste Burgrechtsverträge mit Städten abschlossen. Im 14. Jahrhundert waren es dann vor allem adlige Gerichtsherren, die sich dem Schutz eines Stadt- oder Länderorts unterstellten und diesem im Gegenzug das Einfordern von Steuern und Kriegsmannschaften in ihrem Herrschaftsgebiet erlaubten.

Im dritten Hauptkapitel erläutert Speich anhand von vier «Fallbeispielen» (Burgrechte zwischen Freiburg und Bern, Beziehungen Berns zur Landschaft Saanen und den Grafen von Greyerz, Raronhandel von 1419 sowie Burg- und Landrechte im Alten Zürichkrieg) die Vielgestaltigkeit dieser Vertragsform in Abhängigkeit zu den jeweiligen Akteuren. Der Berner Rat ging in diesen Burgrechten besonders weit und unterwarf die um das wirtschaftliche Überleben kämpfenden Adligen teilweise rigiden Bestimmungen. Nach der Eroberung des Aargaus 1415 verlor diese Vertragsform allerdings rasch an Bedeutung und wurde durch die von der Stadt ausgeübte Landesherrschaft über ein ausgedehntes Territorium ersetzt.

Heinrich Speich bietet in seiner Dissertation eine aufschlussreiche und gegenüber älteren Forschungen erweiterte Sicht auf das Burgrecht als wirkungsmächtiges Instrument zur Herrschaftsgestaltung und Herrschaftsintensivierung. Mit dem Burgrecht stand spätmittelalterlichen Landesherren ein Vertragstyp zur Verfügung, der es ihnen erlaubte, jegliche Form gegenseitiger Beziehungen unter Berücksichtigung der sich stetig verändernden sozialen und herrschaftlichen Verhältnisse «verbindlich und dennoch in der Dauer flexibel» abzubilden. Ob es sich bei den in grosser Zahl überlieferten Burgrechtsverträgen aus dem 13. bis 15. Jahrhundert um das bedeutendste politische Instrument im Umkreis der spätmittelalterlichen Schweizerischen Eidgenossenschaft handelt, darf hingegen infrage gestellt werden.

Zitierweise:
Roland Gerber: Rezension zu: Speich, Heinrich: Burgrecht. Von der Einbürgerung zum politischen Bündnis im Spätmittelalter. (Vorträge und Forschungen, Sonderband 59). Ostfildern: Jan Thorbecke 2019. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 4, 2020, S. 71-72.

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Veröffentlicht am
26.08.2021
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