R. Schmid (Hrsg.): Die Berner Handfeste

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Titel
Die Berner Handfeste. Neue Forschungen zur Geschichte Berns im 13. Jahrhundert


Herausgeber
Schmid, Regula
Reihe
Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern (93)
Erschienen
Bern 2019: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
127 S.
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Oliver Landolt, Staatsarchiv Schwyz, Amt für Kultur

Seit über 150 Jahren beschäftigen sich zahlreiche Historiker mit der Frage der Echtheit der angeblich durch den Stauferkönig Friedrich II. im Jahr 1218 ausgestellten Berner Handfeste, mit der damals der noch jungen, Ende des 12. Jahrhunderts durch Herzog Berthold V. von Zähringen gegründeten Stadt Bern umfangreiche Privilegien zugestanden worden sein sollen. Tatsächlich stellt der Tod des letzten Zähringerherzogs am 18. Februar 1218 eine wichtige Zäsur in der Geschichte verschiedener Städte des schweizerischen wie süddeutschen Raums dar, in dem die Zähringer als Herrschaftsträger eine hervorragende Rolle spielten.

Mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden, der Prüfung durch die C-14-Analyse, ist es nunmehr möglich geworden, zumindest den aus organischem Material bestehenden Schreibträger Pergament, sprich die als Beschreibträger aufbereitete Tierhaut, mehr oder weniger genau zu datieren. Auch die ebenfalls aus organischem Material bestehenden Siegelschnüre können so analysiert werden. Bekannt geworden ist diese naturwissenschaftliche Methode vor allem im Zusammenhang mit der Altersbestimmung des sogenannten Bundesbriefs von 1291 im Vorfeld des 700-Jahr-Jubiläums der «Gründung» der Eidgenossenschaft 1991. In umfangreicher Weise wurde diese Methode dann an verschiedenen Urkunden innerschweizerischer Provenienz in einem grösseren Forschungsprojekt in den Jahren von 2004 bis 2006 angewendet. Eine Umschau der durch die C-14-Methode untersuchten Urkunden samt den hierzu verfassten wissenschaftlichen Aufsätzen mit Stand Frühling 2019 ist im Anhang des Buchs dargestellt.

Einleitend referiert die Herausgeberin Regula Schmid den Forschungsstand zur Berner Handfeste. In überzeugender Weise verortet Marita Blattmann in einer umfangreichen textkritischen Untersuchung die Berner Handfeste innerhalb der Freiburger Stadtrechtsfamilie und zeigt dabei auf, aus welchen verschiedenen Stadtrechtstexten die Berner Urkunde kompiliert wurde. Ebenso weist sie im Vergleich mit anderen durch Friedrich II. während seiner Königs- und Kaiserzeit an Bürger und Städte nördlich der Alpen ausgestellten Urkunden nach, dass die Berner Handfeste kaum in der Königskanzlei entstanden sein kann. Der seit den 1240er-Jahren sich abzeichnende Zusammenbruch der staufischen Königsherrschaft liess im an Autonomie gewinnenden Berner Rat den Plan reifen, bereits bestehende wie auch usurpierte Rechte in einer Urkunde «nachherzustellen». Unter Verwendung eines bereits bestehenden königlichen Goldsiegels – zu vermuten ist ein durch König Friedrich II. den Bernern vielleicht 1218 gewährtes Privileg – sowie eines älteren Pergaments soll das für die Aarestadt so wichtige Schriftstück gefälscht worden sein. Rechtskräftig wurde die Handfeste dann durch die Bestätigung König Rudolfs im Jahr 1274. Zwei Beiträge sind der naturwissenschaftlichen Radiokarbon-Methode gewidmet, wobei der eine sich explizit mit der Berner Handfeste beschäftigt (Datierung Pergament: zwischen 1160 und 1217; Datierung Siegelschnur: zwischen 1222 und 1265), während der andere den im Bundesbriefmuseum von Schwyz aufbewahrten Bundesbrief von 1291 und die Thuner Handfeste von 1264 behandelt. Letzterer zeigt auf, dass durch die mittlerweile weiterentwickelte C-14-Methode der Bundesbrief von 1291 noch genauer datiert sowie die zeitgenössische Herstellung der Thuner Handfeste nachgewiesen werden konnte. Die durch die Gräfinwitwe Elisabeth von Kyburg ausgestellte Thuner Handfeste von 1264 behandelt Anne-Marie Dubler, wobei sie das Jahr 1264 als wichtigen Wendepunkt im damaligen Herrschaftsgefüge hervorhebt. Der Tod der beiden letzten Grafen von Kyburg, Hartmann V. der Jüngere († 1263) und Hartmann IV. der Ältere († 1264), führte zu einem Machtvakuum, das einerseits durch Habsburg-Österreich und andererseits durch die aufstrebende Stadt Bern ausgefüllt wurde. Die bauliche Entwicklung Berns während des 13. Jahrhunderts stellt Armand Baeriswyl dar, der sowohl die spärlichen archäologischen Zeugnisse wie auch die schriftliche Überlieferung aus dieser Zeit heranzieht, um im Gleichklang beider Quellengattungen ein stimmiges Bild zu rekonstruieren. Der Berner Rat zwischen 1223 und 1273 ist Thema der Ausführungen von Roland Gerber. Er betrachtet dieses im Lauf des 13. Jahrhunderts an Selbstbewusstsein gewinnende Gremium durchaus glaubwürdig als Urheber des Inhalts der «Goldenen» Handfeste. Diese schuf die Grundlage für den politischen Aufstieg der Stadt Bern in den folgenden Jahrhunderten. In einem weiteren knappen Beitrag diskutiert Gerber die Erstnennung von Schultheiss und Rat von Bern in einer Urkunde aus dem Jahr 1223, ausgestellt durch die Augustinerchorherren von Interlaken, als mögliche Fälschung, für die verschiedene Interessengruppen ein Motiv gehabt haben könnten. Den Abschluss des Buchs bildet eine durch Vinzenz Bartlome referierte Anekdote über den archivpädagogischen Gebrauch der «Goldenen» Handfeste in der universitären Lehre, der aufgrund der in studentischen und akademischen Kreisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gepflegten Trinkkultur beinahe zum Verlust der Urkunde – glücklicherweise verhindert durch die Geistesgegenwart eines Wirts des noch heute existierenden Restaurants «Harmonie» – geführt hätte. Insgesamt stellt das schön illustrierte Buch eine rundum gelungene Untersuchung der für Berns Geschichte wichtigen «Goldenen» Handfeste dar. Es zeigt, wie mit dem Einbezug moderner naturwissenschaftlicher Methoden neue Erkenntnisse für die Geschichtswissenschaft gewonnen werden können.

Zitierweise:
Oliver Landolt: Rezension zu: Schmid, Regula (Hrsg.): Die Berner Handfeste. Neue Forschungen zur Geschichte Berns im 13. Jahrhundert. (Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Bd. 93). Baden: Hier und Jetzt 2019. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 4, 2020, S. 69-71.

Redaktion
Veröffentlicht am
26.08.2021
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