A. Heege u.a.: Gassengeschichten – Ausgrabungen und Funde in der Markt-, Kram- und Gerechtigkeitsgasse von Bern

Cover
Titel
Gassengeschichten – Ausgrabungen und Funde in der Markt-, Kram- und Gerechtigkeitsgasse von Bern.


Autor(en)
Heege, Andreas; Baeriswyl, Armand
Reihe
Hefte zur Archäologie im Kanton Bern (5)
Erschienen
Bern 2019: Archäologischer Dienst des Kantons Bern
Anzahl Seiten
286 S.
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Walter Thut

Auch das fünfte Heft zur Archäologie im Kanton Bern ist nichts Leichtgewichtiges, nicht im Umfang und nicht im Inhalt. «Heft» zu sagen, ist darum beinahe unangebracht bei einer Publikation von 286 Seiten mit 165 Abbildungen, 19 Tafeln und 14 Beilagen. Auch die anderen Hefte sind zwischen 150 und 396 Seiten lang. Heftmässig ist aber natürlich die Aufmachung der Reihe.

Die Gassengeschichten kommen so leicht und unterhaltend nicht daher, wie es der Titel suggeriert. Sie sind aber voller Informationen, die zwar kein gänzlich unbekanntes Bild von Bern zeichnen, aber doch Retuschen und Ergänzungen anbringen. Die Früchte einer jahrelangen Arbeit stammen – wörtlich zu nehmen – aus den Händen der beiden Hauptautoren Andreas Heege und Armand Baeriswyl und aus denjenigen von fünf Fachleuten der Archäologie, die jeweils umfangreiche Ausgrabungsdokumentationen erstellt haben. Weiter haben sieben Autorinnen und Autoren die Publikation mit Beiträgen aus ihren Fachgebieten bereichert, und ein ganzer Stab von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen war um eine saubere Präsentation bemüht.

Die Publikation umfasst ein Resümee der Forschungen zum zähringischen Teil der Stadt (von der Nydegg bis zum Zytgloggeturm) bis 2001 und präsentiert in ihrem Hauptteil die Funde von archäologischen Grabungen in der Markt-, der Kram- und der Gerechtigkeitsgasse ab 2004 / 05. Schliesslich werden die Erkenntnisse der bis 2018 erfolgten Ausgrabungen zusammengeführt und der neueste Wissensstand präsentiert. Der Kantonsarchäologe Adriano Boschetti sagt es im Vorwort so: «Diese Publikation ist zum einen eine kommentierte Quellenvorlage, welche die wichtigsten Ergebnisse in Form von Beschreibungen, Profil- und Flächenzeichnungen sowie Dokumentationsfotos präsentiert und mit den gesichteten archäologischen Funden in Beziehung setzt. Dabei wurde der Schwerpunkt auf das Material der ersten hundert Jahre des Bestehens der Stadt Bern gelegt.»

Gassengeschichten heissen die vorgestellten Forschungsresultate, weil im Vorfeld von Leitungserneuerungen in der Markt-, der Kram- und der Gerechtigkeitsgasse umfangreichere Grabungen durchgeführt werden konnten. Die in den Jahren 1995, 2004 und 2005 in diesen Hauptgassen sowie an anderen Stellen in der Altstadt bis zum Abschluss der Publikation 2018 gewonnenen Erkenntnisse sind der Inhalt dieser Geschichten und lassen sich so zusammenfassen: Immer noch keine Spuren von einer prähistorischen oder römischen oder (früh- oder hoch-)mittelalterlichen Siedlung auf der Aarehalbinsel. Immer noch keine Belege für eine Stadtmauer auf der Höhe der Kreuzgasse. Und die Gassen waren früher auch nicht anders in ihrer Breite als heute. Soweit die Antworten auf drei Fragen, die man sich seit Langem stellt.

Die Geschichte Berns muss nicht neu geschrieben werden. Gewiss ist aber heute, dass die Gassen zur Zeit der Gründung tiefer gelegen haben und in den ersten hundert Jahren eine «Aufhöhung» von 120 bis 145 cm erfahren haben. Dabei erforderte der Stadtbach eine immer stärkere Einfassung. Bemerkenswert ist auch die Bergung einer grösseren Menge an keramischem Material. Die Funde unter den bernischen Gassen kamen nicht von gar weit her, aber immerhin aus einer «Keramiklandschaft» zwischen Solothurn, Basel und Freiburg im Breisgau und aus der Ostschweiz (Zürich und Winterthur). Funde von Ofenkacheln waren so zahlreich, dass angenommen werden muss, dass Kachelöfen zur festen Ausstattung eines Altstadthauses gehörten. Eisen- und Buntmetallartikel (Gürtelschnallen, anderer Schmuck) waren im Gassenschotter ebenfalls häufig zu finden und stammen aus zum Teil weit entlegenen Gegenden des Heiligen Römischen Reichs und aus benachbarten Königreichen (zum Beispiel Frankreich). Daraus ist zu schliessen, dass Mobilität im Adel und unter Handelsleuten im 13. Jahrhundert bereits eine Selbstverständlichkeit war. Gefundene Pflanzenreste weisen sowoh
auf Gärten wie auch auf stadtnahe natürliche (wilde) Vegetation hin, tierische Knochen auf den Konsum von Rind, Schaf und Ziege. Eine Schaal, zum Beispiel im Raum der Schaalgasse zwischen Kramgasse und Rathausgasse, konnte nicht nachgewiesen werden.

Der Aufschluss des natürlichen Geländes durch die Grabungen hat die Moräne mit ihren nacheiszeitlichen Quergräben noch gründlicher einsehen lassen. Material aus dem frühen Neolithikum und der frühen Bronzezeit im Gassenschotter weist zwar auf eine frühe Besiedlung des Raums Bern hin. Es gibt aber keine Belege für eine solche auf der Aarehalbinsel selbst. Gleiches gilt auch für römische Funde. Die Stadtgründung um 1191 wie auch die Ausdehnung von der Nydegg nach Westen werden durch die jüngsten Funde bestätigt. Eine Stadtmauer an der Kreuzgasse gab es entgegen früherer Annahmen wohl nicht. Die Erkenntnisse aus den letzten Grabungen bestätigen auch das Strassennetz, sowohl die breiten mittleren Gassen als auch die übrigen Gassen zwischen der Brunngasse im Norden und der Herrengasse im Süden. Der Raum der heutigen Lauben scheint früher Teil der Gasse gewesen zu sein, wie man an der Gerechtigkeitsgasse 71 und 27 nachweisen kann. Bestätigt wird auch, was man 2004 bereits zu wissen glaubte, dass der Stadtbach in die Gründungszeit der Stadt zurückgeht. Das Aufplanieren um den Stadtbach erklärt man sich nach Funden aus der Marktgasse mit der Stadterweiterung in der Mitte des 13. Jahrhunderts (der Savoyerstadt oder der Inneren Neustadt, bis zum Käfigturm reichend). Ältere, unter der aktuellen Pflästerung liegende Strassenbeläge hat man keine gefunden.

Die Stadtgeschichte ist heute um einige Puzzleteile reicher. Die zähringische Zeit von Bern zu dokumentieren, bleibt auch nach der gründlichen Untersuchung der Hauptgasse eine schwierige Sache. Zu gross waren die Eingriffe in die Bausubstanz nach dem Stadtbrand von 1405, im 18. Jahrhundert (dem «goldenen Zeitalter» in Bern) und dem späten 19. Jahrhundert, beim Umleiten des Stadtbachs und beim Verlegen von Leitungen unter das Pflaster der Gassen im 20. Jahrhundert. Der Wert der Publikation sind nicht spektakuläre Funde, sondern das Zusammenführen der wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen zwanzig Jahre zu einem möglichst plastischen Bild. Und die Gesamtschau gelingt.

Zitierweise:
Walter Thut: Rezension zu: Heege, Andreas; Baeriswyl, Armand: Gassengeschichten – Ausgrabungen und Funde in der Markt-, Kram- und Gerechtigkeitsgasse von Bern. (Hefte zur Archäologie im Kanton Bern, Bd. 5). Bern: Archäologischer Dienst des Kantons Bern 2019. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 4, 2020, S. 58-60.

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Veröffentlicht am
25.08.2021
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