Archäologischer Dienst des Kantons Bern (Hrsg.): Archäologie macht Geschichte

Cover
Titel
Archäologie macht Geschichte. Funde aus dem Kanton Bern. 50 Jahre Archäologischer Dienst. Bern


Herausgeber
Archäologischer Dienst des Kantons Bern
Erschienen
Bern 2020: Archäologischer Dienst des Kantons Bern
Anzahl Seiten
200 S.
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Stefan Hochuli

Anlässlich seines 50-jährigen Bestehens brachte der Archäologische Dienst des Kantons Bern im Rahmen einer Wanderausstellung 16 ganz unterschiedliche Fundstücke mit ihren Geschichten in die Regionen zurück, wo sie ausgegraben wurden. Dazu erschien eine Publikation sowohl in deutscher als auch in französischer Sprache. Gemäss den Herausgebern sollen mit der Ausstellung und der Publikation die Vielfalt des archäologischen Kulturerbes und dessen Bedeutung für unsere Geschichte dargestellt werden. Aus welchen Gründen und unter welchen Bedingungen wird archäologische Forschung betrieben? Wie haben sich die Untersuchungsmethoden entwickelt? Welche Ergebnisse konnten erzielt werden? Welche Herausforderungen stellen sich für die Zukunft?. (Klappentext).

Das handliche Buch mit weichem Einband ist reich bebildert und ansprechend gestaltet. Inhaltlich ist es nach den 16 ausgewählten Funden gegliedert, in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entdeckung von 1824 bis 2018. Besprochen werden vordergründig meist unscheinbare Funde wie Steingeräte, ein verkohltes Brot, Gefässe aus Ton und Glas, Verputzfragmente, Bleischlacken, kleine Schmuckperlen aus Bernstein und Glas oder die Reste eines Lederschuhs. Die Objekte sind so ausgewählt, dass alle Regionen, alle Epochen und alle Materialien vertreten sind. Die Funde werden mit einer ganzseitigen Foto und einer kurzen kulturhistorischen Erklärung vorgestellt und in den beiden ausklappbaren Buchdeckeln in einem Zeitschema zeitlich und auf einer Karte geografisch verortet. Umfangreicher sind die den Funden zugeordneten Texte zu Fundorten, Forschungsthemen und Forschungsgeschichte: Anfänge der Entdeckung antiker Altertümer, Archäologisches Inventar, Archäologie im Ehrenamt, Forschungstätigkeit des Bernischen Historischen Museums, Pfahlbauarchäologie, Archäologie der Römerzeit, Kirchenarchäologie, Erforschung und Pflege von Ruinen, Archäologie im Kontext von Bahn-2000-Strecke und Autobahnbau, frühmittelalterliche Gräberforschung, archäologisches Erbe aus dem Gletscher, Aushubüberwachung und Keltenarchäologie, Archäologie der Moderne, Archäologie unter Wasser, Bauforschung. Verschiedenen dieser 16 Kapitel ist zusätzlich ein Kastentext zugeordnet, worin ein weiteres Thema vertieft wird. Das Buch wird von einer übersicht über die Besiedlungs- und Forschungsgeschichte sowie über die heutige Situation der Archäologie im Kanton Bern eingeleitet. Den Schluss bilden eine Chronik zur Archäologie im Kanton Bern inklusive der Betriebsorganigramme der Jahre 2006, 2011 und 2017, Anmerkungen, Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweise, Verzeichnis der Autorenschaft und eine Auflistung der Institutionen und Vereinigungen der Berner Archäologie. Das 17-köpfige Autorenteam um den Berner Kantonsarchäologen Adriano Boschetti besteht aus Mitarbeitenden des Archäologischen Dienstes und je einer Vertretung des Bernischen Historischen Museums und der Universität Bern.

Geschichte wird üblicherweise als Abfolge von Ereignissen beschrieben. Dies trifft für die Jubiläumsschrift des Archäologischen Dienstes nur bedingt zu. Auf die Schmelzform zur Herstellung keltischer Silbermünzen folgt das verbogene Aluminiumblech einer 1946 abgestürzten amerikanischen Militärmaschine und danach eine bronzezeitliche Schmucknadel. Diese sprunghafte Abfolge hat nicht den systematischen Überblick über den archäologischen Fundbestand – also eine «Urgeschichte des Kantons Bern» – zum Ziel; das hätte viel mehr Grundlagenarbeit erfordert und bleibt ein Desiderat. Das Buch will vielmehr anhand ausgewählter Funde zeigen, wie sich die archäologische Forschung entwickelt hat und welches ihre wichtigen Themen sind. Auch die mit den Funden assoziierten Themen erscheinen als bunt gemischte Palette. Auf die Beschreibung einer Arbeitsmethode folgt eine Zeitepoche oder eine Fundstelle oder eine Sequenz aus der Forschungsgeschichte. Diese Fragmentierung führt zwischen den einzelnen Kapiteln zu inhaltlichen und zeitlichen Brüchen. Die einen Leser mögen ob der Vielfalt der Themen und des zufällig wirkenden Nach- und Nebeneinanders etwas gefordert sein. Andere dürften darin gerade den Reiz des Werks sehen: Es lädt ein zum Schmökern oder – wie die Berner sagen – zum «Schnöigge» in der eigenen Geschichte. Die Zufälligkeit der Objekte und Themen in ihrer Abfolge kann auch als Abbild des archäologischen Alltags verstanden werden, bei dem die Funde auch nicht geordnet nach Zeitepochen und Materialgattungen zum Vorschein kommen. Mit dem gewählten Konzept erfüllt das Buch den von der Herausgeberschaft formulierten Anspruch, die Vielfalt des archäologischen Kulturerbes und der archäologischen Arbeit darzustellen. Die einzelnen Kapitel sind kulturhistorische Häppchen, die je nach Interesse der Leserschaft Lust auf Vertiefung machen. Das Buchkonzept ist insofern auch bemerkenswert, als dass nicht die Ikonen der bernischen Archäologie – beispielsweise die mit Goldstiften verzierte Prunkaxt von Thun-Renzenbühl, die Bronzehand mit Goldblech von Prêles oder die prunkvolle Hydria von Grächwil – ins Zentrum gestellt werden, sondern unscheinbare Objekte. Gerade diese zeigen eindrücklich, dass sie geronnene Zeit sind und sich in ihnen einstiges Alltagsleben verdichtet, wenn sie von den Fachleuten zum Sprechen gebracht werden. Diese kleinen Objekte eröffnen uns historische Tiefe und machen unsere gemeinsame faszinierende Geschichte erlebbar. Dem Werk ist zu wünschen, dass es in der Bevölkerung und der Politik weite Verbreitung findet und so das gesellschaftliche Bewusstsein für unser einzigartiges und vergängliches archäologisches Kulturerbe stärkt. Dem Archäologischen Dienst des Kantons Bern sei zum goldenen Jubiläum und zu seiner gelungenen Festschrift herzlichst gratuliert.

Zitierweise:
Stefan Hochuli: Rezension zu: Archäologischer Dienst des Kantons Bern (Hrsg.): Archäologie macht Geschichte. Funde aus dem Kanton Bern. 50 Jahre Archäologischer Dienst. Bern: Archäologischer Dienst des Kantons Bern 2020. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 82 Nr. 4, 2020, S. 44-46.

Redaktion
Veröffentlicht am
20.08.2021
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