M. Hagemeister: Die «Protokolle der Weisen von Zion» vor Gericht

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Titel
Die «Protokolle der Weisen von Zion» vor Gericht: Der Berner Prozess 1933⬜1937 und die «antisemitische Internationale».


Autor(en)
Hagemeister, Michael
Erschienen
Zürich 2017: Chronos Verlag
Preis
€ 54,00
von
Uri Robert Kaufmann

Der Berner Prozess erregte zu seiner Zeit (1935) grosses Aufsehen. Es ging um die Verteidigungen der wehrhaften Demokratie gegen NS-Propaganda aus dem Ausland. Die Protokolle sind ein «Standardwerk» des modernen Antisemitismus und kursieren in den einschlägigen Kreisen bis auf den heutigen Tag in verschiedenen Übersetzungen. Michael Hagemeister trägt neue Informationen zur Entstehung der Protokolle in Russland zusammen. Er stellt Zusammenhänge zu den weitverzweigten antisemitischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit (1918 – 1939) her und erschliesst auch neue russische Quellen. Er gibt eine ausführliche Einleitung (S. 37 – 133) und schildert die Prozesse in Basel (S. 413 – 447, vor Bern!) und Bern (S. 135 – 412). Er präsentiert Quellen (S. 449 – 510), die russischen sind ins Deutsche übersetzt. Hinzu kommt eine ausführliche Abteilung mit Kurzbiografien (S. 511 – 585). Umfangreich wiederum ist die Bibliografie (S. 587 – 629).

Die Darstellung des Prozesses selbst ist mit 34 Seiten im Verhältnis zum ganzen Apparat sehr kurz geraten. Allerdings versteckt sich auch in der «Einleitung» viel an Analyse. Sichtbar wird ein europäisches Netzwerk von Antisemiten im Zeitraum von 1890 bis 1935. Ausgangsland für die Entstehung der Protokolle war Russland (Erstdruck 1903 in St. Petersburg), für die weitere Verbreitung sorgten insbesondere die reaktionären russischen Emigranten in Westeuropa nach 1919. Krude apokalyptische Vorstellungen vom Juden als Antichristen mischten sich mit rassistischen Überzeugungen. Trotz dieses komplexen Hintergrundes wurde die Schrift der Protokolle der Weisen von Zion zu einem Hauptwerk des modernen Antisemitismus und hat viel zur Popularisierung des Stereotyps von der angeblichen jüdischen Weltverschwörung beigetragen. Die Sichtung und Analyse der russischen Quellen ist ein wichtiger neuer Beitrag zur Forschungsgeschichte der tiefgründigen Wurzeln des Antisemitismus in der Schweiz. Die lange Chronik ist eher etwas für Fachhistoriker, interessant in ihrer Zusammenstellung, aber doch zu ausführlich geraten. Ihre genaue Lektüre zeigt die anfängliche Offenheit eines Teils der konservativen Deutschschweizer Öffentlichkeit für nationalsozialistische Gedankengänge vor 1939 auf, etwa wenn man die Betreffe zur Zurzacher Rechtsanwaltsfamilie Ursprung liest, die auch nach 1945 in der aargauischen Politik ein grosse Rolle spielte Erhellend sind die neu erschlossenen russischen Quellen und die Einbettung der Genese der Protokolle in die Geisteswelt des niedergehenden Zarenreichs und der russischen Emigration. Hier hat Michael Hagemeister viel Neues und schwer Zugängliches finden und einbeziehen können. Dies zeigt auch die breite internationale Abstützung seiner Archivarbeit in den USA, in Israel, Deutschland, Frankreich, Dänemark, Russland, Österreich und Grossbritannien.

Zitierweise:
Uri Robert Kaufmann: Hagemeister, Michael: Die «Protokolle der Weisen von Zion» vor Gericht. Der Berner Prozess 1933–1937 und die «antisemitische Internationale». Zürich: Chronos 2017.. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 81 Nr. 4, 2019, S. 71-72.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 81 Nr. 4, 2019, S. 71-72.

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