M. : Familienbücher als Medien städtischer Kommunikation

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Titel
Familienbücher als Medien städtischer Kommunikation. Untersuchungen zur Basler Geschichtsschreibung im 16. Jahrhundert


Autor(en)
Tomaszewski, Marco
Reihe
Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 98
Erschienen
Tübingen 2017: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
252 S.
von
Andreas Gehringer

Erste sogenannte Familienbücher entstanden im 14. Jahrhundert und waren in den folgenden zwei Jahrhunderten hauptsächlich ein wichtiger Bestandteil des Memorialwesens, indem sie unter anderem Abschriften von Anniversar- und Jahrzeitenbüchern festhielten. Mit der Reformation verloren letztere jedoch an Bedeutung und die Funktion und Verwendung von Familienbüchern wandelte sich. Sie dienten fortan zunehmend zur Wiedergabe genealogischer Verflechtungen, zum Kopieren von Urkunden und Ratsbüchern wie aber auch zur Abschrift von handschriftlich überlieferten Chroniken. Entsprechend nutzte die Geschichtswissenschaft Familienbücher bisher entweder zur Auseinandersetzung mit ihren historiographischen Inhalten, um diese für die städtische Geschichte nutzbar zu machen, oder aber zur Beschäftigung mit familiären und akteursbezogenen Aspekten, um mehr über Familiengeschichte und Selbstzeugnisse in Erfahrung zu bringen.

Mit Verweis auf ihren Kompilationscharakter plädiert Marco Tomaszewski in seiner Untersuchung jedoch für eine gesamtheitlichere Auseinandersetzung mit Familienbüchern, dies mit besonderer «Berücksichtigung ihrer medialen Eigenschaften im Kontext der städtischen Kommunikation» (S. 24). Damit lassen sich nicht nur neue Erkenntnisse über «Charakter und Stellenwert einer urbanen Schrift- und Druckkultur» gewinnen, sondern es können auch die kommunikativen Funktionsweisen handschriftlich überlieferter Geschichtsschreibung offengelegt werden (S. 24). Davon ausgehend untersucht er in der vorliegenden überarbeiteten Fassung seiner 2013 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg eingereichten Dissertation die Bedeutung und Funktionsweise von Familienbüchern innerhalb der städtischen Kommunikation und Geschichtsschreibung. Ausgangslage der Studie sind drei Basler Fallbeispiele aus dem 16. Jahrhundert: Die Beinheimische Handschrift von Adalberg Meyer zum Pfeil (1474–1548) und dessen Nachfahren Hans Conrad (1589–1659), das Basilea Petry Ryff von Peter Ryff (1552–1629) und das Familienbuch von Christoph Offenburg (1509–1552), bei dem es sich gewissermassen um eine Erweiterung der Chronik Jakob Twingers von Königshofen handelt.

Die Rekonstruktion der unterschiedlichen Entstehungs- und Verwendungskontexte der jeweiligen Familienbücher erlauben Tomaszewski stichhaltige Rückschlüsse auf Fragen nach der kommunikativen Reichweite solcher Bücher und ihrer Bedeutung innerhalb städtischer Kommunikationsstrukturen. Waren sie ursprünglich als Teil des Memorialwesens und somit als Speichermedium zu verstehen, dienten sie im Anschluss an die Reformation zunehmend dem Festhalten von historischem und politischem «(Herrschafts‐) Wissen sowie Wissen um Strukturen und Mitglieder der Familie» (S. 158). Damit verknüpft ist die Inszenierung ihrer jeweiligen Inhalte, womit Familienbücher einen repräsentativen Charakter erhielten und sich somit von einem Speichermedium zu einem Kommunikationsmedium wandelten. Gleichzeitig wurde das Familienbuch mittels einer vordergründigen Zurschaustellung von Exklusivität – indem beispielsweise Familienbücher xplizit als geheim deklariert wurden, dennoch aber zahlreiche Abschriften und Kopien in ausgewählten Kreisen ausserhalb der Familie zirkulierten – an die Schnittstelle zwischen privater und öffentlicher Nutzung verlegt. In Anlehnung an Bernhard Menkes Konzept der geschlossenen Öffentlichkeit spricht Tomaszewski selbst von einer «kontrollierten Öffentlichkeit» (S. 136), wonach Familienbücher zwar bewusst und gezielt öffentlich eingesetzt, deren Zugänglichkeit jedoch reguliert und kontrolliert wurde. Daraus ergab sich ein kollektives Bewusstsein von Exklusivität, womit Familienbücher zum kommunikativen Träger und Vermittler unterschiedlicher Kapitalformen wurden. Entsprechend erhielten Familienbücher – die als Ausdruck einer ständischen Praxis verstanden werden müssen – einen gemeinschaftsstiftenden Charakter (vgl. S. 180).

Etwas irritierend wirkt das Kapitel zur Editionsreihe der Basler Chroniken. Dieses ergibt sich aus Tomaszewskis Anspruch, Familienbücher nicht nur als vormodernes Medium der Überlieferung zu untersuchen, sondern diese den «Basler Chroniken als modernes Medium der Basler Stadtgeschichte» gegenüberzustellen (S. 3). Das ist eher ungewöhnlich, zumal diesbezügliche Ausführungen nicht in die eigentliche, dem Exkurs vorangehende Analysearbeit einfliessen und sich ihr Mehrwert für die Arbeit der Leserschaft daher nicht unmittelbar erschliesst. Ähnlich verhält es sich mit den zahlreichen gegenwartsbezogenen Ausführungen. So mag zum Beispiel die Inszenierung von Exklusivität und Gruppenbildung mittels im 20. Jahrhundert schriftlich überlieferter Trainingsmethoden im australischen Football (S. 147–148, in Anlehnung an Harold Love, 1993) ein Hinweis auf Kontinuitäten in der handschriftlichen Kommunikationskultur sein. Solche Kontinuitäten sind aber nicht beziehungsweise nur sehr beschränkt Gegenstand der Arbeit und erforderten eine separate, sorgfältigere Untersuchung.

Dessen ungeachtet handelt es sich bei Tomaszewskis Arbeit um einen wertvollen Beitrag, dessen wissenschaftliche Leistung, wie intendiert, eine Doppelte ist: Einerseits steht die Deutung der Familienbücher im Spannungsfeld zwischen familiärer, ständischer Exklusivität und städtischer Öffentlichkeit ganz in der Tradition eines selbstkonstruktivistischen Zugangs der Renaissanceforschung. So sieht Tomaszewski die Funktion von Familienbüchern im 16. Jahrhundert weniger in der Vermittlung von Texten und Inhalten, als in der Inszenierung des Selbst und des Kollektivs im Sinne einer kommunikativen Praktik. Damit verknüpft ist die Konstruktion von Beziehungsnetzwerken und Status. Daraus folgt, dass Familienbücher – entgegen ihres vermeintlichen Anspruchs – keinen privaten Charakter besassen, sondern dass sich ihre eigentliche Bedeutung explizit in einem (kontrollierten) öffentlichen Kontext entfaltete, womit letztlich auch neue analytische Ansätze für die moderne Renaissanceforschung ermöglicht werden. Andererseits eröffnet Tomaszewski innovative und vielversprechende Zugänge, wie sie nicht nur zur Erforschung der Geschichte Basels im 16. Jahrhundert, sondern darüber hinaus für die städtische und lokale Geschichtsschreibung generell nutzbar gemacht werden können.

Zitierweise:
Andreas Gehringer: Marco Tomaszewski: Familienbücher als Medien städtischer Kommunikation. Untersuchungen zur Basler Geschichtsschreibung im 16. Jahrhundert, Tübingen: Mohr Siebeck, 2017. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 1, 2019, S. 175-176.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 1, 2019, S. 175-176.

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