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Titel
Im Vorzimmer der Macht?. Die Frauenorganisationen der SPS, FDP und CVP, 1971–1995


Autor(en)
Amlinger, Fabienne
Erschienen
Zürich 2017: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
410 S.
von
Elisabeth Joris, freiberuflich

Die Untersuchungen zu politisch aktiven Frauen der 1970er bis 1990er Jahre fokussierten bis anhin in erster Linie auf die Neue Frauenbewegung und allenfalls noch auf den Wandel der traditionellen Frauenorganisationen, sparten dabei allerdings die parteipolitisch gebundenen Frauenverbände aus. Dieses Manko behebt die vorliegende Dissertation der Berner Historikerin Fabienne Amlinger.

Sie berücksichtigt dabei nur die Frauenorganisationen der drei Regierungsparteien SP, FDP und CVP, da die SVP keine solche Gruppierung kannte. Während die Sozialdemokratinnen bereits seit 1917 über eine gesamtschweizerische Organisation verfügten, gründeten die freisinnigen Frauen erst 1949 einen Dachverband und die CVP Frauen suchten sich erst nach Einführung des Frauenstimmrechts eine organisatorische Struktur zu geben. Allen drei Organisationen gemeinsam war ihre Funktion, neue Parteimitglieder zu werben, diese politisch zu schulen und inner- wie ausserhalb der Partei sogenannte Frauenanliegen zu vertreten. Die von Amlinger gewählte Zeitspanne der Untersuchung von 1971 bis 1995 ist definiert über zwei für die Schweizer Politik zentrale Zäsuren: die formelle Inklusion der Schweizer Bürgerinnen ins Feld des Politischen zum einen und die Skandalisierung der Nichtwahl von Christiane Brunner zur Bundesrätin als Ausdruck des faktisch noch immer andauernden Ausschlusses der Frauen von der politischen Macht zum andern. Erst die von Frauen erkämpfte Wahl von Ruth Dreifuss setzte der rein männlichen Zusammensetzung der Regierung ein Ende.

Mit der Verknüpfung von politik- und geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen reiht sich die Untersuchung ein in die kulturhistorisch geprägte «neue Politikgeschichte». Zentraler Begriff dieses Ansatzes ist die Macht, die im Sinne von Foucault alle sozialen Bereiche durchdringt. Ein- und Ausschlussregeln werden über Sprache vollzogen. Dabei fragt Amlinger anlehnend an Bourdieu, ob die neu ins Feld der Politik eintretenden Frauen von den dort bereits etablierten Männern als ebenbürtig anerkannt werden und damit zu vollberechtigten Akteurinnen avancieren. Mit James Scotts Ansatz des «hidden transcripts» verweist Amlinger auf die Möglichkeiten der Frauen als den in der geschlechterspezifischen Anordnung Unterworfenen, versteckt Kritik an den von den Machthabenden definierten Normen, Regeln und Praktiken zu äussern. Nach James Scott besteht allerdings in «rare momets of political electricity» die Chance, dass diese Kritik in öffentlich sichtbaren Widerstand kippt. Ein solches Moment war nach Amlinger die Nichtwahl Christiane Brunners. Mit Rekurs auf «hidden transcipts» zeigt sie, wie es die Frauenorganisationen schafften, ihre politischen Vorstellungen in das von Männern dominierte Feld der Parteipolitik einzubringen, aber auch – wie im Kontext des Brunner-Skandals – öffentlich Opposition zu markieren. Grundlegend für die Studie ist Joan W. Scotts Verständnis von Geschlecht als fundamentaler analytischer Kategorie. Der lange Ausschluss der weiblichen Bevölkerung von der politischen Mitbestimmung sowie die von Männern erschaffenen normativen Settings, Werte und Praktiken formierten die institutionelle Politik der Schweiz als einen, so Amlinger, «historisch bedingte[n], hochgradig entlang der Trennlinie Geschlecht strukturierte[n] Gesellschaftsbereich».

Nicht nur theoretisch, sondern auch methodisch geht die Untersuchung von heterogenen Ansätzen aus. Mit dem Deuten und Erklären von Texten geht die Autorin historisch-hermeneutisch vor, sucht aber in den Schriften der parteieigenen Frauenorganisationen zugleich über diskursanalytische Verfahren nach dominanten Wahrnehmungsund Deutungsmustern bezüglich Macht- und Geschlechterverhältnissen. Schliesslich ergänzen Oral-History-Interviews mit Exponentinnen der parteieigenen Organisationen den methodischen Mix.

In den drei Hauptkapiteln zu den Frauenorganisationen der SP, der FDP und der CVP wird jeweils nach der strukturellen Entwicklung, dem innerparteilichen Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern, den thematischen Schwerpunkten und politischen Tätigkeiten sowie dem Geschlechterdiskurs gefragt. Die Geschichte der parteiinternen Stellung der Sozialdemokratinnen, die sich als erste organisierten, ist dabei die interessanteste und vielfältigste. Galten bis in die 1930er Jahre bessere Arbeitsbedingungen, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Einführung der Mutterschaftsversicherung als wichtigste Anliegen, verengte sich der Fokus bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf Themen wie Familie und Mutterschaft, um sich nach 1945 wieder zu öffnen für eine verbesserte Absicherung in der AHV, das Frauenstimmrecht und die Lohngleichheit. In der Partei selber war das Gewicht der SP-Frauen gering, zwischen 1920 und 1950 wurde an den Parteitagen mit dem Frauenstimmrecht ein einziges Mal ein sogenanntes Frauenthema diskutiert. Viel einflussreicher war die Organisation auch nach 1950 nicht. Das Zusammenfallen der Einführung des Frauenstimmrechts mit den Anfängen der Neuen Frauenbewegung entfachte auch innerhalb der sozialdemokratischen Frauenorganisationeine Dynamik, die sich zu einer eigentlichen Streitkultur entwickelte. Gestritten wurde zum einen zwischen den Frauen selbst und mit den weiterhin tonangebenden Genossen zum andern. Das jahrzehntelange Einstehen für das Frauenstimmrecht machte die SP 1971 attraktiv für das parteipolitische Engagement von Frauenrechtlerinnen, die linken Aktionsformen und das Einstehen für den Schwangerschaftsabbruch attraktiv für feministische Aktivistinnen. Standen die älteren SP-Frauen diesen neu in die Partei eintretenden jungen Feministinnen eher abwartend bis ablehnend gegenüber, wurden die Frauenstrukturen durch deren Engagement längerfristig gestärkt. Der zunehmend konfrontativ geprägte Stil der SP-Frauen zwang auch die Parteileitung, sich mit dem Verhältnis von Sozialismus und Feminismus auseinanderzusetzen. Im neuen Verständnis war die unterprivilegierte Stellung der Frauen nicht mehr die Folge des Klassengegensatzes, sondern der patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Trotz Loyalität zur Partei scheuten sich die SP-Frauen nicht, mit Störaktionen an den Parteitagen Dissens öffentlich zu machen und so bereits in den 1980er Jahren die «hidden transcripts» zu durchbrechen. Durch den demonstrierten Kampfwillen konstruierten sie sich ein Selbstbild als ebenso feministische wie fähige politische Akteurinnen im Bourdieuschen Sinn. Sie forderten allerdings nicht nur die Genossen heraus. Als einzige Frauenorganisation einer Regierungspartei propagierten sie 1991 den Frauenstreik, eine Voraussetzung für den von der Basis getragenen Druck, der zur Skandalisierung der Nichtwahl von Christiane Brunner führte.

Die 1949 gegründete Vereinigung der freisinnigen Frauen trat 1950 der FDP bei. Die Partei ordnete ihr die sozialpolitischen Anliegen zu, akzeptierte die Frauen allerdings nicht als gleichwertige Staatsbürgerinnen. Noch 1959 konnte sich die FDP nicht zu einem Ja für das Frauenstimmrecht durchringen und beschloss Stimmfreigabe. 1967 nahm sie auf Anregung ihrer Frauenorganisation zwar die politische Gleichberechtigung ins Parteiprogramm auf, doch nur als Prozess, der schrittweise über die Kantone zu erfolgen sollte. Erst 1970, in Anbetracht der bevorstehenden Einführung des Frauenstimmrechts, empfahlen die Parteidelegierten die «Frauen sofort als vollberechtigte Mitglieder in die Partei aufzunehmen». Dennoch kümmerte sich auch nach 1971 einzig die freisinnige Frauenorganisation um die rund zwei Millionen Neuwählerinnen. Über die Gefahr, dass eine spezifische Frauenorganisation der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in der Partei Vorschub leistete, machten sich einige wenige Mitglieder durchaus Gedanken, so beispielsweise die ehemalige Präsidentin Regula Frei-Stolba: Die Männer hätten die unbequemen Themen abschieben und «sich den wesentlichen Fragen, nämlich Finanzen zuwenden» können. Trotz geringer Beachtung ihrer politischen Anliegen durch die Parteileitung und der Unterrepräsentation in den Machtpositionen kam es nur selten zu öffentlich ausgetragenen Konflikten, am medienwirksamsten bei Parteiaustritten wie dem der Bernerin Leni Robert oder der Thurgauerin Ursula Brunnen. Diese Konflikte brachen nach Amlinger nicht auf, weil sich «Frauen in Bereiche einmischten, die den Männern wichtig waren, sondern weil sie sich in Bereichen kompetent machten, die von Männern abgewertet wurden», also in entwicklungs-, sozial- und umweltpolitischen Fragen. Das Argument, diese Frauen politisierten zu links, erwies sich als eigentliche Disziplinierungsmassnahme, urteilt rückblickend eine weitere ehemalige Präsidentin gegenüber Amlinger. So hielten sich die Frauenorganisation mit Forderungen zurück und die Kritik blieb behutsam, die «hidden transcripts» wurden kaum durchbrochen. Das Selbstverständnis der freisinnigen Frauen war geprägt von der Selbstverantwortung des Individuums, einem Emanzipationskonzept, das die gleichberechtigte Integration und Partizipation der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen impliziert. So thematisierten sie neben der Gleichstellung in Bildung und Beruf dezidiert das neue Eherecht. Entsprechend dem Grundsatz «Gleiche Rechte, gleiche Pflichten» erörterten sie ebenso den Einbezug der Frauen in die Gesamtverteidigung wie die Erhöhung des Rentenalters der Frauen.

Leitparole der CVP-Frauen dagegen war «Partnerschaft» im Sinne der Ergänzung von Mann und Frau als gleichwertig, aber je anders. Familienpolitik war dabei ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten. Eine längerfristige organisatorische Struktur entstand nach verschiedenen Versuchen erst im Laufe der 1970er Jahre und hatte das Ziel, Wählerinnen zu gewinnen und die politische Schulung von Frauen voranzutreiben. Doch neben der Organisation der CVP-Frauen Schweiz setzten sich in den 1990er Jahren parteiintern weitere Stellen wie die Subkommission Gleichstellung von Frau und Mann für eine Verbesserung der Situation der Frauen ein. In deren Papieren tauchte erstmals auch der Begriff «Feminismus» auf. Und nach der Nichtwahl von Christiane Brunner kam es von Frauenseite zu heftiger Kritik an der Stellung der Frauen innerhalb der CVP. Als Reaktion darauf schuf die Partei eine Stelle für politische Frauenfragen, die sich dafür einsetzte, dass auch Männer sich der Frauenförderung anzunehmen haben. Dies sei eine existentielle Frage für die CVP, wenn sie nicht die Frauen und die Jungen an die Linke verlieren wolle. So gelang es den CVP-Frauen, im Gefolge von Frauenstreik und Brunner-Skandal innerparteilich vermehrt Einfluss zu nehmen, nachdem ihre Anliegen im ersten Jahrzehnt nach 1971 entweder kaum zur Kenntnis genommen worden waren, oder aber harsche Kritik erfahren hatten, so etwa die Unterstützung eines umfassenden Mutterschutzes. Denn die CVP-Frauen veröffentlichten seit 1983 bei allen nationalen Abstimmungen eigene Stellungnahmen. Zu Divergenzen zur offiziellen Parteilinie kam es in den Folgejahren bei der zehnten AHV-Revision, dem Einbezug von Frauen in die Gesamtverteidigung, beim neuen Eherecht oder bei der Vergewaltigung in der Ehe. Es ist auch dem Generationenwechsel in der Leitung der Frauenorganisation zu verdanken, dass sich diese nicht scheute, dezidiert von der Parteileitung abweichende Positionen einzunehmen. Der Brunner-Skandal fungierte als Katalysator für dieses zumindest teilweise Durchbrechen der «hidden transcripts». Parallel dazu rückten die CVP-Frauen immer deutlicher von der anfänglichen Differenzlogik und der Rhetorik der Partnerschaftlichkeit ab: Fortan wollten sie nicht nur bei sozialen und frauenspezifischen, sondern auch bei allen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen als gleichwertige Partnerinnen mitarbeiten.

In ihrer zusammenfassenden Konklusion verweist Amlinger mit einer kritischen Ergänzung nochmals auf die Bourdieuschen Ausführungen zum Feld der institutionalisierten Politik. Auch nach 1971 waren die formal gleichberechtigten Akteurinnen, obwohl sie sich vielfach an den normativ-diskursiven Rahmen des politischen Feldes angepasst hatten und die Spielregeln beherrschten, geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und Herrschaftsmechanismen unterworfen. Ihre mit der vorliegenden Untersuchung belegte These lautet, dass Geschlecht selbst als eine Art Zusatzkapital fungiert. Vor 1971 war Männlichkeit eine in der Bundesverfassung verankerte Kapitalform, doch änderte sich nach der Öffnung des Feldes Politik für die Frauen an den Machtverhältnissen trotzdem nur wenig: Männlichkeit blieb eine zentrale Kapitalform. «Bourdieus Opposition von Adaption und Paradigmenwechsel soll deshalb um die Alternative einer längerfristigen Transformation der Regeln und Normen erweitert werden», schliesst Amlinger. Denn einen solchen Wandel hat sie bei allen von ihr untersuchten Parteien nachzeichnen können, wenn auch in unterschiedlicher Form und in unterschiedlichem Ausmass.

Weil die Untersuchung bei allen drei Organisationen die gleichen vier Schwerpunkte behandelt, kommt es zu Redundanzen. Doch erst diese gleichförmige Strukturierung der Hauptkapitel ermöglicht den Vergleich, der für die Positionierung der Frauenorganisationen und ihrer unterschiedlichen Strategien bezüglich Zugang zu den Machtpositionen von der Jahrtausendwende bis heute höchst aufschlussreich ist. So leistet die Berner Historikerin eine differenzierte und aufschlussreiche Analyse der Entwicklung nicht nur der Frauenorganisationen, sondern auch der Parteien als Ganze.

Zitierweise:
Elisabeth Joris: Fabienne Amlinger: Im Vorzimmer der Macht? Die Frauenorganisationen der SPS, FDP und CVP, 1971–1995, Zürich: Chronos, 2017, Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 609-613.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 609-613.

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