“Forget about what others think. I tell everybody: I will be different every time. I am walking, I am flying!” Diese Aussage von Zam Zam Andia, einer der porträtierten Frauen, erfasst einen wichtigen Aspekt der von Fork Burke, Myriam Diarra und Franziska Schutzbach gesammelten Geschichten von Schwarzen Frauen in Biel – nämlich das Verlangen nach Selbstermächtigung und Selbstgestaltung. Ebenso werden in den Porträts die Forderungen nach Respekt, Solidarität und veränderten Sichtweisen auf Schwarze Menschen in der Schweiz (und darüber hinaus) erkennbar. Zugleich ist das Buch aber auch eine Hommage an eine Kontinente umfassende Black History, die für viele der Frauen prägend ist und eine Art Vermächtnis darstellt. Was die Dichterin und Literaturwissenschaftlerin Elizabeth Alexander die „bottom line blackness“ – also eine der Quintessenzen von blackness – in Bezug auf Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen von Schwarzen Menschen genannt hat1, zieht sich durch den Band hindurch: Es ist eine Geschichte von mal offener, mal subtiler Gewalt und dem daraus entstandenen Aufbegehren – trotz aller Unterschiedlichkeit der Schwarzen Frauen.
Der sorgfältig von Ursi Aeschbacher und Sasha Huber gestaltete und mit Porträts der Fotografin Anja Fonseka versehene mehrsprachige Band ist bislang eines der wenigen Bücher, die Schwarze Frauen und ihre Geschichten ins Zentrum stellen. Er lässt sie direkt zu Wort kommen und unverblümt ihre Erfahrungen in und mit der Schweiz und ihr Leben in der Stadt Biel darstellen.2 Entstanden ist das Buch als kollektives Projekt basierend auf mehrjährigen Begegnungen einer Gruppe von Frauen verschiedenen Alters, unterschiedlicher Herkunft und mit vielfältigen Lebensgeschichten und Vorstellungen. Während die einen in der Schweiz geboren wurden, sind andere etwa als hochqualifizierte Geflüchtete, als Au-pair oder über Heirat ins Land gekommen.
Gerahmt werden diese Geschichten durch einen Einführungstext von Jovita dos Santos Pinto und Melissa Flück, die den historischen Spuren Schwarzer Frauengeschichten in der Schweiz und in Biel nachgehen. Darin verweisen die Autorinnen auf die weit zurückliegende Präsenz Schwarzer Frauen im „weissen Raum“ der Schweiz wie auch auf die damit einhergehende Exotisierung, Sexualisierung und Prekarisierung vor dem Hintergrund der europäischen Kolonialgeschichte, die auch die Schweiz prägte. Ebenso thematisieren die Autorinnen die in den letzten Dekaden entstandenen Organisationen wie der „Treffpunkt Schwarzer Frauen“, „Women of Black Heritage“ (WBH) oder die sich seit den 1990er-Jahren entwickelnden Projekte, die sich auf migrantische und interkulturelle Anliegen fokussieren. Damit verdeutlichen die Autorinnen, dass Schwarze (feministische) Geschichte nie „lediglich Gewalt, Entmenschlichung und Tod“, sondern immer auch Widerstand ist und „die Möglichkeit [in sich birgt], sich die Welt auf eine andere, bessere Weise zu wünschen und [sie] damit auch ein Stück weit utopisch hervorzubringen“ (S. 65). Dies wird etwa in den Erzählungen der zwei Schwestern Thaïs und Myriam Diarra artikuliert: Als eine der ersten Kinder of color in Biel, konnten sie auf kein „gesichertes Wissen“ zurückgreifen, mussten immer wieder verschiedene Rollen einnehmen und Rassismus erst einmal benennen lernen: „Ich habe heute weniger Angst, in die Komfortzone anderer einzudringen, zum Beispiel indem ich sie auf ihr Verhalten hinweise und ihnen erkläre, was ich nicht akzeptiere. Ich habe heute Argumente und Fakten und kann erklären, warum bestimmte Dinge nicht tolerierbar sind. Und wenn Menschen nicht zuhören wollen, ist das nicht mein Problem.“ (Myriam Diarra, S. 139–140)
In den Porträts der Frauen wird deutlich, dass die Frauen sich aufgrund des Ausblendens und der Abwertung Schwarzen Lebens in der Schweizer Gesellschaft weder auf einen gemeinsamen gewachsenen Wissensstand noch auf eine gemeinsame Sprache berufen können. Dennoch, aus ihren verschiedenen Positionen und Berufen heraus, etwa als Poetin (Fork Burke), als Musikerin (Thaïs Diarra), als Politikerin und Aktivistin (die mittlerweile verstorbene Félicienne Lusamba Villoz-Muamba), als Sachbearbeiterin (Perpétue Kabengele) oder als Schülerin (Emma Moumbana), bringen die Frauen zwar unterschiedliche Geschichten, Erfahrungen und Weltsichten ein3, im Band nehmen sie in ihren Reflexionen zu weissen und schwarzen Körpern, zu Rassismuserfahrungen, zum Arbeits- und Schulalltag oder zu ihren Vergangenheiten und Zukunftsvisionen aber auch immer wieder Bezug aufeinander. So entsteht an manchen Stellen auch eine Verflechtung der einzelnen Beiträge, ein Zu- und Miteinander-Sprechen.
Die Beiträge zeugen eindrücklich von der Suche nach neuen Narrativen und Wegen – oder wie es die Künstlerin und Dichterin Fork Burke ausdrückt: „A truth we are – We are on these pages worlds and realms celebrating and challenging.“ (S. 120) Man kann den Herausgeberinnen und Beitragenden nur gratulieren – nicht nur für das schön gestaltete Buch, sondern vor allem für die Hörbarmachung einer facettenreichen Welt, die bislang in der Schweiz nicht genügend gehört wurde.
Anmerkungen:
1 Elizabeth Alexander, Can you be BLACK and Look at This?, in: Thelma Golden (Hrsg.), Black Male. Representations of Masculinity in Contemporary American Art, New York 1994, S. 91–110.
2 Siehe auch Eleonora Matare-Ineichen / Jürg Schneider / Bettina Zeugin, Black, Noir, Schwarz. Zwölf Porträts aus Basel, Basel 2002; Shelley Berlowitz / Elisabeth Joris / Zeedah Meierhofer-Mangeli (Hrsg.), Terra Incognita? Der Treffpunkt Schwarzer Frauen in Zürich, Zürich 2013.
3 Für erste Eindrücke siehe etwa: „Der Blick der anderen, das ist entscheidend“, in: Die Wochenzeitung (WOZ), 02.03.2017, https://www.woz.ch/-7827 (03.03.2021).