T. Notz: Quellen zur Schweizer Geschichte seit 1945

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Titel
Quellen zur Schweizer Geschichte seit 1945.


Autor(en)
Notz, Thomas
Erschienen
Bern 2018: hep Verlag ag
Anzahl Seiten
240 S.
von
Hans Utz

Die Sammlung «Quellen zur Schweizer Geschichte seit 1945» ist ein wertvolles Ergebnis studentischer Arbeiten an der PH Bern, welche der Gymnasiallehrer und PHDozent Thomas Notz initiiert, moderiert, redigiert und in eine für den Unterricht auf der Sekundarschulstufe II nutzbare Form gebracht hat. Er knüpft damit an die Quellensammlung «Das Werden der modernen Schweiz», Band 2, an, welche 1989 erschien und die Zeit ab 1914 bis Mitte der 1980er Jahre abdeckte. Die neue Quellensammlung umfasst nun inhaltlich kohärent die gesamte Nachkriegszeit. Im Vergleich zu früheren Sammlungen wird der Quellenbegriff deutlich ausgeweitet: Ton- und Film- sowie neue Quellenbestände werden nun berücksichtigt. So ist eine für den Unterricht willkommene Sammlung von knapp 200 Materialien über die Schweizer Zeitgeschichte entstanden.

Eine Quellensammlung will, einem Mosaik ähnlich, ein Geschichtsbild entwerfen, dessen Einzelteile sichtbar bleiben. Wie bei einem Mosaik kommt es dabei auf drei Komponenten an: (1.) die Qualität der Einzelteile, (2.) die Verbindungskraft zwischen ihnen und (3.) den Rahmen, den das Mosaik ausfüllen soll.

1. Die Qualität der Quellen besticht durch deren Vielfalt (Texte, Faksimiles, Karikaturen, Fotografien, Diagramme und Tabellen, Ton- und Filmquellen, welche über eine Linksammlung auf der Verlagsseite abzurufen sind). Jede Quelle umfasst eine Buchseite, ist also nicht einfach ein Schnipsel, aber bleibt überblickbar. Filmquellen sind mit Filmbildern festgehalten, Tonquellen transkribiert. Die Quellen sind vorbildlich nach Gattungen gekennzeichnet, ihre äusseren Daten einheitlich notiert und ihre Herkunft aus oft entlegenen Beständen hinten im Buch nachgewiesen. Die aufwändige Forschungsarbeit förderte im Wortsinn «exquisite» Quellen zutage, die durch ihren Interpretationsüberschuss faszinieren: Sie sind nicht einfach Belege für eine Aussage des Herausgebers, sondern entfalten ein Eigenleben. Wenn etwa eine Journalistin progressiv gegen das Konkubinatsverbot vom Leder zieht und gleichzeitig die 1967 noch diskriminierten Homosexuellen beneidet, weil sie unangefochten zusammenleben durften, stockt einem der Atem (Quelle 1.6). Bundesrat Enrico Celios Aussage von 1950: «Wir stehen am Beginn einer Periode der Arbeitslosigkeit» zeigt die Unvorhersehbarkeit der Geschichte (8.2). Die nüchterne Argumentation eines Gewerkschafters für die Senkung des Frauenrentenalters von 62 auf 60 (!) Jahre: «Einen alten Kellner […] nimmt jedermann in Kauf […]; bei der älteren ’Kellnerin’ […] ist die äussere Erscheinung vielfach geradezu bestimmend […]» macht bewusst, wie weit das Jahr 1964 zurückliegt (7.2). Nicht nur die Text-, sondern natürlich auch die Bild-, Film-, Tonquellen, Faksimiles, Diagramme, Karten und sogar «trockene» Tabellen enthalten erhellende Erkenntnisangebote (etwa 7.17). Die Schüler/-innen werden unmittelbar mit Quellen konfrontiert; bisweilen wären Begriffserklärungen hilfreich, etwa bei Statistiken (Beispiel 5.33) oder bei Namen (Beispiel 7.14). Den Lehrpersonen bietet das übersichtliche Handbuch eine ausführliche Erläuterung zu jeder Quelle mit einer Charakterisierung, einer Schilderung des historischen Zusammenhangs und weiterführender Literatur, die man zur neusten Schweizer Geschichte sonst mühsam zusammensuchen muss.

2. Zur Verbindungskraft unter den Mosaiksteinchen beziehungsweise den Einzelquellen: Die vorliegende Quellensammlung erfüllt die Voraussetzungen für die von der Fachdidaktik unter dem Stichwort «Interpretationskompetenz» geforderte Arbeit mit Quellensets statt Einzelquellen vorbildlich. Die Quellen ergänzen sich (Beispiel 5.6 und 5.7), überlappen sich (3.16, 3.17), widersprechen sich (6.5, 6.5; 7.3, 7.4), zeigen eine Entwicklung auf (6.3, 6.4) oder lassen sich aufgrund gleicher Ausgangslage fruchtbar vergleichen (6.14, 6.15). Ihre Anordnung legt eine Clusterung zu Sets nahe, aber drängt sie nicht auf. Wie bei einem Mosaik muss man die Zwischenräume zwischen den Quellen selbst füllen. So entstehen in den Köpfen der Schüler/-innen vielfältige Bilder der Schweizer Zeitgeschichte; bisweilen erscheint vergangene Zeitgeschichte ganz nah, wie in einer Warnung vor Atomkraftwerken aus dem Jahr 1947 (5.21), bisweilen ganz neu, wie in den Dokumenten über die Rolle der Schweiz während der Kubakrise 1962 aus der dodis-Dokumentation (8.5, 8.6, vgl. 8.7). Die virtuos assortierten Quellen vermitteln immer wieder neue Aspekte und lassen die Zeitgeschichte schillern.

3. Thomas Notz’ Mosaik füllt auch den thematischen Rahmen: Die acht Kapitel zum gesellschaftlichen Wandel, zur Parteienlandschaft, zur Wirtschaft, zur Migration, zum Thema «Energie, Verkehr und Umwelt», zur Sicherheits- und zur Aussenpolitik lassen kaum Lücken offen. Nicht nur wird die Schweizer Geschichte bis in die Gegenwart erfasst, sondern in den Statistiken oft auch der Vergleich mit dem Ausland ermöglicht. Für die Schüler/-innen interessant wären noch die beiden Themen Bildungslandschaft (Stichworte: Bildungseuphorie, Öffnung der weiterführenden Schulen für junge Frauen, Aufwertung der Berufslehre, Spezialisierungsmöglichkeiten usw.) und die Dritte Technische Revolution, in der sie stehen und die ihr Leben bestimmen wird. Aber keine der in der Sammlung enthaltenen Quelle möchte man missen und Geschichte bleibt bekanntlich immer unvollständig. Jedenfalls ist eine wertvolle Unterlage für den Unterricht entstanden, für welche wir Lehrer/-innen Thomas Notz dankbar sind; auch dessen Studierende, deren Arbeiten nicht einfach in der Schublade verschwinden, sondern in der Publikation gewürdigt und verdankt werden, haben vermutlich mehr als reine Theorie über die Quellenarbeit gelernt.

Das Werk ist ansprechend gestaltet und solide gebunden. Am Finish hätte noch etwas geschliffen werden können: Mindestens 18 orthografische oder Wortverwechslungsfehler lassen einen beim genauen Lesen, wie es für einen Quellentext nötig ist, stocken; die fehlende Transkription der Tonquelle 5.11 ist nicht einsichtig.

Zitierweise:
Hans Utz: Thomas Notz: Quellen zur Schweizer Geschichte seit 1945, Bern: hep, 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 604-606.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 604-606.

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