C. Opitz-Belakhal: Streit um die Frauen

Cover
Titel
Streit um die Frauen und andere Studien zur frühneuzeitlichen ›Querelle des femmes‹.


Autor(en)
Opitz-Belakhal, Claudia
Erschienen
Roßdorf 2020: Ulrike Helmer Verlag
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Inken Schmidt-Voges, Seminar für Neuere Geschichte, FB 06, Philipps-Universität Marburg

Im vorliegenden Band entfaltet Claudia Opitz-Belakhal das breite Panorama der Forschungen zur frühneuzeitlichen „Querelle des femmes“ wie auch die ungeheure Aktualität der darin verhandelten Gegenstände und Aspekte von Geschlechterdifferenz. Versteht man die „Querelle“ als einen Diskurs-Komplex, der immer wieder neu auf politische, soziale und gelehrte Herausforderungen zur Geschlechterfrage reagierte, wird ein in allen Phasen der Epoche stattfindender literarischer Schlagabtausch zwischen weiblichen und männlichen Schreibenden greifbar, der intensiv und mit spitzer Feder nicht nur die gesellschaftliche Verortung der Geschlechter, sondern vor allem die Teilhabe von Frauen an kollektiven Entscheidungsprozessen diskutierte.

Gegliedert ist das Werk nach einer Einleitung in 13 Kapitel, die vier größeren Themenkomplexen zugeordnet werden. In „Große Fragen“ (I) erfolgt zunächst eine Einordnung der „Querelle“ in die sozial- und geschlechtergeschichtlichen Kontexte. Außerdem wird eine diskursgeschichtliche Verortung und Charakterisierung der Themenkomplexe zur Sprechfähigkeit beziehungsweise Vernunftbegabung von Frauen sowie der Bedeutung und Problematisierung des Sündenfalls vorgenommen, mit dem sich die Verfasser:innen als Urgrund der Debatten um die Ungleichheit der Geschlechter befassten. Dann folgt im Abschnitt „Rede und Gegenrede“ (II) eine Analyse unterschiedlicher Akteur:innen und ihrer Positionen zur Frage von Gleichheit und Regierungsfähigkeit. Opitz-Belakhal entwirft insbesondere deren wechselseitige Verflechtungen und Abgrenzungen anhand der Schriften von Agrippa von Nettesheim, Jean Bodin und Marie de Gournay und spannt dabei den Bogen vom 15. bis ins 17. Jahrhundert. Es folgt nahezu im nahtlosen Übergang eine Verhandlung der „Gleichheitsdebatten in der Frühaufklärung“ (III). Die Schriften de Gournays werden wiederum aufgegriffen und in Bezug gesetzt zum bekannten Traktat „De l’égalité des sexes“ des Francois Poulain de la Barre, der – wie sehr unmittelbar greifbar wird – eben kein übersehener oder unbekannter Verfasser war, sondern intensiv von den Zeitgenossen rezipiert wurde. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hier auf der Debatte um die „Leidenschaften“ und ihre Transformation im frühaufklärerischen Denken. Abschließend behandelt der vierte Komplex „Die Revolution der Geschlechterordnung“ (IV), der sich dem großen Thema des Einflusses der Ereignisse und Strukturen der Französischen Revolution auf die Geschlechterordnung und die massiven Veränderungen nicht nur im Diskurs, sondern auch in der politischen und Rechtspraxis widmet.

Für das Buch greift Opitz-Belakhal auf eigene Studien zurück, acht der 13 Kapitel basieren auf bereits erschienenen Aufsätzen und Vorträgen, die hier in erweiterter, ausgearbeiteter und im Hinblick auf die Forschungslage ergänzter Fassung in die Publikation eingegangen sind. Notwendigerweise liegt aufgrund ihres Forschungsschwerpunkts ein starker Fokus auf den französischen Texten und Diskurskontexten, es werden jedoch immer wieder Verweise und Beziehungen zu anderssprachigen Beiträgen zur „Querelle“ gesetzt. Der vorliegende Band ist aber viel mehr als eine Versammlung von kleineren, im Laufe von 25 Jahren verstreut erschienenen Forschungen zum Komplex der „Querelle des femmes“ – neben der Einleitung ergänzen und verbinden die fünf neu geschriebenen Kapitel die unterschiedlichen Schlaglichter zu einem systematischen Überblick über die Entwicklungen der Geschlechterdebatten, ihre Einbindung in die politischen und kulturellen Transformationsprozesse während der Frühen Neuzeit sowie ihre unterschiedlichen Protagonist:innen und Textgattungen. Die Verschiebung von Begründungskontexten („Sündenfall“, „Leidenschaften“) lässt sich hier ebenso klar greifen wie die Verschiebungen im Bereich der politischen Teilhabe („Gynäkokratie“) und ihr Kontext in den Debatten um patriarchale Herrschaftskonzepte und „dynastischem Fürstenstaat“. Zugleich bietet der Band aber auch einen Einblick in die Entwicklung der Forschungen zur „Querelle des femmes“ im Kontext der Historischen Frauen- bzw. Geschlechterforschung, indem immer wieder auf „Klassikerinnen“ nicht nur der historischen Quellen verwiesen wird, sondern insbesondere der einflussreichen und impulsgebenden Forschungsarbeiten etwa von Simone de Beauvoir, Gerda Lerner, Elisabeth Gössmann, Gisela Bock oder Margarethe Zimmermann.

Der vorliegende Band ist daher sehr gut geeignet, Interessierte in die Thematik einzuführen, ihre lange Tradition zu entdecken und bietet insbesondere für die universitäre Lehre eine hervorragende Grundlage um – im besten Falle auch in Kombination mit der Einführung in die Geschlechtergeschichte derselben Autorin – Studierende an diesen Forschungskomplex und seine politische wie wissenschaftliche Aktualität heranzuführen. Darauf verweist Opitz-Belakhal auch selbst, wenn sie am Schluss der Einleitung ihre Publikationsabsicht als eine Form von Weitergabe des Staffelstabs formuliert, um „diese für eine junge Generation von HistorikerInnen wieder in Erinnerung [zu] rufen und damit der scheinbar so schwierigen und häufig unterbrochenen Traditionsbildung innerhalb der Frauen- und Geschlechtergeschichte der letzten vier Jahrzehnte (und darüber hinaus) ein bisschen auf die Sprünge [zu] helfen“ (S. 25).

In der Tat bieten die einzelnen Kapitel eine Vielzahl von Anknüpfungsmöglichkeiten an aktuelle Forschungsfelder, nicht nur im engeren Feld der geschlechterbezogenen Fragestellungen, sondern darüber hinaus. Verwiesen sei hier etwa auf die stark in Richtung der Politikgeschichte ausgreifenden „Queenship-Studies“, die mit ihren Forschungen zur tatsächlichen politischen Praxis von Frauen eine große Fülle an empirischen Studien und Material zu Tage fördern. Zugleich arbeiten sie immer deutlicher die Diskrepanz zwischen präskriptiven Diskursen und sozialer Praxis heraus und legen damit die vermachteten und vergeschlechtlichten Strategien und Techniken insbesondere der Hierarchie und Ungleichheit der Geschlechter betonenden Diskursbeiträger offen.1 Auch die „affectivity studies“ erweisen sich als ein sich dynamisch entwickelndes Feld, das insbesondere in seiner historisierenden Perspektivierung wichtige Impulse aus der „Querelle“-Forschung erhalten kann.

Nach wie vor ein großes Desiderat bildet die Wahrnehmung der Forschungen der feministisch ausgerichteten Geschichtswissenschaft, hier insbesondere auch der ideen- und diskursgeschichtlichen Erkenntnisse zur „Querelle“ und ihre Einbindung in die Großerzählungen der Ideen- und Politikgeschichte zu Staatsbildungsprozessen, Gesellschaftsvorstellungen oder internationaler Politik. Aber auch über die disziplinären und epochalen Grenzen hinweg wäre ein intensiverer Austausch insbesondere mit den Kolleg:innen der politikwissenschaftlichen Theoriebildung und Ideengeschichte oder der feministischen Staatstheorie in höchstem Maße wünschenswert. Vielfach bleibt trotz umfangreicher Forschungen der dem modernen Staatsbegriff inhärente Ungleichheitsbias in all seiner normativen Wirkmächtigkeit unreflektiert (vgl. etwa die aktuelle Debatte in den Critical Security Studies)2 beziehungsweise feministisch-kritische Ansätze finden hier viele Anknüpfungspunkte für offene Fragen und historisierende Perspektivierungen ihrer Thesen. Somit sei dieser Band nicht nur den „nachwachsenden“ Generationen von Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftler:innen ans Herz gelegt, sondern auch den „arrivierten“ mit ihren Möglichkeiten, wegweisende wissenschaftliche Impulse zu setzen.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu etwa die Arbeiten von Derval Conroy, Ruling Women. Vol. 1: Government, Virtue and the Female Prince in Seventeenth-Century France, New York 2016.
2 Melanie Richter-Monpetit / Alison Howell, Is Securitization Theory Racist? Civilizationism, Methodological Whiteness, and Antiblack Thought in the Copenhagen School, in: Security Dialogue 51/1 (2020), S. 3–22, sowie die Replik von Lene Hansen, Are ‘Core’ Feminist Critiques of Securitization Theory Racist? A Reply to Alison Howell and Melanie Richter-Montpetit, in: Security Dialogue 51/4 (2020), S. 378–385.