R. Günthart u.a.: Spanische Eröffnung 1936

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Title
Spanische Eröffnung 1936. Rotes Zürich, deutsche Emigranten und der Kampf gegen Franco


Author(s)
Günthart, Romy; Günthart Erich
Published
Zürich 2017: Chronos Verlag
Extent
203 S.
by
Christian Koller, Schweizerisches Sozialarchiv, Schweizerisches Sozialarchiv

Die Spanische Eröffnung gehört zu den häufig gespielten Zugfolgen am Beginn von Schachpartien. Um Schach geht es im anzuzeigenden Buch zwar nur am Rande, ohne das Spiel wären sich aber Walter Günthardt und Heinrich Bräm, zwei zentrale Protagonisten des Buches, möglicherweise nie begegnet. Die beiden hatten sich nämlich im linken Café Boy in Zürich-Aussersihl beim Schachspiel kennengelernt und schon bald zog Bräm als Untermieter bei der Familie Günthardt ein. Hier kommt dann die zweite Bedeutung der Spanischen Eröffnung ins Spiel: Der Putschversuch von Teilen des spanischen Militärs gegen die demokratisch gewählte Volksfront-Regierung im Juli 1936 mündete in einen dreijährigen Bürgerkrieg, der aufgrund seiner ideologischen Prägung, seiner «totalen» Kriegführung sowie seiner mannigfaltigen transnationalen Aspekte als Ouvertüre zum Zweiten Weltkrieg betrachtet werden kann. Zahlreiche Antifaschisten aus dem Ausland machten sich zur Unterstützung der bedrohten Republik auf den Weg nach Spanien. Zu den ersten von ihnen gehörten Walter Günthardt und Heinrich Bräm. Sie wurden indessen noch vor dem Grenzübertritt nach Frankreich von den Schweizer Behörden verhaftet. Bräm gelangte dann in einem zweiten Anlauf doch noch nach Spanien, während Günthardt keine weiteren Versuche zum Verlassen der Schweiz mehr unternahm.

Das anzuzeigende Buch ist in mehrerlei Hinsicht speziell: Zunächst weist es einen starken familiären Bezug auf. Der Autor Erich Günthart ist Sohn eines zentralen Protagonisten, die Literaturwissenschaftlerin Romy Günthart dessen Enkelin. Das Buch gerät aber gleichwohl nicht zur Familiengeschichte, sondern zu einem «Experiment» (S. 13), das sich an Clifford Geertz’ Konzept der «dichten Beschreibung» orientiert. Durch eine breite Quellenbasis sollen die Ereignisse des zweiten Halbjahres 1936 in chronologischer Abfolge möglichst nah an den im Zentrum stehenden Protagonisten beleuchtet werden. Tatsächlich beeindruckt das Buch durch eine sehr umfangreiche Quellenrecherche in staatlichen Archiven, dem Schweizerischen Sozialarchiv und dem Archiv für Zeitgeschichte, die ergänzt wird durch mündliche Zeitzeugenbefragungen sowie die Auswertung der eitgenössischen Presse, literarischer Werke und von Memoirenliteratur. Nichtsdestotrotz nimmt sich das Autorenduo auch die Freiheit, Lücken in der Quellenüberlieferung – viele Vorgänge spielten sich ja im Verborgenen ab und manche Spuren wurden bewusst verwischt – «erzählerisch zu füllen» (S. 16).

Nach und nach entwickelt sich so eine faszinierende Mikrostudie der Dreiecksdynamik zwischen dem linkssozialistischen und kommunistischen Milieu des Roten Zürich, deutschen Emigranten im Transit nach Spanien und den helvetischen Behörden in der Zeit zwischen August und Dezember 1936. Bekannte und weniger bekannte Figuren, deren Lebenswege sich in der zweiten Jahreshälfte 1936 überkreuzten, werden mit zahlreichen biographischen Vor- und Rückgriffen porträtiert. Aus den Reihen der Zürcher Linken gehören dazu nebst Günthardt und Bräm etwa der Spanienfreiwillige Rudolf Sigg, der Kunsthistoriker Hans Mühlestein und der prominente Kommunist und Spanienkämpfer Otto Brunner, seitens der deutschen Flüchtlinge der Kommunist Hans Beimler, der dann im Dezember 1936 in Spanien unter nach wie vor nicht geklärten Umständen ums Leben kam, und die kommunistischen Schriftsteller und Journalisten Hans Marchwitza, Hans Kahle und Ludwig Renn. Letzterer hatte vorübergehend in Günthardts Wohnung in Zürich-Wiedikon verkehrt und diesem eine Lithografie von Heinrich Zille geschenkt. Von all diesen Personen werden nicht nur die politischen Biographien und gegebenenfalls das literarische Wirken vorgestellt, sondern auch das familiäre Umfeld, die berufliche und finanzielle Situation in der wirtschaftlichen Krisenzeit der 1930er Jahre sowie Kontakte zu und Konflikte mit den Schweizer Behörden rekonstruiert.

Insgesamt ist Spanische Eröffnung 1936 ein faszinierendes Buch, das gut lesbar auf ungewöhnliche Art und Weise interessante Einblicke in die deutsche antifaschistische Emigration der frühen 1930er-Jahre, die Thematik der Schweizer Spaniensolidarität, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten Gegenstand verschiedener Publikationen sowie einer politischen Rehabilitationsdiskussion gewesen ist, sowie in ein spezifisches Milieu des generell relativ schlecht erforschten Roten Zürich vermittelt.

Zitierweise:
Christian Koller: Rezension zu: Romy Günthart, Erich Günthart, Spanische Eröffnung 1936. Rotes Zürich, deutsche Emigranten und der Kampf gegen Franco, Zürich: Chronos, 2017. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 600-601.

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Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 600-601.

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