K. T. Elsasser u.a.: Drei Weltrekorde am Gotthard

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Title
Drei Weltrekorde am Gotthard : Politiker, Unternehmer, Ingenieure, Tunnelbauer. Politiker, Unternehmer, Ingenieure, Tunnelbauer


Author(s)
Elsasser, Kilian T.; Grass, Alexander
Published
Baden 2016: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Extent
238 S.
by
Anna Amacher Hoppler

Das Postulieren von Rekorden, wie es das anzuzeigende Buch tut, ist eine zweischneidige Angelegenheit.1 Einerseits steht die Frage im Raum, ob das betreffende Ereignis oder die Errungenschaft tatsächlich einen Rekord darstellt, anderseits drängt sich die Frage auf, welche Bedeutung dem Rekord wirklich zukommt. Wenn Kilian Elsasser und Alexander Grass gleich drei Rekorde – und dann sogar noch Weltrekorde – in den Titel ihrer Übersicht setzen, ist eine gewisse Vorsicht geboten.

Georg Kreis’ Einleitung zeigt gleich zu Beginn, in welcher Perspektive «Drei Weltrekorde am Gotthard» zu lesen ist: mit einem Blick für die Berichtigung historischer Mythen (S. 9). So werden gewisse Gemeinplätze (S. 9) oder nicht so bekannte Facts, wie die Tatsache, dass der erste Vorschlag für einen Basistunnel bereits 1947 (!) vorgelegt wurde (S. 39), in der Geschichte der verschiedenen Gotthardtunnels durch kleine Hinweise auf den neusten Wissensstand korrigiert. In der Folge lesen sich die von Elsasser oder Grass geschriebenen Kapitel zum ersten Bahntunnel von 1882, dem Strassentunnel von 1980 und dem Basistunnel von 2016 als informative Übersichten. Die ersten drei Kapitel beschreiben relativ deskriptiv die drei Projekte und deren Umsetzung, dann folgen die Kapitel zu den technischen Herausforderungen und Innovationen beim Bau, zum Kontext, zu den Menschen und deren Arbeitsbedingungen und Gefährdungen auf den Tunnelbaustellen und schliesslich zur nationalen und internationalen Bedeutung der drei Tunnels. Ein Ausblick auf die Zukunft des ersten Bahntunnels durch den Gotthard, dessen Funktion nach der Inbetriebnahme des Basistunnels neu definiert werden muss, schliesst das Buch.

Wer sich eine stringente Argumentation gewohnt ist, wird sich mit dem Aufbau des Buches zuerst arrangieren müssen. Das stete Springen von erstem Bahntunnel 1882), zum ersten Autotunnel (1980) und schliesslich zum Basistunnel (2016) jeweils unter den oben beschriebenen Gesichtspunkten fordert der Leserschaft einiges an Konzentration ab. Allerdings erlaubt dieser Aufbau, das Buch nicht als Überblick, sondern als Lesebuch zu benutzen, in dem die Kapitel ohne Verständnisverslust einzeln gelesen und verstanden werden können. Die zahlreichen und guten, teils eher unbekannten Bilder mit informativen und interessanten Legenden sowie die Strukturierung der Kapitel durch klare Abschnitte mit aussagekräftigen Überschriften fördern das nicht-lineare Lesen und laden zum Schmökern ein.

Durch die steten zeitlichen Sprünge zwischen 1882, 1980 und 2016 wird allerdings das inhaltliche Verständnis erschwert. Dass die drei im Titel erwähnten Rekorde darin bestanden, dass die drei Tunnels jeweils die längsten Bahn- und Strassentunnels ihrer Zeit waren (S. 18, 75, 53), geht in der Fülle der andern Erzählstränge unter. Diese widmen sich unter anderem der technischen Leistungssteigerung – von der besten pneumatischen Schlagbohrmaschine beim ersten Bahntunnel (S. 66) zum Bohren mit Tungsten Karbid für den Strassentunnel (S. 77) zur grössten Tunnelbohrmaschine der Welt beim Basistunnel (S. 107) – oder den gesundheitlichen Risiken, denen die Arbeiter auf den Tunnelbaustellen ausgesetzt waren – von der «Gotthardkrankheit» 1882 (S. 124), zur Staublunge 1980 (S. 149) und den krebsfördernden Dieselabgasen 2016 (S. 159). Die politischen Bedingungen und ausschlaggebenden Argumente für den Bau der drei Tunnels änderten sich ebenfalls zwischen 1882, 1980 und 2016. Während der erste Bahntunnel durch den Gotthard erst beschlossen werden konnte, als Deutschland und Italien Interesse daran bekundeten (S. 177), sollte der Strassentunnel die Dörfer entlang der Gotthard-Passstrasse vom motorisierten Individualverkehr entlasten (S. 195). Der Basistunnel indes soll der Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene im Güter-Korridor Genua-Rotterdam dienen (S. 205). Diese Auswahl an Themen macht Sinn, lässt aber auch die Frage aufkommen – insbesondere angesichts des Untertitels «Politiker, Unternehmer, Ingenieure, Tunnelbauer» – ob denn gar keine Frau erwähnenswert gewesen wäre. Die Viertelseite über die Hotel- und Restaurantbesitzerinnen in Göschenen anno 1880 liesse sich durchaus thematisch erweitern.2

1 Vgl. Gordon Pirie, Editorial. Making transport history, in: The Journal of Transport History, 36/2 (December 2015), S. iii-v, hier S. iii.
2 Die «gendered perspective» ist nach wie vor auf der Agenda der Verkehrsgeschichte, vgl. Massimo Moraglio, Editorial. Seeking a (new) ontology for Transport History, in: The Journal of Transport History, Vol. 38(1), 2017, S. 3–10, hier S. 3.

Zitierweise:
Anna Amacher Hoppler: Rezension zu: Kilian T. Elsasser, Alexander Grass, Drei Weltrekorde am Gotthard. Politiker, Unternehmer, Ingenieure, Tunnelbauer, Baden: Hier und Jetzt, 2016. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 583-584.

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Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 583-584.

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