H. U. Jost: Von Zahlen, Politik und Macht

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Titel
H. U. Jost: Von Zahlen, Politik und Macht. Geschichte der schweizerischen Statistik


Autor(en)
Jost, Hans Ulrich
Erschienen
Zürich 2016: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
175 S.
von
Georg Kreis

Statistiken bilden nicht einfach Realitäten ab, es sind gemachte Realitäten. Das kann bei der Lektüre des vorliegenden Buches wieder bewusst werden, das die älteren Arbeiten weiterführt, die von Thomas Busset und Hans Ulrich Jost bereits 1995 vorgelegt worden sind. An der Ausarbeitung der jetzt vorliegenden Publikation ist Carlo Malaguerra, Direktor des Bundesamts für Statistik (BFS) und zentraler Akteur der Reformphase der Jahre 1987 bis 2001, beteiligt. Das Werk verfolgt die Entwicklung des Bundesamts und zeigt, wie die statistische Arbeit einerseits eine Professionalisierung erfährt und andererseits stets unabhängig bleibt, aber doch auch politischen Erwartungen ausgesetzt ist. Die vorliegende Studie befasst sich vor allem mit den Voraussetzungen der öffentlichen Statistik, sie interessiert sich im Prinzip aber auch für die Auswirkungen der öffentlich gemachten Zahlen. Die Rezeption der Statistiken insbesondere durch die Medien wäre ein eigenes Kapitel.

Ein besonderer Strang der allgemeinen Entwicklungsgeschichte ergibt sich aus der Ausfächerung der statistisch erfassten Bereiche, ausgehend von der klassischen Bevölkerungsstatistik bis hin zu komplexen, mit Verknüpfungen arbeitenden Fragestellungen etwa zum Lebenskostenindex, zur Arbeitsmobilität oder zur regionalen Disparität und Nachhaltigkeit. In verschiedenen Momenten der über 150-jährigen Geschichte wird deutlich, wie sehr der sich wandelnde gesamtgesellschaftliche Kontext für die Arbeit bestimmend war. Dazu gibt Jost etwa das folgende Beispiel: Erst im Jahr der Einführung des Frauenstimmrechts (1971) beginnt die Beschäftigungsstatistik des BIGA (Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit) nach Männern und Frauen zu unterschieden und eine Differenzierung vorzunehmen, «die schon Jahrzehnte früher hätten eingeführt werden sollen» (S. 90).

Weitere Erzählstränge betreffen die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Personal und Budgets) sowie die aufeinanderfolgenden Direktoren, später auch einer Direktorin. Diese scheinen einen bemerkenswert grossen Einfluss auf das Arbeitsverständnis des Amtes ausgeübt zu haben. Besonders interessieren kann die Frage, wie das auf einer mittleren Ebene angesiedelt Bundesamt sein Verhältnis einerseits zu den kantonalen Statistiken und andererseits zur internationalen Statistik gestaltet hat. Schon im 19. Jahrhunderts wurde die Forderung nach einem Ausbau der nationalen Statistik damit begründet, dass man mit dem Ausland «Schritt halten» müsse. Im Weiteren musste das Verhältnisse zu anderen Bundesämtern, die eigene Statistiken führten, sowie zu privaten Statistikproduzenten gestaltet werden.

Eine eigene Geschichte bildet die Entwicklung und Anwendung bestimmter Methoden. Die Volkszählung, wie sie seit 1860 durchgeführt wurde, erfuhr um 1990 wegen des im Vorjahr aufgedeckten Fichenskandals eine starke Infragestellung. Hinzu kamen wachsende Vorbehalte wegen des wachsenden Umfangs und Aufwands der Befragung. Alles in allem entsteht der Eindruck, dass um das Jahr 2000 die zuvor laufend ausgebaute Bundesstatistik ihren Scheitelpunkt überschritten hat und von dann an Rückbaubestrebungen ausgesetzt ist. Anstelle der Volkszählung mit Vollerhebung ist, vereinfacht gesagt, eine Stichprobenerhebung getreten. Bemängelt wird, dass die für die Schweiz als typisch erachtete Kleinräumigkeit («Granularität») damit nicht mehr erfasst wird. Rechtsnationale Kräfte forderten 2015 einen drastischen Abbau der Bundesstatistik und die Halbierung des Budgets. Dabei ging es ihnen nicht nur um Einsparungen, sondern auch um die Liquidation von Statistiken zu störenden Themen. Eine Schlussfolgerung könnte lauten, dass die Statistik aus einfachsten Anfängen im Laufe der Geschichte eine stete Qualitätssteigerung erfahren hat. In einem Postskriptum macht der Autor allerdings darauf aufmerksam, dass die ungeheure und leicht abrufbare Datenmenge auch zu Desorientierung in der Gesellschaft führen kann.

Zitierweise:
Georg Kreis: Hans Ulrich Jost: Von Zahlen, Politik und Macht. Geschichte der schweizerischen Statistik, Unter Mitarbeit von Carlo Malaguerra, Zürich: Chronos, 2016. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 569-570.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 569-570.

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