H. Ammann u.a.: Die Reformbestrebungen des Bischofs Hildebrand Jost

Titel
Die Reformbestrebungen des Bischofs Hildebrand Jost. Die Visitation der Diözese Sitten 1623–1626


Autor(en)
Ammann, Hans-Robert; Fibicher, Arthur
Reihe
Beihefte zu Vallesia / Cahiers de Vallesia
Erschienen
Sitten 2015: Archives de l'Etat du Valais / Staatsarchiv Wallis
Anzahl Seiten
334 S.
von
Marco Jorio

In der 2017 aufwändig begangenen 500-Jahrfeier zum Beginn der Reformation ging fast vergessen, dass auch die «alte Kirche» ihre Reformation erlebte. Die «katholische Reform», die mehr war als eine pure antiprotestantische «Gegenreformation», hatte ihre Wurzeln in den vorreformatorischen Reformbestrebungen und fand ihren Höhepunkt im Reformkonzil von Trient (1545–1563). Die Umsetzung der tridentinischen Reformen war aber ein langfristiger Prozess, der weit ins 17., ja bis ins 18. Jahrhundert reichte. Das Interesse an der katholischen Reform erlebt zurzeit, nach einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf, wieder eine (bescheidene) Renaissance.

Träger der Reformen waren neben den Orden tatkräftige Bischöfe, welche durch Mandate, Synoden und vor allem Visitationen ihrer Diözesen eine erneuerte Kirche aufbauten. In den Visitationsberichten lassen sich der Zustand der Pfarreien und die Reformbemühungen nachverfolgen. Viele sind noch nicht bearbeitet, aber einige wurden in letzter Zeit ediert und ausgewertet, so etwa von Jean-Pierre Renard in einem zweibändigen Werk die Visitationen des Basler Generalvikars und späteren Weihbischofs Thomas Henrici in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (2007). In diese Tradition reihen sich nun die beiden Bände zu den Reformbestrebungen und Visitationen des Sittener Bischofs Hildebrand Jost in den Jahren 1623 bis 1626 ein.

Hildebrand Jost (1585–1638) war der Sohn eines Schulmeisters, studierte unter anderem am tridentinisch geprägten Collegium Helveticum in Mailand (1605) und wurde bereits 1608 ins Sittener Domkapitel aufgenommen. 1613 wählten Domkapitel und Landrat den erst 28-Jährigen zum Bischof von Sitten, nachdem er zuvor auf die weltliche Macht über das Wallis verzichtet hatte. Von 1613 bis 1618 versuchte er vergebens, die weltliche Macht wieder zurückzugewinnen. Ab 1618 konzentrierte er sich auf die kirchliche Erneuerung: Er erliess ein Reformdekret für Pfarrer (1620), zahlreiche Mandate und Synodalstatuten (1626). In diese Reformzeit (1623–1626) fiel der zweite Zyklus von Visitationen in seiner Diözese, die er bereits 1615 bis 1618 ein erstes Mal und 1634 bis 1637 ein drittes Mal visitierte. Nach 1626 verhedderte er sich wieder im Kampf mit den «Patrioten» um die weltliche Macht, musste aber 1634 endgültig darauf verzichten.

Im reich illustrierten ersten Band werden zuerst die Visitationen selber vorgestellt, so das Itinerar (mit Tabellen und Karten) und der Ablauf einer Visitation. Auf der Basis der Visitationsberichte und anderer Dokumente aus jener Zeit wird in einem weiten Bogen das Bild der Walliser Kirche gezeichnet. Im Kapitel «Klerus und Volk» werden das kirchliche Personal aller Stufen, die Sakramentenspendung, die Lehrtätigkeit, die Verwaltungstätigkeit, der Lebenswandel, dann die Laien im kirchlichen Dienst, die Volksfrömmigkeit und die Disziplinierung des Volkes beschrieben. Wie in anderen Diözesen, etwa in Basel, war zu Beginn des 17. Jahrhunderts der im 2. Laterankonzil (1139) verfügte Zölibat noch keineswegs durchgesetzt und musste vom Bischof mehrfach angemahnt werden. Der Bischof kämpfte bei den Laien gegen Unzucht, Völlerei, Aberglaube und protestantische «Häresie», die im Wallis noch nicht völlig ausgerottet war. In einem dritten Teil wird die kirchliche Infrastruktur vorgestellt: Friedhöfe, Kirchengebäude, das Mobiliar, die liturgischen Geräte, die Paramente, der künstlerische Schmuck, die Reliquien und sogar die Wegkreuze und Bethäuschen. Dabei werden auch die zahlreichen Mängel, die der Visitator immer wieder feststellte, thematisiert. Im vierten Kapitel werden die materiellen Grundlagen der Kirche (Vermögen und Einkünfte) beschrieben und in sechs Tabellen für alle Pfarreien übersichtlich dargestellt.

Im zweiten Band, dem Quellenband, sind die lateinischen Visitationsberichte abgedruckt, welche als Abschriften ins Archiv der Luzerner Nuntiatur kamen und vermutlich nach der Aufhebung der Nuntiatur 1873 auf Umwegen in den 1920er Jahren ins Vatikanische Archiv gelangten. Die Originale sind beim Stadtbrand von Sitten 1788 vernichtet worden; einzelne finden sich noch in verschiedenen Walliser Archiven (Liste im Anhang). Die Berichte umfassen nur drei der sechs möglichen Rubriken eines ordentlichen Berichts, nämlich Titel, Mängelliste sowie Angaben zur wirtschaftlichen Lage der Pfarreien. Den 107 Visitationsberichten zu allen Walliser Pfarreien folgen 50 Mandate aus dem Mandatenbuch des bischöflichen Sekretärs Johannes Columbinus aus den Jahren 1620 bis 1622. Sie behandeln vor allem Disziplinarfragen des Klerus und die Umsetzung der tridentinischen Beschlüsse. Zum Schluss werden 47 Dokumente aus verschiedenen Walliser Archiven publiziert, welche die Reformbestrebungen von Bischof Hildebrand Jost illustrieren. Darunter befinden sich etwa die Visitationsberichte der Kathedrale und der Kirche Saint-Pierre in Sitten (1618), Auszüge der Synodalstatuten von 1626 (gedruckt 1635), die Organisation des bischöflichen Gerichts, Berichte von Nuntien, zwei Landrats- abschiede gegen die Reformierten sowie Güterinventare. Ein sehr nützliches Glossar zu den in den Visitationsberichten vorkommenden Begriffen (z.B. aerarius = Säckelmeister, Kirchenvogt) sowie ein Orts- und Personenregister beschliessen den Quellenband.

Den Reformbemühungen waren vorerst nur bescheidene Erfolge beschieden. Die Pfarreien liessen sich Zeit, die bei der Visitation festgestellten Mängel zu beheben, wie etwa der Fall von Granges aufzeigt, wo von den 35 im Jahr 1623 verzeichneten Gravamina 1637 deren 13 wiederholt wurden. Spätere Berichte belegen, dass die Reformen bei weitem nicht abgeschlossen waren. Noch 1642 berichtete Nuntius Girolamo Farnese nach Rom: «Ich fahre fort, die Kirche von Sitten zu visitieren. Sie ist in einer Verfassung, die schlimmer nicht sein könnte». Die beiden sorgfältig erarbeiteten Bände bieten ein umfassendes Bild der Walliser Kirche und Gesellschaft in den 1620er Jahren.

Zitierweise:
Marco Joriorn: Rezension zu: Hans-Robert Ammann, Arthur Fibicher, Die Reformbestrebungen des Bischofs Hildebrand Jost. Die Visitation der Diözese Sitten 1623–1626, Sitten: Staatsarchiv, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 2, 2018, S. 390-392.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 2, 2018, S. 390-392.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit