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Titel
Imprudent King. A new life of Philip II


Autor(en)
Parker, Geoffrey
Erschienen
New Haven 2014: Yale University Press
Anzahl Seiten
438 S.
von
Rudolf Bolzern

Keiner anderen monarchischen Gestalt des 16. Jahrhunderts ist in der Geschichtswissenschaft derart viel Aufmerksamkeit zuteilgeworden wie dem spanischen König Philipp II. Dies ist der damaligen herausragenden, weltweit geltenden Machtstellung Spaniens und der langen Herrschaftszeit von 42 Jahren (1556–1598) des Monarchen ebenso geschuldet wie dessen aufsehenerregendem politischen Handeln und der ständigen Kriegsführung mit einer Phase völligen Friedens an allen Fronten von insgesamt nur gerade einem halben Jahr! Die Spannweite der Urteile über ihn reicht von einer unkritischen Idealisierung bis hin zur nicht weniger einseitigen Verdammung als angeblich scheinheiligen Machiavellisten, fanatischen Eiferer und Despoten. Historiker und Historikerinnen verschiedener Nationalität haben sich an seinem Bild in der Geschichte abgearbeitet, besonders sorgfältig elaborierte Biografien stammen aus dem angelsächsischen Raum. Unter den Schülern des bedeutendsten Kenners der spanischen Geschichte zu Beginn der Neuzeit, Sir John H. Elliott, hat sich Geoffrey Parker, Professor an der Ohio State University, mit einer Vielzahl von Studien über das 16. und 17. Jahrhundert sowie mehreren Philipp II. gewidmeten Biografien profiliert. Die erste aus seiner Feder wurde 1978 publiziert. 2010 erschien das mit 1436 Seiten fast fünfmal umfangreichere Werk Fe- lipe II. La biografía definitiva. Vier Jahre später legte Parker die stark komprimierte englische Version davon vor.

Was rechtfertigt es, immer wieder neue Fassungen einer Lebensbeschreibung zu ver- öffentlichen? Im Fall des Sohns von Kaiser Karl V. ist es der Fortschritt der geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse, die neben den britischen und amerikanischen Autoren nun auch vermehrt Geschichtsforschende spanischer Herkunft erzielt haben. Parker wurde aber zudem in seinem Unterfangen, die Summe seiner Beschäftigung mit Philipp II. vorzulegen, durch die vor wenigen Jahren erfolgte Auswertung eines Bestandes von tausenden, zuvor unerschlossenen Dokumenten motiviert, die sich im Archiv der Hispanic Society of America in New York befinden.

Das Werk ist in fünf Teile gegliedert. Teil I ist der Jugend und den Lehrjahren Philipps II. gewidmet. Teil II weist ihn als überaus fleissigen, jeden Tag eine grosse Zahl von Dokumenten studierenden Politiker und Verwalter aus (nicht umsonst als «rey papelero» bezeichnet), als gläubigen Katholiken, der alle bedeutenden Ereignisse göttlicher Inter- vention zuschrieb und einem messianischen Imperialismus anhing. Schliesslich wird er als eifriger Sammler von Kunst, Büchern und Reliquien gezeigt, nicht zuletzt als Erbauer eindrücklicher Monumente, idealtypisch unter ihnen der Escorial, Palast, Kloster und Mausoleum zugleich. Teil III behandelt das erste Jahrzehnt der Herrschaft Philipps II., Teil IV. den «siegreichen» und Teil V den «besiegten» König. Inhaltlich den grössten Raum beansprucht der die Jahre 1568 bis 1585 betreffende Teil IV. 1568 markiert den Tiefpunkt des Regnums, mit den Tragödien um den Tod sowohl des Kronprinzen Don Carlos als auch der Königin Elisabeth von Valois, des Weiteren mit der Internationalisie- rung des Aufstands der Niederlande und der Rebellion der Morisken in Granada. Dann aber ist 1571 der gewaltige Erfolg des Sieges in der Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken zu verzeichnen, und nach dem Tod des kinderlosen Königs von Portugal gelang es Philipp II. 1578, dessen Thron zu erben. Damit verbunden war die Übernahme der Herrschaft über die ausgedehnten portugiesischen Kolonien in Afrika, Asien und Amerika. Die Vereinigung von Spanien und Portugal stellte für Philipp II. strategisch einen grossen Vorteil mit Blick auf die sich abzeichnende Konfrontation mit England dar. Die gemäss Parker grundlegende Fehleinschätzung Philipps II. bestand in der Folge darin, dass er alles auf eine Karte setzte. Mit der Armada holte er 1588 zum vernichtenden Entscheidungsschlag gegen England aus, bedachte aber nicht, wie unrealistisch sein Invasionsvorhaben war. Die Zusammenführung einer von Spanien auslaufenden Kriegsflotte mit einem in Flandern, hunderte von Kilometern entfernt, bereitstehenden Landheer war aufgrund der gänzlich ungenügenden Kommunikationsmöglichkeiten der damaligen Zeit zum Scheitern verurteilt.

Der Philipp II. mit Empathie begegnende Parker kommt nicht umhin, ihm wegen Starrsinn, Unbeugsamkeit und wiederholten Fehleinschätzungen das Epitheton «El Prudente», der Vorsichtige, abzusprechen, das ihm kurz nach dem Tod ein wohlmeinender spanischer Historiograph verliehen hatte. Die kontrafaktischen Szenarien, die Parker am Ende seines Werkes anstellt, sind mehr als fragwürdige Spekulationen. Nicht viel hätte gefehlt, oder um es mit Philipp II. zu formulieren: Es hätte jeweils nur eines «kleinen Wunders» bedurft, um den Sieg davonzutragen. Ein Grundzug seiner Politik war, dass ihn ein geringfügiger Verlust weit stärker schmerzte, als dass ihn ein grosser Gewinn zufriedenstellte. Die Aufgabe der Niederlande konnte in den Augen Philipps II. nicht durch die Genugtuung aufgewogen werden, dass er das spanische Imperium mit der Besitzvermehrung (Gewinn von Portugal und seinem ausgedehnten Kolonialreich) beträchtlich zu vergrössern und zu sichern vermochte.

Parker hat mit seinem «neuen Leben» Philipps II. ein ungemein facettenreiches, ausgewogenes und quellengesättigtes Bild des Monarchen vorgelegt. Sind wir nun im Besitz der definitiven Biografie Philipps II.? Das ist zu bezweifeln. Vielmehr ist anzunehmen, dass nicht nur neue Fragestellungen, sondern auch bisher noch nicht erschlossene Quellenbestände die Basis der Erkenntnisse erweitern. Zeugnisse aus türkischen Archiven sind nach wie vor äusserst rar, könnten aber sehr relevant sein, stellte doch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Osmanenreich die mit Abstand stärkste gegnerische Macht des spanischen Imperiums dar. Und eine weitere Biografie Philipps II. wird spätestens 2027 erscheinen, wenn sich sein Geburtstag zum 500sten Mal jährt.

Zitierweise:
Rudolf Bolzern: Rezension zu: Geoffrey Parker, Imprudent King. A new life of Philip II, New Haven, London: Yale University Press, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 2, 2018, S. 388-390.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 2, 2018, S. 388-390.

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