G. Jancke u.a. (Hrsg.): Die Ökonomie sozialer Beziehungen

Cover
Titel
Die Ökonomie sozialer Beziehungen. Ressourcenbewirtschaftung als Geben, Nehmen, Investieren, Verschwenden, Haushalten, Horten, Vererben, Schulden


Autor(en)
Fenske, Michaela
Erschienen
Stuttgart 2016: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
249 S.
Preis
nbn
von
Eric Häusler, Historisches Institut, Universität Bern

Die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes, Gabriele Jancke und Daniel Schläppi, stellen den Umgang frühneuzeitlicher Gesellschaften mit Ressourcen in den Mittelpunkt ihrer methodologischen und theoretischen Überlegungen. Sie verwenden den Begriff «Ressource», da dieser im Unterschied zu «Kapital» besser geeignet sei, um mitzudenken, dass instabile materielle und immaterielle Gütern erst von Potenz in Aktion überführt werden müssten. Zudem gehen sie grundsätzlich von einer untrennbaren Einheit wirtschaftlicher Transaktionen und sozialer Verpflichtungen aus, die sie als die «Ökonomie sozialer Beziehungen» bezeichnen. Damit verfolgen sie das Ziel, späteren empirischen Arbeiten eine neue Perspektive auf menschliches Wirtschaften anzubieten, die es erlaubt, interdisziplinär und jenseits der (vermeintlichen) Dichotomie von Wirtschafts- und Kulturgeschichte bisher unsichtbare historische Phänomene sichtbar zu machen.

Nach der Einleitung folgt unter dem Titel «Forschungsbezüge, Theorien und Methoden» der erste von drei Teilen. Hier plädiert zunächst der Mitherausgeber Schläppi «für eine Kultur- und Wirtschaftswissenschaft, die Gesellschaften auf der Grundlage von persönlichen Beziehungen wahrnehmen, beschreiben und verstehen will» (S. 40). Deswegen gelte es, nach den ökonomischen Logiken von Praktiken und Handlungsmotivationen zu fragen, die in der frühneuzeitlichen Gesellschaft nicht von sozialen Beziehungen zu trennen seien. Der folgende Beitrag von Christof Jeggle liest sich teilweise als kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Ökonomie sozialer Beziehungen und basiert – die Gliederung des Sammelbandes brechend – zur Hälfte auf Fallbeispielen. Dass die Frage nach dem Verhältnis von Märkten zur Ökonomie sozialer Beziehungen gestellt wird und der Markt dadurch als eine eigenständige «Figuration wirtschaftlicher Interaktion» (S. 88) und losgelöst von sozialen Beziehungen in Erscheinung tritt, irritiert, weil dies den konzeptionellen Überlegungen der Herausgeber zu widersprechen scheint.

Der zweite Teil besteht aus zwei Fallstudien, die sich mit dem Thema «Ressourcen im Transfer» beschäftigen. Andreas Pečar zeigt anhand des französischen Königshofs von Versailles und des habsburgischen Kaiserhofs in Wien, dass den Strategien des Hofadels im späten 17. und 18. Jahrhundert eine Status-Ökonomie zugrunde lag. Investitionen wurden demnach getätigt, um Statusgewinne für den einzelnen Amtsträger oder dessen Familie zu generieren und nicht nach rein ökonomischen Gesichtspunkten. Der Beitrag von Sebastian Kühn ist westlichen Gelehrtenhaushalten (Ehefrauen, Kinder, Angestellte und Diener eingeschlossen) um 1700 gewidmet. Er zeigt, wie Ressourcen mobilisiert wurden, indem sie unterschiedlichen Ökonomien des Tauschs, Kaufs und Haushalts entsprechend in Güter, Wissen oder Geld konvertiert wurden.

Den dritten und abschliessenden Teil zu «Beziehungslogiken» beginnt Gabriele Jancke mit ihrer Untersuchung zur Nutzbarmachung von Worten im Kontext von gelehrtem Wissen und Gastlichkeit im 16. und 17. Jahrhundert in Europa. Gelehrte wie Erasmus von Rotterdam oder Abraham Scultetus wussten ihre wissenschaftlichen Kompetenzen in Ruhm und Ehre, Kontakte, Empfehlungen und Status in der ständischen Gesellschaft umzuwandeln. Damit sie nicht nur ihren Lebensunterhalt finanzieren, sondern vielfältige Ressourcen aktivieren konnten, mussten Gelehrte erkennen, was gegebenenfalls als Ressource infrage kam und dies durch Praktiken im jeweiligen Wertgefüge durchsetzen. Margareth Lanzinger untersucht anhand von obrigkeitlich umstrittenen Verwandtenheiraten im 19. Jahrhundert das Verhältnis von Ökonomie und Liebe. Nur indem der Innsbrucker Carl Mörz sein ökonomisches Kapital, sein Wissen, seine sozialen Beziehungen und sein soziales Kapital – und damit sowohl materielle als auch immaterielle Ressourcen – einsetzte, gelang es ihm, den kirchlichen Dispens zur Heirat seiner Schwägerin Josepha Kircher zu erwirken. In seiner Analyse von Zwangsvollstreckungen von Schulden in der Schweiz im 19. Jahrhundert greift Mischa Suter hauptsächlich auf Beispiele aus dem Kanton Zürich zwischen 1830 und 1870 zurück. Er betrachtet zeitgenössische Konkursverfahren als «einen Prozess intensiver sozialer Klassifikation» (S. 186) und betont die relationale Dimension von Schuldbeziehungen, die trotz rechtlicher Regulierung zu Konfliktfällen führen konnten. Gerade deswegen lässt sich trotz einer liberalen Wende im Verfahren der Zwangsvollstreckung keine vollendete Modernisierung feststellen. Auch wenn zunehmend Techniken des Regierens auf Distanz eingesetzt wurden, boten personale Beziehungen Schuldnern Spielräume und behinderten soziale Verpflichtungen und Kollektivität effektive Schuldverfahren. Der folgende Beitrag von Claudia Jarzebowski untersucht auf der Grundlage von Briefen des nach Pennsylvania ausgewanderten Johann Diedrich Fahnenstück an seine in Westfalen zurückgebliebenen Verwandten die Bedeutung von Emotionen als Ressource im 18. Jahrhundert. Die Tatsache, dass keiner seiner Verwandten Zeit seines Lebens auf seine brieflichen Bitten reagierte und trotz vorgängiger Abmachungen nicht ebenfalls auswanderte, stellt den Einsatz des Ressourcenbegriffs in Frage. Dass die emotionalen, von Liebe zu seinen Verwandten und eventuell auch Einsamkeit im fremden Land geprägten Briefe Fahnenstücks von einem Nachfahren bei der Auswanderung 100 Jahre später genutzt werden, um transatlantische Familienbande zu belegen, dehnt den Ressourcenbegriff zu sehr. Im letzten Artikel des Sammelbandes analysiert Kristina Bake die Darstellung von ehelichem Zusammenleben in moralsatirischen Flugblättern des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Dank ihrer Quellenstudie wird klar, dass zeitgenössisch sowohl materieller Besitz als auch persönliche Eigenschaften und die Fähigkeit zu einer guten Haushaltsführung als Voraussetzungen einer glücklichen Ehe angesehen wurden.

Im Sinne einer «Zwischenbilanz des aktuellen Diskussionsstandes» (S. 8) stellt die Ökonomie sozialer Beziehungen eine interessante und forschungstechnisch produktive Perspektive dar.1 Es wäre wünschenswert gewesen, dass die Herausgeber ihre konzeptionellen Überlegungen nicht nur auf frühneuzeitliche Gesellschaften beschränkt hätten, da ihre «empirische Beobachtung eines für die Vormoderne ubiquitären Transfers unterschiedlichster Güter» (S. 17) wohl auch für andere Epochen zutrifft. Die Untersuchung von Kontinuitäten und Transformationen sollte stattdessen besser historischen Fallstudien, wie den zeitlich und chronologisch vielfältigen Beiträgen dieses Sammelbandes, überlassen werden. Die Offenheit des Ansatzes, das Insistieren auf den Bourdieu’schen Kapitalsorten anstelle des Ressourcenbegriffs in einigen Beiträgen und das von einigen Forschenden nicht eingelöste Ziel interdisziplinären Denkens (S. 41) offenbaren, dass es sich bei der Ökonomie der sozialen Beziehungen – durchaus zeitgemäss – nicht um ein grosses Metanarrativ oder ein grundlegendes Modell, sondern um eine ergänzende Perspektive handelt.

1 Dem vorliegenden Sammelband ging ein interdisziplinärer Workshop in Berlin 2010, ein Themenbeitrag für die Zeitschrift L’Homme (2011) und eine Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit in München 2013 voraus.

Zitierweise:
Eric Häusler: Rezension zu: Gabriela Jancke, Daniel Schläppi (Hg.): Die Ökonomie sozialer Beziehungen. Ressourcenbewirtschaftung als Geben, Nehmen, Investieren, Verschwenden, Haushalten, Horten, Vererben, Schulden, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 1, 2018, S. 169-171.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 1, 2018, S. 169-171.

Weitere Informationen