B. Degen u.a. (Hrsg.:) Zimmerwald und Kiental

Cover
Titel
Zimmerwald und Kiental. Weltgeschichte auf dem Dorfe


Herausgeber
Degen, Bernard; Julia, Richers
Erschienen
Zürich 2015: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
279 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Koller, Direktion, Schweizerisches Sozialarchiv

Die Grundzüge der Zimmerwalder Bewegung und der linkssozialistischen Antikriegskonferenzen von Zimmerwald (September 1915) und Kiental (April 1916) sind bekannt. Pünktlich zum hundertsten Jahrestag der Zimmerwalder Konferenz ist nun ein Werk erschienen, das die Geschichte der Zimmerwalder Bewegung einem breiteren Publikum vermittelt, aber auch für Spezialistinnen und Spezialisten manche neuen Facetten zutage fördert. In 14 Hauptbeiträgen werden die wesentlichen Entwicklungen, Kontexte und Nachwirkungen der beiden Konferenzen anschaulich beschrieben. Dazwischen vermitteln kürzere Beiträge Informationen zu den Biographien wichtiger Protagonistinnen und Protagonisten, zu Institutionen und Orten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den vielschichtigen schweizerisch-osteuropäischen Connections der Epoche.

Zwei Beiträge vom Markus Bürgi und Bernard Degen skizzieren zunächst die Ausgangslage bis im Sommer 1914. Daniel Marc Segesser leuchtet sodann die vielfältigen globalen Dimensionen des Weltkrieges aus, die von einer lange Zeit eurozentrischen Forschung in den letzten Jahren vermehrt aufgegriffen wurden und erst jetzt, mit hundertjährigem Abstand, auch in die populäre Geschichtskultur eingehen. Im Kontext des Themas des Bandes wäre es indessen auch nahe gelegen, stärker auf die Globalität von Widerstandsaktionen gegen den Krieg hinzuweisen, die beispielsweise von Antikriegsdemonstrationen in den USA bei Kriegsbeginn über bewaffnete Rebellionen gegen französische Truppenrekrutierungen in Westafrika und Algerien 1915/16 bis hin zu Massenstreiks in Teilen Australiens im September 1917 reichten.

Zwei Beiträge von Julia Richers beleuchten die Bedeutung der Schweiz als Exilland osteuropäischer Revolutionärinnen und Revolutionäre im späten 19. Und frühen 20. Jahrhundert sowie die Rolle der Stadt Bern als Zentrum von Geheimdiplomatie, Spionage und Konferenzen während des Ersten Weltkrieges. Bernard Degen behandelt in mehreren Beiträgen die Vorgeschichte, den Ablauf und die Folgen der beiden Konferenzen von Zimmerwald und Kiental, während Adrian Zimmermann auf die weniger gut bekannte «Konkurrenz aus dem Norden», die parallelen Bemühungen niederländischer und skandinavischer Sozialdemokraten um eine Wiederbelebung internationaler sozialistischer Kooperationen, hinweist. In diesem Teil des Buches hätte man sich noch einen zusätzlichen Beitrag zu (sozialistischen wie nichtsozialistischen) Friedensorganisationen, -konferenzen und -initiativen und deren Verhältnis zu den Zimmerwaldern gewünscht, in welchem etwa der Internationale Frauenfriedenskongress im Haag vom April 1915 und das Wirken des daraus hervorgegangenen Internationalen Ausschusses für dauernden Frieden oder das rasante Wachstum der Union of Democratic Control während des Krieges und ihr zunehmender Einfluss auf die britische Labour Party hätten thematisiert werden können.

Zwei abschliessende Beiträge von Julia Richers befassen sich mit der Memoria der beiden Konferenzen. Zum einen wird die Bedeutung von Zimmerwald als sowjetischer Erinnerungsort beleuchtet, die sich im Zeitalter des Kalten Krieges in einer Flut von Briefen sowjetischer Schulklassen ins bernische Bauerndorf manifestierte. Zum anderen rekonstruiert Richers den schwierigen Umgang der Gemeinden Zimmerwald und Kiental mit der Geschichte der linkssozialistischen Konferenzen auf ihrem Territorium. Ein knapp fünfzigseitiger Quellenteil rundet das gelungene Buch ab.

Insgesamt bietet das anzuzeigende Buch sowohl für ein breiteres Publikum als auch eine spezialisierte Leserschaft eine ausgezeichnete Einführung in die Thematik. Die Fülle an Informationen wird gut strukturiert und in einer Weise präsentiert, die auch eine auf individuelle Interessen zugeschnittene, selektive Lektüre erlaubt. Auf die vielfältigen transnationalen Verflechtungen der Schweiz vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg sowie ihre gewichtige Rolle in der Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung hingewiesen zu haben, ist ein weiteres Verdienst des Buches.

Redaktion
Veröffentlicht am
17.01.2019
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit