A. Agadjanian u.a. (Hrsg.): South Caucasus

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Titel
Religion, Nation and Democracy in the South Caucasus.


Herausgeber
Agadjanian, Alexander; Ansgar, Jödicke; Evert, van der Zweerde
Reihe
Routledge Contemporary Russia and Eastern Europe Series
Erschienen
New York 2015: Routledge
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Siegfried Weichlein, Departement Historische Wissenschaften - Zeitgeschichte, Universität Freiburg (Schweiz)

Der Kaukasus und insbesondere der südliche Kaukasus kann im postsowjetischen Zeitalter als ein Laboratorium für das Verhältnis von Religion, Politik und Gesellschaft verstanden werden. Nach dem Ende der Einparteienherrschaft aus Moskau kam die volle Heterogenität der verschiedenen Religionen und politischen Traditionen in diesem Raum zum Tragen, wo armenische Christen, georgischorthodoxe Christen, vor allen Dingen aber schiitische und auch sunnitische Muslime lebten und sich neue politische Ordnungen zu geben hatten. Es entstanden Religionsmärkte.

Diesem Laboratorium von Religion, Politik und Gesellschaft wendet sich der vorliegende Sammelband zu, der ein Ergebnis eines dreijährigen internationalen Projektes bildet, das eine Gruppe von jungen Wissenschaftlern aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien mit solchen aus anderen Ländern in einer Reihe von Workshops zusammenbrachte. Der Band dokumentiert die gemeinsame Arbeit zum Verhältnis von Religion, Nation und Demokratie im Südkaukasus. Der Herausgeber sind die Organisatoren dieses Projektes: Alexander Agadjanian von der Russischen Staatsuniversität für Geisteswissenschaften in Moskau, Ansgar Jödicke von der Universität Fribourg und Evert van der Zweerde von der Universität Nimwegen (Niederlande). Der Band untersucht nach den drei einleitenden theoretischen Orientierungen der Herausgeber (Teil I) in vier weiteren Teilen und zwölf Beiträgen das Verhältnis von Religion und Politik (Teil II), von Religion, Nationalismus und Erziehung (Teil III), die Thematik «Kulturelle Werte und Demokratie» (Teil IV) und den internationalen Kontext (Teil V). Zur besseren Orientierung enthält er ein umfangreiches Register.

In seiner theoretischen Einleitung gibt Ansgar Jödicke einen Überblick über theoretische Modelle, Religion und Politik auf einander zu beziehen und führt in die Religionsproblematik im Südkaukasus ein. Die wichtigste Theoriesprache, um das Verhältnis von Religion und Politik zu beschreiben, bildete bisher die Modernisierungstheorie. Ihre Engführungen und Schwierigkeiten werden in der Einleitung deutlich herausgearbeitet. Vor allen Dingen die politische Modernisierungstheorie verstand Religion und Modernisierung als Gegensätze, was in einer vergleichsweise linearen Säkularisierungstheorie seinen Ausdruck fand. Je weiter die Modernisierung voranschritt, desto mehr sollte Religion verschwinden. Hierfür finden sich im Südkaukasus zwar Beispiele, aber auch Gegenbeispiele. So folgt in Georgien etwa die Stadtbevölkerung häufiger religiösen Ritualen als die Landbevölkerung. Andere sehen die Pointe der Modernisierungstheorie in der Modernisierung der Religion selbst. Jedoch finden sich für diese Beobachtung aus westlichen Gesellschaften vergleichsweise wenige empirische Belege im Südkaukasus. Insgesamt bleiben die Herausgeber skeptisch gegenüber dem Verständnis von Religion als einer Funktion so¬zialer Prozesse. Die nachfolgenden Beiträge beschreiben das armenische Christentum, die georgische Orthodoxie und die aserbaidschanischen Schiiten nicht als Resultanten gesellschaftlicher Prozesse, sondern vielmehr wie sie aktiv Gesellschaft gestalten.

Aserbaidschan, Armenien und Georgien sind religiös zwar nicht homogen, dennoch bestimmen Mehrheitsreligionen ihre Religionsmärkte: in Aserbaidschan zu 65 % die Schiiten, in Armenien die Armenian Apostolic Church (AAC) und in Georgien die Georgian Orthodox Church (GOC). In allen drei Gesellschaften gibt es klar definierte religiöse Mehrheitsorganisationen. Der Zugang zu den Religionsmärkten wird in Aserbaidschan besonders stark bewacht, da islamische Neuzugänge als potentiell oppositionell gelten. In allen drei Gesellschaften tragen die Mehrheitsreligionen die staatliche und gesellschaftliche Ordnung. In der georgischen Orthodoxie herrscht sogar das Territorialprinzip des georgischen Staates. Dennoch sind Religion und Politik nicht identisch. Jödicke vergleicht sie mit Brüdern, die misstrauisch und manchmal feindlich sein können (20). Gerade weil die Mehrheitsreligionen so eng mit der Gesellschaft verflochten sind, können sie in die Politik als Quasi-Staatsreligion oder als Opposition eingreifen. Skeptisch gegenüber einer linearen Säkularisierungstheorie interpretiert Jödicke diese Kämpfe nicht als Rückfall hinter, sondern als Ausdruck von Modernität. Wer sich mit den Religionsmärkten im Kaukasus in Zukunft beschäftigt, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

Zitierweise:
Siegfried Weichlein: Alexander Agadjanian/Ansgar Jödicke/ Evert van der Zweerde, Religion, Nation and Democracy in the South Caucasus (= Routledge Contemporary Russia and Eastern Europe Series), New York, Routledge, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 481-482.

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