M. Höchner: Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren

Cover
Titel
Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren im 18. Jahrhundert.


Autor(en)
Höchner, Marc
Reihe
Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 18
Erschienen
Göttingen 2015: V&R unipress
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Benjamin Hitz

Die Quellengrundlage der vorliegenden Arbeit bilden – wie es schon der Titel besagt – Selbstzeugnisse von Solddienstoffizieren, insbesondere Briefe und autobiografische Texte. Nach einer kurz gehaltenen Einführung zum eidgenössischen Solddienst und den verwendeten Quellen folgt ein breites Spektrum an Themen aus dem Alltag des Solddienstes. Aus der Garnison etwa wechselten sich Berichte zum positiven Verhältnis zu den «Gastgebern» ab mit Klagen über den langweiligen Garnisonsort. Neben Ausbildung, Inspektionen und der Mühseligkeit des Exerzierens kam die Freizeitgestaltung zur Sprache (so auch die Eroberung von Frauen, deren man sich brüstete, S. 59). Die vielen Bitten um Geldsendungen waren gepaart mit Debatten zur richtigen Lebensführung, denn der Vorwurf der Liederlichkeit war ständig präsent. Die Beobachtung von Natur, Kultur und Technik durch die Offiziere hätte sich mit Hilfe von spezifischer Literatur zu Reisebeschreibungen in einen grösseren Kontext stellen lassen. Ausführungen zum Heimweh, mit dem durchaus auch gespielt wurde, schliessen das Kapitel zu den Friedenszeiten ab.

Nebst den Ausführungen zur Mühsal der Märsche und zum mal drakonischen, mal milden Umgang mit Deserteuren (besonders nachsichtig geahndet wurde die Desertion eines Offiziers) nahmen die Berichte von den Schlachten viel Raum ein: Das Weiterkämpfen trotz (detailliert dargestellten) Wunden unterstrich die eigene Tapferkeit. Höchner kann aufzeigen, wie sich die Schlachtbeschreibungen der Offiziere an den offiziellen Schlachtbeschreibungen orientierten, um dem «Chaotischen und Unübersichtlichen» (S. 102), dem sie auch mit dem Motiv der Unbeschreiblichkeit begegneten, eine Struktur zu geben. Sehr interessant ist die Beobachtung, dass das Erleiden grosser Verluste in der Schlacht positiv gewertet wurde, stand es doch im Widerspruch zu den wirtschaftlichen Interessen der Offiziere. Im Umgang mit dem Tod stellt Höchner eine fatalistische Haltung fest.

Diese zwei Kapitel zum Alltag zeichnen sich durch eine schnelle, oftmals sprunghafte Abfolge von Themen aus, in der die Quellenzitate leider allzu oft nur dazu dienen, das Vorkommen von aus der Literatur bekannten Themen zu belegen. Da sich die bisherige Forschung stark an der Schicht der Militärunternehmer und den eidgenössischen Eliten orientierte, kann sich die Arbeit inhaltlich kaum neu positionieren. Das Spezifische der Selbstzeugnisse und der in der Einleitung eingeführte Erfahrungsbegriff werden kaum aufgegriffen. Den Ausführungen zu Religion und konfessionellen Unterschieden im folgenden Kapitel folgt das Thema der Ehre, die differenziert wird: Innere Ehre drückt sich durch besondere Fähigkeiten nicht zuletzt auf dem Schlachtfeld aus, während äussere Ehre sich auf Statussymbole wie Uniform und Rang bezieht. Gerade Letzteres war für die Offiziere zentral, hatte man doch bestimmte Erwartungen an die Reihenfolge der Ernennungen (und drohte als Verhandlungsstrategie mit Demission). Die gesellschaftliche Ächtung der häufig vorkommenden Duelle schliesslich drückte sich höchstens darin aus, dass sich alle als eigentlich unwillig zum Kampf darstellten.

Unter dem etwas enigmatischen Titel «Das Schweizerische in den Selbstzeugnissen» werden in Kapitel 8 einerseits die Kompaniewirtschaft als Familienunternehmen und andererseits ein republikanisches Nationalbewusstsein der Offiziere untersucht. Höchner zeigt an Beispielen die Familiennetzwerke bei der Finanzierung und Rekrutierung von Kompanien auf. Die Versuche, Kompanien in der Hand der Familie zu halten, sowie die Karriereplanung der Offiziere dienten dabei langfristigen Familieninteressen.

Ein nicht weiter ausgeführtes «aristokratisch-republikanisches Ideal» (S. 170) und ein gemeinsames Geschichtsbild bildeten die Basis für das Nationalbewusstsein der Offiziere. In den Selbstzeugnissen kommen ein Pflichtgefühl sowie (militärische) Vorteile für die Heimat zur Sprache. Leider problematisiert Höchner hier den Nationsbegriff zu wenig, verweist auf S. 169 gar auf die deutsche «(Sprach-)nation», statt die Ambiguität des Nationsbegriffs zu thematisieren und die Frage zu stellen, wie sich der Dienst für fremde Fürsten mit nationalem Ehrbewusstsein verträgt.

Ein Grossteil des Kapitels zu Krisen und Kritik am Solddienst umfasst ereignisgeschichtliche Darstellungen zur Rolle der Eidgenossen in den Erbfolgekriegen des 18. Jahrhunderts und beim Tuileriensturm von 1792. Die Kriegsereignisse zeigen, wie gering die Chancen standen, vertragswidrige Verhältnisse wie die Verwendung in der Offensive zu verhindern. In den Quellen erweisen sich die Offiziere als apolitisch, wenn Solddiensteinsätze in der Eidgenossenschaft umstritten waren. Der Abschnitt zu den Solddienstdebatten stellt die wichtigsten Motive der Kritik im 16. und im 18. Jahrhundert dar. Die meisten Offiziere gingen jedoch nicht darauf ein (S. 226); die historischen Werke ehemaliger Offiziere verteidigen den Solddienst, während die Kritik von Minderprivilegierten zeigt, dass oft fehlende Aufstiegsmöglichkeiten, aber keine grundsätzlichen Überlegungen am Ursprung der Kritik standen. Weitgehend unbelegt ist die Aussage, dass Befürworter und Gegner des Solddienstes ein «ähnliches Vokabular» verwendeten, das Ausdruck einer «aristokratisch-republikanischen Prägung» war (S. 229).

Während Höchners Buch insgesamt einen breiten Überblick über die Eliten im eidgenössischen Solddienst gibt und damit einen guten Einstieg in die Thematik vermittelt, werden zwei Aspekte vermisst: Erstens hätte eine stärkere Ausrichtung der Arbeit an Charakter und Funktion der Quellen, basiert auf einer gründlicheren Einführung dazu, dem Werk gutgetan. Zweitens wurden viele Gelegenheiten ausgelassen, selbst Position zu beziehen, etwa wenn auf S. 25 die Frage diskutiert wird, ob der Begriff «Söldner» angebracht ist, bei der Bewertung der finanziellen Chancen und Risiken eines Offizierspostens (S. 64) oder zur (mehrfach aufgezeigten) Abhängigkeit von den Dienstherren (S. 225).

Zitierweise:
Benjamin Hitz: Rezension zu: Marc Höchner, Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren im 18. Jahrhundert, Göttingen: V&R unipress, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 1, 2016, S. 170-172

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 66 Nr. 1, 2016, S. 170-172

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