S. Bott u.a. (Hrsg.): Neutrality and Neutralism in the Global Cold War

Cover
Titel
Neutrality and Neutralism in the Global Cold War. Between or Within the Blocs?


Herausgeber
Bott, Sandra; Hanhimäki, Jussi M.; Schaufelbuehl, Janick Marina; Wyss, Marco
Reihe
Cold War History
Erschienen
Abingdon 2017: Routledge
Anzahl Seiten
XIV, 224 S.
Preis
€ 54,80
URL
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Sibylle Marti, Historisches Institut, FernUniversität Hagen

Der Sammelband befasst sich mit unterschiedlichen Formen und Themen von Neutralität und Neutralismus. Diesen beiden Begrifflichkeiten und den damit verbundenen Konzepten liegen – wie die Herausgebenden einleitend ausführen – verschiedenartige Geschichten zugrunde. Neutralität (neutrality) ist als politisches Konzept europäisch geprägt. Es reicht bis in die frühe Neuzeit zurück und wurde mit den Haager Konventionen völkerrechtlich kodifiziert. Demgegenüber entwickelte sich das politische Konzept des Neutralismus (neutralism) bzw. der Bündnisfreiheit (non-alignment) erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Dekolonisation, als die im globalen Süden neu entstehenden Länder eine eigenständige Position zwischen den rivalisierenden Blöcken des Kalten Krieges suchten. Im Band finden sich Fallbeispiele zu europäischen Neutralen, zur Bewegung der Blockfreien Staaten sowie zu Kooperationen zwischen Ländern des globalen Südens einerseits und nördlichen und südlichen Staaten andererseits. Damit liegt zum ersten Mal ein Sammelband vor, der den Umgang mit Neutralität und Neutralismus im globalen Kalten Krieg vergleichend analysiert.

Die Beiträge des ersten Teils beschäftigen sich mit der Entstehung und Entwicklung von Neutralität und Bündnisfreiheit. Jussi M. Hanhimäki gibt einen Überblick über die Neutralität(-spolitik) Österreichs, Finnlands, Schwedens und der Schweiz. Die Westbindung der Schweiz und von Schweden als traditionelle Neutrale war so weitgehend, dass mitunter von einer militärischen Erweiterung der NATO die Rede ist. Demgegenüber handelte es sich bei der Neutralität Österreichs und Finnlands um Nebenprodukte des Kalten Krieges. Während Neutralität die sowjetische Bedingung für den Österreichischen Staatsvertrag von 1955 bildete, versuchte Finnland mit seinem neutralitätspolitischen Kurs wieder freundschaftliche Beziehungen mit der UdSSR zu etablieren. Vor allem zu Beginn des Kalten Krieges wurden diese verschiedenen Formen der europäischen Neutralität von den Supermächten kritisch beurteilt. Später gelang es den ‚westlichen Neutralen‘ aber, eine international relativ bedeutende Rolle einzunehmen und – so die These – gewissermaßen als Geburtshelfer der Entspannungspolitik zu fungieren.

Rinna Kullaa widmet sich den außenpolitischen Beziehungen zwischen Jugoslawien, Finnland und der UdSSR. Wie der Beitrag argumentiert, verfolgten sowohl Finnland als auch Jugoslawien das Ziel, sich einer Eingliederung in den sowjetischen Block zu entziehen. Finnlands Form der Neutralität bezweckte, gute Beziehungen mit der UdSSR aufzubauen und zugleich den Status als souveränes, nichtkommunistisches Land zu wahren. Finnland verzichtete deshalb auf eine Mitgliedschaft in einem westlichen Sicherheitsbündnis und bemühte sich gleichzeitig um Handelskooperationen mit Ost und West. Demgegenüber suchte Jugoslawien nach seinem Ausschluss aus der Kominform eine führende Rolle auf dem internationalen Parkett, um seine Unabhängigkeit von der UdSSR zu sichern, und fungierte 1961 als einer der Initiatoren für die Gründung der Bewegung der Blockfreien Staaten.

Eric D. Pullin analysiert die US-amerikanischen Propagandamaßnahmen, die im Zusammenhang mit der Bandung-Konferenz 1955 darauf abzielten, die Gründung einer neutralistischen, postkolonialen Bewegung asiatischer und afrikanischer Staaten zu verhindern. Die Tatsache, dass viele der teilnehmenden Länder wenig Interesse an der Bildung eines dritten Blocks zeigten, brachten die USA zur Überzeugung, dass vom Konzept der Bündnisfreiheit eine geringe Gefahr ausgehen und Indien nicht zum Anführer eines dritten Blocks aufsteigen würde. Wie der Beitrag zeigt, betrachteten die USA diesen Ausgang als eigenen Propagandaerfolg – und übersahen dabei, dass zwischen den partizipierenden Nationen schon zuvor Uneinigkeiten bestanden, die gemeinsame Positionierungen verunmöglichten.

Svetozar Rajak befasst sich mit der Rolle Jugoslawiens bei der Gründung der Blockfreien-Bewegung. Titos Antrieb, mit bündnisfreien Ländern zu kooperieren, war der internationalen Isolation geschuldet, in die Jugoslawien seitens der UdSSR gedrängt wurde. Ende der 1950er-Jahre, als die Dekolonisation Fahrt aufnahm, besuchte Tito zahlreiche asiatische und afrikanische Staaten, um diese von seiner Idee der Bündnisfreiheit zu überzeugen. Ein zentrales Moment vereinter Aktion stellte eine von Tito, Nasser und Nehru zusammen mit weiteren Vertretern der ‚Dritten Welt‘ eingebrachte Resolution an die UNO-Generalversammlung von 1960 dar, die ein Treffen zwischen Chruschtschow und Eisenhower verlangte. Diese Initiative offenbarte – so ein wesentliches Argument des Beitrags – das Potential einer Bewegung der Blockfreien als Alternative zum bipolaren System des Kalten Krieges.

Lorenz M. Lüthi unternimmt eine Neuinterpretation der Blockfreien-Bewegung während der 1960er-und frühen 1970er-Jahre. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten betont er die Differenzen und Uneinigkeiten zwischen Indien, Jugoslawien und Ägypten, den ursprünglichen Promotoren der Bewegung, die nun vermehrt nationale Interessen verfolgten. So nahmen Indien und Ägypten aufgrund ihrer Konflikte mit China bzw. Israel keine klare Haltung zur Atomwaffenfrage ein, und Jugoslawien schwankte zwischen Nähe und Distanz zur sozialistischen Welt. Dadurch verlor sich der gemeinsam propagierte internationalistische Charakter der Blockfreien-Bewegung. Bereits zu Beginn der 1970er-Jahre schaffte es diese deshalb nicht mehr, bei Konflikten in der ‚Dritten Welt‘ einheitliche Positionen zu vertreten.

Einen anderen Akzent setzt Jürgen Dinkel in seinem Beitrag zur Entwicklung der Blockfreien-Bewegung in den 1970er-Jahren. Er vertritt die These, dass in diesem Jahrzehnt nicht nur deren Institutionalisierung stattgefunden habe, sondern die Bewegung im Zuge des aufbrechenden Nord-Süd-Konflikts auch zu einem wichtigen Akteur der internationalen Politik avanciert sei. Die Auseinandersetzungen zwischen ‚Entwicklungsländern‘ und Industrienationen seien deshalb für die Entstehung der Bewegung ebenso bedeutend gewesen wie der Ost-West-Konflikt und die Dekolonisation. Um ihre Interessen gegenüber dem globalen Norden zu stärken, kam es zu Kooperationen zwischen Ländern des globalen Südens sowie zu gemeinsamen Aktionen der Mitgliederländer, beispielsweise innerhalb der UNO. Gegen Ende des Jahrzehnts gelang es den westlichen Staaten allerdings erfolgreich, die Einheit der Bewegung zu brechen und diese wesentlich zu schwächen.

Die im zweiten Teil präsentierten Beiträge zeigen, wie Neutralität und Neutralismus als Ressourcen in der diplomatisch-politischen Praxis eingesetzt wurden. Wolfgang Mueller und Maximilian Graf beleuchten wenig bekannte Initiativen des neutralen Österreichs, als Mediator im Vietnamkrieg zu fungieren und Wien als Gastort für Friedensgespräche anzubieten. Die Autoren erläutern, dass die Supermächte Neutralität(-sbestrebungen) von Verbündeten der feindlichen Seite durchaus beförderten, um den gegnerischen Block zu schwächen. Österreichs Initiativen des Jahres 1968 blieben letztlich trotz Gesprächen mit Nordkorea, der UdSSR und den USA erfolglos. So war Nordvietnam an diplomatischen Kontakten lediglich im Hinblick auf eine Anerkennung als Staat interessiert, während die UdSSR versuchte, Österreich zu einer Verurteilung der USA zu bewegen. Letztere wiederum wollten verhindern, dass sich zu viele Länder in Friedensverhandlungen einmischten.

Chris Saunders befasst sich mit der Unterstützung der Bewegung der Blockfreien und einiger europäischer Neutralen, allen voran Schweden, für die South West Africa People’s Organisation (SWAPO), die ab Mitte der 1960er-Jahre für die Unabhängigkeit Namibias von der südafrikanischen Besatzungsmacht kämpfte. Der Beitrag zeigt auf, dass die Blockfreien-Bewegung bei der Internationalisierung der Namibia-Frage innerhalb der UNO eine zentrale Rolle spielte. Als bedeutsam erwies sich auch das Engagement Schwedens, das die SWAPO ab Anfang der 1970er-Jahre aus antirassistischer Motivation insbesondere finanziell unterstützte. Letztlich waren für die Lösung des Namibia-Konflikts in den späten 1980er-Jahren aber gemeinsame Bemühungen der Supermächte ausschlaggebend.

Nikolas Glover widmet sich der noch wenig beachteten ersten Phase von Schwedens Entwicklungshilfe. Mitte der 1950er-Jahre war Schwedens technische Hilfe für Länder der ‚Dritten Welt‘ stark an den Ausbau von privaten Handelsinteressen gekoppelt. Schweden versuchte dabei, seine Neutralität gegenüber den vormals kolonisierten Ländern als kommerziellen Vorteil einzusetzen. Mit der politischen Mobilisierung der ‚Dritten Welt‘ zu Beginn der 1960er-Jahre hielt die schwedische Regierung diese enge Verknüpfung von Handel und Hilfe nicht mehr für opportun. Der Autor legt dar, dass Schweden als neutraler Staat politische Interessen mit Ländern der ‚Dritten Welt‘ teilte und Entwicklungshilfe nun als Teil der Außen- und Sicherheitspolitik betrachtete. Gleichzeitig bestand eine gewisse Ambivalenz, da Schweden als Industrieland eindeutig Teil der westlichen Wirtschaftssphäre war.

Ursina Bentele und Sacha Zala analysieren den strategischen Einsatz der Neutralität in den noch weitgehend unerforschten Beziehungen der Schweiz zu verschiedenen Ländern Lateinamerikas. Die schweizerische Herausforderung bestand darin, in Lateinamerika eigene ökonomische und politische Ziele zu verfolgen, ohne die USA zu verstimmen. Die Schweiz nutzte ihre neutrale Position geschickt, indem sie entweder auf bilateralem Weg Finanzhilfe anbot oder an multilateralen Initiativen wie Entschuldungs- oder Entwicklungsprogrammen partizipierte. Auch durch die Interessenvertretung für die USA in Kuba konnte sie Beziehungen aufbauen, die sich für eigene Zwecke auszahlten. Der Beitrag zeigt, wie die schweizerische Neutralität als äußerst flexibles Instrument fungierte, das je nach Situation und Interessenkonstellation unterschiedlich interpretiert und eingesetzt wurde.

Christine Hatzky nimmt die bislang in ihrer Bedeutung unterschätzte zivile Zusammenarbeit zwischen Kuba und dem marxistisch orientierten Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA), dem Sieger der angolanischen Unabhängigkeitsbewegung, in den Blick. Ab Anfang der 1970er-Jahre entwickelte Kuba ein neues Verständnis von internationaler Solidarität, das über politische und militärische Hilfe hinausging. Um die Macht der MPLA nach der Unabhängigkeit zu konsolidieren, entsandte Kuba zwischen 1975 und 1991 50.000 Zivilisten als ‚sozialistische‘ Entwicklungshelfer nach Angola, um Know-how in verschiedenen Gesellschaftsbereichen zu vermitteln. Damit steht das Fallbeispiel – so die These – exemplarisch für eine eigenständige, dynamische Süd-Süd-Kooperation.

Im Fazit des Bandes betont Jussi M. Hanhimäki, dass die Existenz von Neutralität bzw. Bündnisfreiheit auf die den internationalen Beziehungen inhärente Komplexität verweist – auch oder gerade während der Blockkonfrontation. Dabei gelang es den neutralen und blockfreien Staaten allerdings nicht, kohärente Alternativen zu entwerfen, die das bipolare System des Kalten Krieges grundsätzlich herausforderten. Daraus zu schließen, Neutralität und Bündnisfreiheit seien wirkungslos geblieben, greife indessen zu kurz. In Fragen betreffend Nord-Süd-Beziehungen, internationale Entwicklungspolitik oder Konfliktlösung in der ‚Dritten Welt‘ spielten die europäischen Neutralen und die Blockfreien-Bewegung eine aktive Rolle. Zudem unterminierte die Nicht-Akzeptanz der bipolaren Weltordnung die Legitimität des Kalten Krieges als Grundstruktur der internationalen Ordnung.

Der Band verdeutlicht beispielhaft, als wie vielfältig sich Neutralität und Bündnisfreiheit während des Kalten Kriegs präsentierten und dass es sich dabei nicht um statische, sondern um dynamische Politiken und situative Strategien handelte, die fortlaufend an neue Verhältnisse adaptiert wurden. Die Fallstudien decken eine große Bandbreite von Beispielen aus zahlreichen Ländern auf verschiedenen Kontinenten ab, die auf unpublizierten, nicht ausgewerteten Archivquellen sowie mitunter auf oral history-Interviews basieren. Die Beiträge überzeugen dabei dadurch, dass sie vielfach bislang wenig bekannte Beziehungen und Kooperationen zwischen Staaten in den Blick nehmen und nicht in erster Linie die Supermächte fokussieren. So stellt der Band ein gelungenes Beispiel für die geforderte Dezentrierung des Kalten Krieges dar. Es ergeben sich fruchtbare Überschneidungen zwischen einzelnen Fallstudien, die Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven und Blickwinkeln beleuchten. Insgesamt leistet der Band einen grundlegenden Beitrag zu den Funktionen, Konzepten und Wahrnehmungen von Neutralität und Neutralismus während des globalen Kalten Krieges.

Redaktion
Veröffentlicht am
05.04.2018
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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