M. Matthias Märkle: Jüdische Studenten an der Universität Tübingen

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Titel
Jüdische Studenten an der Universität Tübingen 1807 bis 1871. Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte 23


Autor(en)
Märkle, Matthias
Erschienen
Jüdische Studenten an der Universität Tübingen 1807 bis 1871 2013: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
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Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Heiko Haumann, Departement Geschichte, Universität Basel

1776 schrieb sich zum ersten Mal ein jüdischer Student für ein Studium an der Universität Tübingen ein. Es dauerte 30 Jahre, bis ihm 1807 der nächste folgte. In den nächsten Jahrzehnten waren es dann insgesamt mindestens 148 Studenten jüdischer Herkunft – darunter einige getaufte oder konvertierte –, wie Matthias Märkle in seiner Magisterarbeit an der Universität Tübingen herausgefunden hat. Seine Untersuchung, die hier in einer erweiterten Fassung vorliegt, endet 1871 mit der Reichsgründung, die neue Rahmenbedingungen mit sich brachte. Überwiegend stammten die Studenten, wie auch an anderen Universitäten, aus Handelsfamilien, doch waren auch intellektuelle Berufe der Väter sowie – im Unterschied zu anderen Universitäten – verhältnismässig viele Handwerker und Bauern vertreten. Dies dürfte daran liegen, dass ein Teil der Studenten aus Landgemeinden Württembergs kam. Die meisten studierten Medizin oder Jura, mit Abstand gefolgt von «Mosaischer Theologie» – von christlichen Dozenten unterrichtet – und Philosophie/Philologie. Obwohl nur eine Minderheit der jüdischen Studenten koschere Nahrungsmittel zu sich nahm, verstanden sie sich offenbar doch als Gruppe. Anscheinend gab es auch einen eigenen Verein, über den aber nur wenig bekannt ist. Abgeschlossen lebten sie allerdings nicht, eher nahmen assimilatorische Tendenzen zu. Mehrere freundschaftliche Kontakte zu nicht-jüdischen Studenten sind überliefert, und die Mitgliedschaft in einer Verbindung war durchaus üblich. Im Unterschied zur Zeit nach 1871 hat sich nur ein Fall einer antisemitischen Äusserung gegenüber einem jüdischen Studenten in den Quellen niedergeschlagen. Dieser hatte ein Duell zur Folge, das glücklicherweise keine Opfer forderte, aber eine Solidarisierung der Verbindung mit ihrem angegriffenen Mitglied bewirkte. Ebenfalls «nur» in einem Fall haben sich antijüdische Äusserungen eines Professors erhalten. Hingegen erwiesen sich derartige Vorurteile bei der späteren Berufslaufbahn der Studenten als wesentlich stärker. Nicht zuletzt aufgrund eines entsprechenden Drucks liessen sich mindestens neun ehemalige Studenten taufen.

Matthias Märkle hat eine äusserst gründliche personengeschichtliche Forschung vorgelegt, die er auch knapp in den historischen Kontext stellt. Im Anhang sind alle Angaben, die er finden konnte, für jeden Studenten einschliesslich des Erstimmatrikulierten von 1776 aufgeführt. Exemplarisch stellt er einige – wie Marum Samuel Mayer oder Berthold Auerbach – ausführlicher vor, über deren Lebensweg zusätzliche Quellen vorhanden sind. Diese Biographien hätten vielleicht noch stärker als Ausgangspunkt für eine umfassendere Analyse dienen können. Auch sonst bleiben Fragen offen, die Märkle im Rahmen dieser Arbeit nicht beantworten konnte. So wäre eine genauere Untersuchung der Herkunftsfamilien wünschenswert, um noch schärfer die Veränderungen zu fassen, die durch das Studium und die neuen Berufe in der jüdischen Gesellschaft eintraten. Für die weitere Forschung ist die Studie aber eine wichtige Grundlage. Darüber hinaus ist sie für alle, die sich für die Geschichte der Juden und der Universität sowie für die Möglichkeiten einer Mikroanalyse interessieren, ausgesprochen lesenswert.

Zitierweise:
Heiko Haumann, Elzach-Yach: Rezension zu: Matthias Märkle, Jüdische Studenten an der Universität Tübingen 1807 bis 1871, Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 502-503.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 65 Nr. 3, 2015, S. 502-503.

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