F. Furter u.a.: Stadtgeschichte Baden

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Titel
Stadtgeschichte Baden.


Autor(en)
Furter, Fabian; Meier, Bruno; Schaer, Andrea; Wiederkehr, Ruth
Erschienen
Baden 2015: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

Anfang 2013 suchte die Stadt Baden in einer öffentlichen Ausschreibung ein Autorenteam, das innert zwei Jahren eine neue Überblicksdarstellung über die Geschichte der Stadt schreiben sollte. Die Publikation des Buches war für 2015 vorgesehen. Dieser ambitionierte Zeitplan war nur möglich, weil in Baden kompetente Historikerinnen und Historiker leben und arbeiten, die für diesen Auftrag infrage kamen. Ein Quartett von ausgewiesenen Fachleuten im Alter von 33 bis 53 Jahren erhielt den Auftrag und legte termingerecht ein Buch vor, das auf einem gut durchdachten und überzeugenden Inhaltskonzept basiert.

Die Archäologin Andrea Schaer liefert mit dem ersten Kapitel den Auftakt zum Buch. Sie schildert auf rund 90 Seiten die Geschichte der Badekultur in Baden von der römischen Zeit bis in die Gegenwart. Die warmen Thermalquellen am Limmatknie bildeten den ersten Siedlungskern und gaben Baden bereits in römischer Zeit den Namen (zuerst Aquae Helveticae, ab dem Mittelalter Baden). Andrea Schaer leitete 2009 bis 2012 die Ausgrabungen der Kantonsarchäologie Aargau, die neue Erkenntnisse zu den römischen Bädern lieferten. Untersuchungen in den teilweise baufälligen Badehotels und schriftlichen Quellen führten ausserdem zu Entdeckungen wie einem Baderaum aus dem Mittelalter im Hotel Ochsen. Die Besucher der Bäder stammten aus nah und fern; die Bäder waren auch ein wichtiger Grund, dass die Habsburger im Hochmittelalter hier ihre Verwaltung ansiedelten und dass sich später die Tagsatzung hier versammelte. Ab dem Ersten Weltkrieg blieben die Kurgäste zunehmend aus, und in den letzten Jahrzehnten gerieten die Badeanlagen in eine Krise. Baden vermochte sich bisher nicht im Wellnessboom des 21. Jahrhunderts neu zu positionieren. Seit einigen Jahren liegt zwar ein Neubauprojekt des Architekten Mario Botta vor, die Finanzierung ist jedoch noch nicht gesichert.

Der Historiker und Verleger Bruno Meier schrieb das zweite Kapitel, das vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert führt. Im Mittelalter entstand ein zweiter Siedlungskern zwischen der Burg Stein und der Limmatbrücke. Dieser Stadtteil war im 14. Jahrhundert Verwaltungszentrale der westlichen Länder der Habsburger. Mit der Eroberung der Stadt durch die Eidgenossen 1415 ging diese Funktion verloren. Dafür war Baden nun bis zum Zweiten Villmergerkrieg 1712 Tagsatzungsort der Eidgenossenschaft. Die Kleinstadt Baden nahm mit ihrer Lage und als Puffer zwischen den Machtzentren Zürich, Bern und der Innerschweiz eine wichtige Rolle ein. 1798 bis 1803 war Baden Hauptstadt des gleichnamigen Kantons, der die früheren gemeinen Herrschaften im Osten des Aargaus umfasste. Dieses Gebilde wurde 1803 in den Kanton Aargau eingegliedert.

Das Kapitel Baden wird zur Industriestadt stammt ebenfalls von Bruno Meier. Bis 1890 gab es in Baden bloss einige kleinere Industriebetriebe. Erst 1891 mit dem Verkauf von Industrieland zwischen Altstadt und dem Bäderquartier an die beiden Winterthurer Ingenieure Walter Boveri und Charles Brown begann eine neue Ära für die Stadt Baden. Die beiden waren auf der Suche nach einem geeigneten Standort für eine Fabrik für elektrotechnische Anlagen und hatten ein Startkapital von 0,5 Millionen Franken beschafft. Die Firma war sofort sehr erfolgreich und beschäftigte um 1900 bereits gegen 2000 Arbeiter. Diese Zahl verdoppelte sich bis zum Ersten Weltkrieg. Damit wandelte sich Baden von einer etwas verschlafenen Kleinstadt zu einem dynamischen Industrieort. Im 20. Jahrhundert war die Firma BBC wirtschaftlich, gesellschaftlich und städtebaulich ein wichtiger Akteur, der auch internationales Flair nach Baden brachte. Als nach 1950 das Industrieareal vollständig mit Produktionshallen und weiteren Gebäuden überbaut war, expandierte die BBC an andere Standorte im östlichen Aargau (Turgi und Birr). Die Fusion mit dem schwedischen Asea-Konzern zu ABB 1987 und die Verschiebung der Industrieproduktion in billigere Länder führten zum Abbau von Arbeitsplätzen am Standort Baden und zum Verkauf von Produktionssparten an andere Firmen, wie der Alstom. Da ABB hier die Konzernzentrale ansiedelte, blieben nach einer längeren Umbauphase Tausende qualifizierte Arbeitsplätze erhalten.

Die Germanistin und Historikerin Ruth Wiederkehr präsentiert auf gut 60 Seiten verschiedene Badener Lebenswelten. Dazu gehören die religiösen Milieus von Katholiken, Protestanten und Juden. Die katholische Stadt Baden hatte insofern eine Sonderstellung, als die über sie herrschenden Orte Bern, Zürich und Glarus ab 1712 alle protestantisch waren. Sie liessen 1714 zwischen Altstadt und Bäderquartier eine reformierte Kirche errichten, die vorwiegend von Tagsatzungsgesandten und Badegästen genutzt wurde, da es in Baden keine reformierte Kirchgemeinde gab. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts zogen Juden aus dem nahen Surbtal nach Baden, wo sie vorwiegend als Kaufleute und Händler tätig waren. Das Kapitel geht auch auf Aspekte des kulturellen Lebens ein mit Theatern, Kino, Konzerten, aber auch auf die Jugendkultur und den Alltag der Gastarbeiter im 20. Jahrhundert.

Im abschliessenden Kapitel behandelt der Architekturhistoriker Fabian Furter die Siedlungsentwicklung seit Mitte des 19. Jahrhunderts. In der Limmatklus gab es wenig Flächen zur Expansion auf dem Gemeindegebiet Badens. Deshalb verlagerte sich das Wachstum der Wohnbevölkerung nach 1890 zu einem grossen Teil in die Nachbargemeinde Wettingen östlich der Limmat und entlang der Ausfallachsen des Verkehrs. Furter behandelt auch die Stadt- und Verkehrsplanung mit einem Schwergewicht in der Zeit nach 1945. Angesichts des starken Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums nach 1950 stellten sich neue Herausforderungen für den Bahn- und Strassenverkehr. Futuristische Projekte wie ein totaler Neubau der Aussenquartiere und ein Strassenring mit neuen Brücken rund um die Stadt von 1965 kamen jedoch nicht zur Ausführung.

Die Autorinnen und Autoren legen eine Stadtgeschichte vor, die Baden in allen Epochen behandelt. Die Geschichte der Bäder, der Tagsatzung und der Industrie seit 1890 erhalten dabei viel Platz und Gewicht. Als roter Faden zieht sich das Merkmal einer weltoffenen Stadt von römischer Zeit bis zur Gegenwart durch, die im Sog des Grossraums Zürich eine eigenständige Identität behalten hat. Mit dieser Schwerpunktsetzung erhält Baden ein klares historisches Profil. Zudem wird das Buch auch für Aussenstehende zur interessanten Lektüre, da es nicht einfach Themen behandelt, die sich in jeder Ortsgeschichte in ähnlicher Form nachlesen lassen. Der einzige Nachteil der Schwerpunktsetzung liegt darin, dass einzelne Themen, wie die Politik, nur rudimentär abgehandelt sind. Als Auflockerung sind 15 Personenporträts von bedeutenden Badenerinnen und Badenern aus allen Jahrhunderten über den Band verteilt. Diese Texte zeigen exemplarisch, wie einzelne Menschen die Entwicklung der Stadt entscheidend beeinflusst haben. Mit dem Umfang von 342 Seiten und einem Format von knapp einer A4-Seite bleibt das Buch handlich. Die gut ausgewählten Illustrationen tragen ebenfalls zur Qualität der Publikation bei. Vier Vogelschaupanoramen, welche die Stadt und ihr Umland in den Jahren 200, 1600, 1920 und 1980 zeigen, lassen zudem die räumliche Entwicklung ausgezeichnet nachvollziehen. Der Einband kommt in weissem Leinen und schwarzer Prägeschrift ausgesprochen schlicht daher. Die Publikation verzichtet damit auf ein einprägsames Bild als Blickfang. Umso mehr überzeugt der Inhalt des leicht lesbar geschriebenen und gut illustrierten Buches. Die Stadtgeschichte Baden gehört zweifellos zu den besten Orts- und Stadtgeschichten, die in den letzten Jahren in der Schweiz publiziert wurden.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Furter, Fabian; Meier, Bruno; Schaer, Andrea; Wiederkehr, Ruth: Stadtgeschichte Baden. Baden: hier und jetzt 2015. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 116-119.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 116-119.

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