H. Jestrabek: Eduard Fuchs. Kunstsammler und Zeitkritiker

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Titel
Eduard Fuchs. Kunstsammler und Zeitkritiker. Eine biographische Skizze


Autor(en)
Jestrabek, Heiner
Erschienen
Reutlingen 2012: Verlag Freiheitsbaum
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Wilma Ruth Albrecht

Eduard Fuchs und Max Slevogt lernten sich 1893 in München in einer Zeit kennen, als Slevogt sich naturalistischen Motiven zuwandte und auf der ersten Ausstellung der Münchener Sezession 1892 «Die Ringerschule» vorstellte (Thomas Huonka, Revolution, Moral & Kunst. Eduard Fuchs – Leben und Werk, Zürich, Limmat, 1985, 44). Dies trug Slevogt den Beinamen «Der Schreckliche» ein (Hans-Jürgen Imiela, Max Slevogt, Karlsruhe, Braun, 1968, 29 [und] 351). Eduard Fuchs wirkte in seinen Münchener Jahren 1892–1900 als Chefredakteur der sozialdemokratischen Satireschrift Süddeutscher Postillion, sammelte Karikaturen und politische Grafiken und interessierte sich für Honoré Daumier als Satiriker und Maler: «Die Beschäftigung mit dem damals noch weitgehend unbekannten Franzosen wurde für den sozialdemokratischen Redakteur auch zur Eintrittskarte in die Schwabinger Kunstszene, denn durch Daumier lernte Fuchs den Freundeskreis um den Münchener Kunsthistoriker Prof. Karl Voll und insbesondere den Maler Max Slevogt kennen.» (Ulrich Weitz, Salonkultur und Proletariat. Eduard Fuchs – Sammler, Sittengeschichtler, Sozialist, Stuttgart, Stöffler & Schätz, 1991, 303).

Es handelte sich dabei zum einen um den «Akademisch-Dramatischen-Verein» (1892) mit der Aufgabe, naturalistische und sozialkritische Werke «in Erstaufführungen für Deutschland wenigstens einem geistigen Elitepublikum zugänglich» zu machen (Gerdi Huber, Das klassische Schwabing. München als Zentrum der intellektuellen Zeit- und Gesellschaftskritik an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert [Neue Schriften des Stadtarchivs München Bd. 37], München 1973, 119; vgl. auch die Entwurfsskizze zur Ringerschule von Slevogt auf einer Einladungskarte des «Akademisch- Dramatischen Verein München» in: Imiela, Max Slevogt, 28); und zum anderen um «Die Sezession», die die «ganze reiche Erscheinungswelt unserer Gegenwart », d. h. das «pulsierende Leben der Großstadt», das «gleichmäßige Leben auf dem Land als Spiegel und [...] abgekürzte Chronik unserer Zeit» (Westermanns Monatshefte, 449/1894; zitiert bei Huber, Das klassische Schwabing, 37) erfassen und widerspiegeln wollte.

Zur Zusammenarbeit und späteren Freundschaft zwischen dem (groß)bürgerlichen bildenden Künstler Slevogt und dem radikalen Sozialisten und Schriftsteller Fuchs konnte es auch kommen, weil die Sozialdemokratie Bayerns und Münchens in den neunziger Jahren erhebliche Wahlgewinne erzielte, etwa im Wahlbezirk München II von 1878 13,3 Prozent auf 1890 52,3 Prozent; und als 1893 Sozialdemokraten auch in den Bayerischen Landtag einzogen (Weitz, Salonkultur und Proletariat, 131), erfuhren sie auch gesellschaftliches Ansehen bei den bürgerlichen Intellektuellen, die sich mit dem Proletariats solidarisierten und sich gegen Dekorationskunst und Epigonenliteratur der Gründerzeit engagierten. Über dieses Allgemeine hinaus gab es bei Slevogt und Fuchs ähnlich gelagerte Interessen: die Arbeit an Satireblätter, bei Slevogt Simplizissismus und Jugend, und gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Wandern und Jagen.

Auch nach der Umsiedlung von Slevogt und Fuchs nach Berlin (1901) wurde ihre Freundschaft, die auch eine kommerzielle Seite einschloss, weitergeführt: Fuchs sammelte nicht nur, sondern kaufte auch Slevogts Werke und gab bei ihm Porträts in Auftrag. So gelang es Fuchs, der als freier Mitarbeiter an den Festzeitschriften des Vorwärts mitwirkte, den in Berlin schon angesehenen Maler für die graphische Ausführung der Mai-Nummer 1903 des Vorwärts zu gewinnen: Slevogt lieferte das Schlussbild «Wir sind die Kraft», eine Allegorie eines Proletariers, auf dessen ausgestreckten Armen sich zwei Adler niedergelassen hatten (Huonker, Revolution, Moral & Kunst, 76).

Inzwischen war Fuchs mit Büchern wie Ein vormärzliches Tanzidyll. Lola Montez in der Karikatur (1902), Die Karikatur der europäischen Völker … (1901/04) und Das erotische Element in der Karikatur (1906) zum Erfolgsschriftsteller geworden, besaß ein ansehnliches Haus und eine umfangreiche Kunstsammlung, darunter (1908) etwa 3.800 Lithographien von Honoré Daumier, mehr als vierzig Ölbilder Slevogts und neunzehn Ölbilder Liebermanns (Weitz, Salonkultur und Proletariat, 321– 323 [und] 333). Vom engen Kontakt zwischen Slevogt und Fuchs zeugt nicht nur der fast tägliche Atelierbesuch, von dem Guthmann berichtet (Johannes Guthmann, Goldene Frucht. Begegnungen mit Menschen und Häusern, Tübingen 1955, 277), der Postverkehr, wobei Slevogt seine Karten fast immer mit kleinen ironischen Zeichnungen, die den Adressaten in Fuchsgestalt zeigen, zierte (Johannes Guthmann, Scherz und Laune. Max Slevogt und seine Gelegenheitsarbeiten, Berlin 1920, 109– 122), sondern auch die Gemälde «Kinderbildnis Gertraud Fuchs» (1903), «Frida Fuchs» (1904) und vor allem der mannsgroße «Eduard Fuchs» (1905): «Dabei weiß er, was er sich dem klugen Freund gegenüber erlauben darf, dessen Ungestüm außer in der Farbe auch in Einzelheiten, wie dem gewellten buschigen Schopf, zum Ausdruck kommt und in dem geöffneten Mund, der etwas von der frechen bis zynischen Art zu reden aussagt.» (Imiela, Max Slevogt, 98).

Einen Höhepunkt der freundschaftlichen Beziehung zwischen Fuchs und Slevogt bildete die mehrmonatige Ägyptenreise (von Januar bis Mai 1914): Fuchs trat als Organisator und «kluger Sachverwalter» (Imiela, Max Slevogt, 174) der Interessen des Künstlers und seiner Gemälde auf, stand freilich auch in Konkurrenz zu den bürgerliche Intellektuellen Dr. Guthmann und Dr. Zimmermann.

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges kühlte sich das Verhältnis zwischen dem Pazifisten und radikalen Sozialdemokraten Fuchs und dem Kriegsfreiwilligen und Schlachtenmaler Slevogt kurze Zeit ab. Erst als Slevogt seine «Symbole der Zeit» (1916) im «Bildermann» und «Gesichte» (1917) im Eigenverlag veröffentlichte, näherten sich Künstler und Schriftsteller wieder an. Und 1917 hatte Fuchs auch Slevogt auf Neukastel aufgesucht und dort an seinem ersten Band Honoré Daumier: Holzschnitte 1833–1879 gearbeitet (Weitz, Salonkultur und Proletariat, 306f.).

Kriegsende, Revolution und Bürgerkrieg als gesellschaftlich instabile Zeiten wirkten scheinbar paradox auf Kunst, Werke und Künstler. Die kommerzielle Seite der Nachkriegsjahre beschrieb Max Liebermann (1923) so: «Es wurde niemals mehr verkauft als gerade nach dem Zusammenbruch. Es wurden einem förmlich die Bilder von der Staffelei gerissen [...]. Daß unsere Bilder gegen das schlechte Geld als wertvollere Sachwerte angesehen wurden, blieb demnach als Tatsache bestehen.» (Zitiert nach Berliner Maler. Menzel. Liebermann. Slevogt. Corinth. Selbstzeugnisse, hg. Irmgard Wirth, Berlin 1964, 157). Und wieder änderte sich das Verhältnis Fuchs-Slevogt. Wohl lassen sich Briefwechsel (bis 1931) und persönliche Begegnungen nachweisen (Weitz, Salonkultur und Proletariat, 420); zu einer Zusammenarbeit jedoch kam es nicht mehr. Das war auch insofern nicht verwunderlich: Offene Klassenauseinandersetzungen erfordern Parteinahme in politischen und künstlerisch Bereichen.

Während sich Slevogt immer mehr dem phantastisch-schönen ästhetischen Schein, auch im Privaten, ergab, für das Bürgertum arbeitete und auch in seiner künstlerischen Entwicklung stagnierte und regredierte, stellte Fuchs seine Schaffenskraft als Schriftsteller, Herausgeber, Financier und Organisator der sozialistischen Bewegung zur Verfügung. Damit bestätigte sich, was Fuchs in seiner Daumier-Edition 1917 schrieb und auch seinem Freund Max Slevogt mitteilte (Honoré Daumier, Holzschnitte 1833–1879, hg. Eduard Fuchs, München [1917]; zitiert bei Weitz, Salonkultur und Proletariat, 307): «Jede Kunst ist untrennbar von den spezifischen Lebensinteressen ihrer Zeit, also von deren sozialen und politischen Konstellationen und Bedürfnissen. In diesen wurzelt sie, und diese spiegeln sich in ihr. Sie spiegeln sich in ihrem Stil, in ihren Techniken und in ihren Stoffen.»

Wer aber kennt heute noch Eduard Fuchs? Vielleicht einige Altachtundsechziger, die seinerzeit den (in: Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a. M. 1963, 95–156) wiederveröffentlichten Aufsatz «Eduard Fuchs, der Sammler und Historiker» (1937) von Walter Benjamin (1892–1940), dem marxistisch orientierten Kultursoziologen und Feuilletonisten, gelesen hatten; oder Kenner des Malers Max Slevogt, mit dem Fuchs – wie oben gezeigt: zeitweise eng – befreundet war. Benjamin präsentiert Fuchs vor allem als ästhetischen Kunstsammler und Kulturwissenschaftler und lässt den politisch Radikalen, Sozialisten und Kommunisten, der Fuchs auch war, draußen vor. Eduard Fuchs war beides: Der politische Kopf bedingte den ästhetischen und der ästhetische prägte den politischen. Dieses dialektische Bild von Fuchs wird nun von Heiner Jestrabek vorgestellt.

Eduard Fuchs wurde am 31. Januar 1870 in Göppingen als zweites Kind eines (eher erfolglosen) Kaufmanns geboren, wuchs in Stuttgart auf und begann 1886 – nach finanziell bedingtem Abbruch der Oberrealschule – eine kaufmännische Lehre in einer Druckerei. Er näherte sich über freidenkerische Anschauungen anarchistischen und sozialistischen Positionen, die er offensiv agitatorisch vertrat, weshalb er schon 1888 zu fünf Monaten Haft wegen «Majestätsbeleidigung» und «Widerstand gegen die Staatsgewalt» verurteilt wurde. 1898 war er Mitinitiator des neu gegründeten «Vereins der Handlungsgehilfen», der als Tarnorganisation der verbotenen Sozialdemokratie angesehen wurde, weshalb Fuchs 1890 erneut eine fünfmonatige Haftstrafe erhielt.

1890 fand Fuchs eine Anstellung bei einem sozialdemokratischen Verlag, der die Münchener Post und die Satirezeitung Süddeutscher Postillon herausgab, ab 1892 wurde er Chefredakteur des Satireblattes.

München, speziell das 1890 «eingemeindete » Schwabing, galt in dieser Zeit als Hochburg kulturell sozialkritisch agierender bürgerlicher Intellektueller, Schriftsteller und bildender Künstler, die vor allem gegen Militarismus, Klerikalismus, bürgerlichen Moralismus und Epigonentum öffentlich auftraten. Schwabing bildete auch ein günstiges Milieu für sozialistische Kritik und Agitation und damit für Eduard Fuchs, der sich als politischer Redakteur, Kulturkritiker und politischer Dichter betätigte und gleichzeitig als Sammler den Grundstock für seine umfangreiche Schriften-, Karikaturen- und politische Grafiksammlung legte. Wie andere politische Satiriker wurde auch Fuchs juristisch verfolgt und 1898 erneut zu zweimonatiger Gefängnishaft verurteilt. In München trat Fuchs auch schon als Herausgeber von Schriften und Dokumenten der Arbeiterbewegung auf und edierte Karikaturen aus der 1848 Revolution.

1901 zog Fuchs nach Berlin. Dort wirkte er erfolgreich als freier Schriftsteller: «Als Herausgeber kulturhistorischer Bildbände entwickelte er eine spezifische Mischung von zeitgenössischen Illustrationen mit seinen kulturhistorischen Kommentierungen. Hier fand er einen typischen Stil, wurde auch unter kommerziellen Gesichtspunkten sehr erfolgreich und erreichte ein großes Publikum.»

Mit der Herausgabe der Karikatur der europäischen Völker (1901/1903), Die Frauen in der Karikatur (1906), Der Geschichte der erotischen Kunst (1908, 1923, 1926) und der Illustrierten Sittengeschichte (1912) wurde Fuchs bekannt und ein Name im Publikations- und Kunstmarkt: «Die Sittengeschichte» sollte der größte Verkaufserfolg von Eduard Fuchs werden. Dieses Projekt sicherte ihm fortan die finanzielle Unabhängigkeit und trug ihm den Spitznamen ‹Sitten-Fuchs› ein.

Trotz ansehnlichen Vermögens, gehobenen Lebensstils und großbürgerlichem Bekanntenkreis hielt Fuchs weltanschaulich am Marxismus und politisch am Sozialismus fest: Er nahm an der «Zimmerwalder Konferenz» (1915) in der Schweiz teil, war Vorstandsmitglied des «Deutschen Hilfsvereins für die politischen Gefangenen und Verbannten Russlands» und Mitglied der «Deutschen Liga für Menschenrechte », fungierte als «Gesandter» des «Spartakusbundes» zur jungen sowjetischen Regierung und engagierte sich in der Novemberrevolution sowie in der Ende 1918 gegründeten KPD.

Gleichzeitig popularisierte Fuchs auf Grundlage seiner umfangreichen Sammlung Honoré Daumier in vier Bänden (1917–1922), war maßgeblich an der Gründung des «Instituts für Sozialforschung » (Frankfurt am Main) beteiligt, richtete ein sozialwissenschaftliches Archiv in Berlin ein, förderte junge Künstler wie Carl Meffert (alias Clément Moreau), gewann Ludwig Mies van der Rohe für die Gestaltung des Revolutionsdenkmal für die Opfer der Novemberrevolution (1926), wirkte als Nachlassverwalter des marxistischen Literarhistorikers Franz Mehring (1846–1919), dessen Arbeiten Fuchs (1929–1933) neu herausgab ... und vieles mehr.

1928 verließ Eduard Fuchs «aus Protest gegen den ultralinken Kurs» die KPD und schloss sich der KPD (Opposition) an. Es folgte 1933 das Exil in Frankreich (Paris). Dort starb Eduard Fuchs kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag im Januar 1940. Seinen Besitz hatten die Nazis beschlagnahmt und die wertvolle Kunstsammlung 1937 versteigert.

Heiner Jestrabek hat im neuen Fuchs- Buch viele Fakten und veranschaulichen des Material zusammengetragen. Im oft spröden Text vermischt der Autor jedoch (zu) oft chronologische und systematische Darstellung. Und die schwarz-weiss-Reproduktionen sind angesichts des kleinen Formats (zu) oft nicht deutlich erkennbar. Das freilich sollte niemanden davon abhalten, Jestrabeks Bändchen sei’s zu lesen sei’s zu kaufen.

Zitierweise:
Wilma Ruth Albrecht: Rezension zu: Heiner Jestrabek, Eduard Fuchs. Kunstsammler und Zeitkritiker. Eine biographische Skizze, Reutlingen/Heidenheim, Edition spinoza, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 500-504.

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