M. Delgado u.a. (Hrsg.):

Cover
Titel
Karl Borromäus und die katholische Reform. . Akten des Freiburger Symposiums zur 400. Wiederkehr der Heiligsprechung des Schutzpatrons der katholischen Schweiz


Herausgeber
Delgado, Mariano; Markus, Ries
Erschienen
Freiburg 2010: Academic Press
Anzahl Seiten
431 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Der umfangreiche Band, der zur Erinnerung an das Freiburger Symposium zur 400. Wiederkehr der Heiligsprechung von Carlo Borromeo erschien, enthält elf Beiträge, die der katholischen Reform in der Eidgenossenschaft im Anschluss an das Konzil von Trient (1545–63) gewidmet sind. Dazu kommen fünf Aufsätze, die Borromeos Nachwirken in den folgenden Jahrhunderten behandeln. Der Schlussteil reicht mitten ins 20./21. Jahrhundert, der die Rezeption des Zweiten Vatikanums in der Kirche der Gegenwart behandelt (drei Aufsätze).

Harm Klueting untersucht die katholischen Reformbestrebungen, die bereits im frühen 15. Jahrhundert eingesetzt, durch das Trienter Konzil eine Verstärkung erfahren, aber teilweise erst im 19. Jahrhundert ihren Abschluss gefunden haben. Die «longue durée» des Reformprozesses wirkt hier nach, denn das Bischofsideal von Trient wurde in Mitteleuropa erst in der Säkularisierung von 1803 erreicht.

Thomas Lau weist nach, dass durch die Kirchenspaltung in der Reformationszeit automatisch Kommunikationsprobleme zwischen den Konfessionen entstanden sind. Die voranschreitende Konfessionalisierung vertiefte die Grenzen. Die Gefahr interkonfessioneller Verfeindung wurde aber durch die Neutralisierung der Eidgenossenschaft entschärft.

Danilo Zardin beschreibt den Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo, wie er durch das Beispiel eines bussfertigen Lebens auf seine Zeit einwirken will. Der Maler Danilo Crespi hat in seinem Gemälde in der Kirche Santa Maria della Passione in Mailand den Vorbildcharakter des Bischofs zum Ausdruck bringen wollen: Auf dem kargen Tisch ist das schlichte Mahl aufgetragen: ein Laib Brot, ein Krug Wasser und das Trinkglas. Die stoffliche Speise wird ersetzt durch die Nahrung des Wortes, die der Heilige aus den Seiten des Buches schöpft, das aufgeschlagen vor ihm liegt. Borromeo liess sich durch die Schrift Stimulus pastorum des Erzbischofs von Braga, Bartolomeo de Martyribus, beeinflussen. Dieser portugiesische Dominikaner verkörperte den neuen Geist, den das Konzil von Trient den Führungskräften in den Ortskirchen einzuprägen suchte.

Paolo Ostinelli verfolgt die insgesamt fünf Pastoralvisitationen Borromeos in den Ambrosianischen Tälern des Tessins. Sie waren wohl die gefährdetsten Teile seiner Diözese. Sein Hauptinteresse galt der Reform des Klerus, und er bekämpfte vor allem das Konkubinat der Priester. Ein weiterer Schwerpunkt war der Kontakt mit den Behörden der Innerschweizer Orte, wo er zwar auf wohlwollende Hilfsbereitschaft stiess. Sie wollten aber nicht auf ihre alten Rechte in der Aufsicht über ihre Seelsorger verzichten.

Mario Galgano zeichnet aufgrund älterer Reiseberichte die erste Reise Carlo Borromeos durch die Schweiz 1570 nach, wo er die damals wichtigsten Persönlichkeiten der katholischen Kantone kennenlernte: in Nidwalden seinen alten Bekannten Melchior Lussy, in Luzern Renwart Cysat und in Uri den damals regierenden Landammann Jakob Arnold. Frucht dieser Reise war die «Information Carlo Borromeos an den Kardinal von Piacenza», worin er seine Eindrücke von der damaligen Bevölkerung der katholischen Schweiz schilderte. Darin schlug er vor, einen Nuntius als Visitator in die Schweiz zu schicken, um die Forderungen des Konzils von Trient zu verwirklichen.

Urban Fink widmet seine Arbeit dem Wirken Carlo Borromeos als «Bischof der Schweiz» und Gründer der Luzerner Nuntiatur. Dabei korrigiert Fink das Idealbild, das Oskar Vasella vom 16. Jahrhundert gezeichnet hatte. Die katholische Reform hatte viel langsamere Fortschritte gemacht, als man lange Zeit angenommen hatte. Gewisse Reformen, die das Konzil von Trient gefordert hatte, sind zum Teil erst im 19. Jahrhundert flächendeckend umgesetzt worden. Die Reformtätigkeit Borromeos und des Nuntius Bonhomini haben sich langfristig positiv auf die katholische Schweiz ausgewirkt.

Paul Oberholzers Aufsatz über die ersten Jesuiten in der Eidgenossenschaft weist nach, dass Carlo Borromeo überzeugt war, die Gesellschaft Jesu für die Reform der Kirche in der Schweiz zu verwenden und dafür selber grosse Beiträge aus seinem persönlichen Vermögen zu leisten. Aber die Strategie der Ordensleitung war in den Sechzigerjahren des 16. Jahrhunderts anderweitig ausgerichtet. Erst 1574 kam es zur ersten Niederlassung der Jesuiten in Luzern, ohne direkte Mitwirkung Borromeos. Der Jesuitengeneral Franz Borja sperrte sich lange gegen allfällige Pläne Borromeos, weil er zu jener Zeit die Zahl der Neugründungen deutlich reduzieren wollte und sein Augenmerk auf eine interne Konsolidierung des stark expandierenden Ordens legte.

Christian Schweizer schildert die Anfänge der Schweizer Kapuzinerprovinz, die mit Hilfe von Carlo Borromeo und starker Unterstützung durch Melchior Lussy und Johann Walter von Roll von Uri gegründet wurde. Dominierende Persönlichkeit der ersten Kapuzinergruppe, die 1581 zu Fuss über den Gotthard nach Altdorf kam, war P. Francesco Sermondi da Bormio, ein Veltliner. Da sich bald genügend Nachwuchs einstellte, konnte Lussy in Stans eine zweite Niederlassung errichten.

Barbara Ulsamer schreibt zur Geschichte und Bedeutung des Collegium Helveticum in Mailand. Carlo Borromeo ist die treibende Kraft, ein Ausbildungszentrum für Priesteranwärter aus der Schweiz in seiner Diözese zu errichten. Die Anfänge gehen auf die Jahre 1575–79 zurück. Anfänglich gab es Unklarheiten, wie weit der Geltungsbereich in der Aufnahme von Studenten reichen sollte. Gehörten bloss Schweizer oder auch Studenten aus den Untertanengebieten der Eidgenossenschaft hierzu? Die Bedeutung des Helvetischen Kollegs in Mailand für die katholische Eidgenossenschaft und die zugewandten Orte darf nicht unterschätzt werden.

Stephan Leimgruber referiert über katechetische und homiletische Aspekte zur Zeit Borromeos. Die Glaubensreform sollte durch eine Bildungsreform erfolgen. Jesuiten wie Kapuziner widmeten sich der Errichtung von Gymnasien. Carlo Borromeo erneuerte die religiöse Bildung und Erziehung dadurch, dass er Jesuiten und Kapuziner berief und ihnen Verantwortung für die Seelsorge, die Christenlehre und den gymnasialen Religionsunterricht übertrug. Hauptinstrumente waren die Katechismen des Petrus Canisius (1555), der Catechismus Romanus (1566), die in Analogie zu den Katechismen Martin Luthers (1529) abgefasst waren.

Martin Klöckener, die Liturgiereform von Trient und ihre Umsetzung in der Schweiz. Das Konzil von Trient beschäftigte sich intensiv mit den Fragen der Liturgie. Auf der dritten und letzten Sitzungsperiode von 1562/63 wurden die Dekrete und Canones über das hl. Messopfer beschlossen. Auf der letzten Sitzung am 4. Dezember 1563 übertrug das Konzil die Reform von Brevier und Missale aus Zeitgründen dem Papst. 1568 erschien das Breviarium Romanum. Als vorrangiges Problem erschien wiederholt die Wiederherstellung der echten Tradition in der Kirche. So verbot der Papst für die römische Kirche rigoros alle anderen Breviere. Als einzige Ausnahme blieben Brevierausgaben jener Diözesen und Orden erlaubt, die mindestens eine zweihundertjährige Eigentradition besassen. Im Bistum Konstanz hat sich 1567 eine Diözesansynode unter Bischof Mark Sittikus mit der Erneuerung der liturgischen Bücher befasst. Es erfolgte eine langsame Anpassung an die römische Form. Im Bistum Chur wurde unter Bischof Peter Raschèr (1581–1601) eine Liturgiereform ohne die geforderte Anpassung an die römischen Vorschriften vorgenommen. Erst unter seinem Nachfolger Johann V. Flugi wurden die römischen Bücher eingeführt. Im Bistum Lausanne kam es zu einem eher schleichenden Übergang. Nach 1568 hat man in der Regel Ausgaben des Breviarum Romanum angeschafft, während die Kanoniker der Freiburger Stiftskirche St. Niklaus das Lausanner Brevier noch lange Zeit behielten. Karl Borromäus entschied sich in seiner Diözese für die Beibehaltung des ambrosianischen Ritus. Volker Reinhardt, Krieg um die Erinnerungshoheit; die Heiligsprechung Carlo Borromeos. Mehr als zwei Jahrhunderte (1471– 1676) beherrschte der Nepotismus die Kirche. Beim Amtsantritt Pius‘ IV. wurde Carlo Borromeo als Sohn einer Papstschwester postwendend Kardinalnepot. Das Amt wurde durch ihn mit neuem Leben erfüllt. Gegen Ende der Regierung Pius‘ IV. begab sich Borromeo in sein Erzbistum Mailand, um sich der Rekatholisierung im lombardischeidgenössischen Grenzgebiet zu widmen. Die Familie Borromeo besass durch ihre Streitigkeiten nicht unbedingt den besten Ruf. Die Reformkreise (Carlo und sein Cousin Federico) waren bestrebt, die Reformlinie fortzuführen. Erhebliche politische Differenzen bestanden mit dem spanischen Gouverneur. Durch die Schwerpunktverlegung der Reform vom Zentrum an die Peripherie durch Carlo Borromeo wurde der Führungsanspruch des nachtridentinischen Papsttums entscheidend getroffen. Wenn der Erzbischof von Mailand und nicht der Pontifex die Ernennung der katholischen Kirche und ihre Abgrenzung gegen den Protestantismus betrieb, war es um den römischen Führungsanspruch geschehen. Spannungen zwischen der Kurie und Mailand entstanden, als Federico eine Biographie seines Cousins Carlo veröffentlichen wollte, die die Differenzen mit der römischen Zentrale und die Konflikte mit den spanischen Behörden ansprachen. Papst Gregor XIV. verwiegerte die Erlaubnis zur Publizierung der Lebensgeschichte. Durch die Heiligsprechung sollten die Konflikte mit Spaniens Behörden in Mailand verdeckt werden.

Franziska Metzger versucht in ihrem Aufsatz durch die Verschränkung von Sakralisierung und Historisierung die katholische Geschichtsschreibung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anhand der Person von Carlo Borromeo aufzuzeigen. Er wurde zu einer Zentralfigur für die Geschichte der katholischen Schweiz.

Markus Ries skizziert Borromeo als Schweizer Protektor und Patronus Helvetiae. Am 10. März 1560 überbrachte der Nidwaldner Landschreiber Melchior Lussy als Sondergesandter dem kurz zuvor gekrönten Papst Pius IV. die Glückwünsche der Eidgenossenschaft. Bei dieser Gelegenheit äusserte er den Wunsch, es möge an der Römischen Kurie erneut ein Protektor für die Schweiz ernannt werden. Dabei wurde der bei der Audienz wohl anwesende Kardinalnepot Carlo Borromeo von Lussy vorgeschlagen. Bereits zwei Tage später, am 12. März 1560, erfolgte die Ernennung. Jahrzehnte später (nach der Heiligsprechung) erfolgte die Ernennung Borromeos zum Patronus Helvetiae. Noch im 19. Jahrhundert griffen Constantin Siegward-Müller und Theodor Scherer auf den Patron zurück und gründeten in Luzern 1846 die kurzlebige «Akademie des hl Karl Borromäus»; der Piusverein trug dieses Erbe weiter.

Martin Sallmann beschäftigt sich mit den konfessionellen Gedächtniskulturen von Martin Luther, Karl Borromäus und Johannes Calvin im späten 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts.

Mariano Delgado greift ein heisses Thema auf, indem er sich mit der Borromäus- Enzyklika «Editae saepe» von Pius X. vom 26. Mai 1910 und deren Folgen auseinandersetzt. Die völlig verunglückte Enzyklika entfachte einen Sturm der Entrüstung in Deutschland und auch eine polemische Diskussion in der Schweiz. Sie ist nur aus der Hitze des Modernismusstreites zu erklären.

Der heutige Kardinal Kurt Koch widmet sich dem Begriff «Reform» in der katholischen Kirche in der Schweiz. Im Zusammenhang dazu steht die Konzilsrezeption des Zweiten Vatikanums. Er gelangt zum Schluss, dass das Konzil weitgehend einseitig rezipiert worden sei. Die Grundsatzfrage ist stets die gleiche: Handelt es sich beim Zweiten Vatikanum um einen Bruch in der Kirchengeschichte oder um eine Reform, die die dynamische Erneuerung mit der Treue zur Tradition verbindet. Koch kritisiert vor allem die einseitige Herausstellung des Mahlcharakters der Eucharistie: die Reduzierung der Eucharistie als gemeinschaftliches Essen und Trinken stelle eine gravierende Verkürzung der Liturgie des Pascha-Mysteriums dar. Es gelte heute, den Opfergedanken in der nachkonziliaren Liturgie wieder zu betonen. Koch greift mitten in die nachkonziliaren Spannungen hinein, wenn er die Krise nach dem Konzil als eine «Concilium-Communio-Spaltung » bezeichnet. Hans Küng gehe von der Identität von Kirche und Konzil aus, während Josef Ratzinger kritisch anmerkte, der Radius des Konzils sei weit enger als die Kirche insgesamt. Führt man sich die von den Lefèbvre- Nachfolgern und den Küng Sympathisanten gemeinsame Beurteilung des Zweiten Vatikanums als Traditionsbruch vor Augen, kann man auch die Heftigkeit verstehen, mit der dieser Kirchenstreit bis heute ausgetragen wird.

Rolf Weibel beschreibt die Konzilsrezeption in der Schweiz und umschreibt sie als «Erfüllung und Neubeginn». In zwei Bereichen wurden die Erwartungen erfüllt: in der Liturgie und in der Ökumene. Zudem erfolgte die Einführung verschiedener Gremien wie Priester- und Seelsorgeräte. Nicht alles bewährte sich in der Folge. Die Synode 72 ragt hervor, die gesamtschweizerisch vorbereitet, aber in diözesanem Rahmen durchgeführt wurde.

Urs Altermatt befasste sich mit den sog. langen Sechzigerjahren vom Ende der Piani schen Epoche (1958) bis zur 68er Revolte. Die Kirche geriet infolge der gesellschaftlichen Umwälzungen in eine Krise. Die Zahl der Priester nahm kontinuierlich ab. Ein beschleunigter Wandel setzte ein, von dem man noch nicht weiss, wo er hinführt.

Die Akten des Freiburger Symposiums entfalten in diesen neunzehn Aufsätzen ein reichhaltiges und differenziertes Bild über den populären Heiligen Carlo Borromeo. Nicht zuletzt bot die Tagung reichlich Gelegenheit, die vor 100 Jahren von Heinrich Reinhardt und Franz Steffens herausgegebene Aktensammlung zur Nuntiatur von Giovanni Francesco Bonhomini gründlich durchzusehen und die damalige Situation neu zu beleuchten.

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: Mariano Delgado/Markus Ries (Hg.), Karl Borromäus und die katholische Reform. Akten des Freiburger Symposiums zur 400. Wiederkehr der Heiligsprechung des Schutzpatrons der katholischen Schweiz, Freiburg Schweiz 24./25. April 2009,. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 690-694.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit