D. Gaffino u.a. (Hrsg.): Bieler Geschichte

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Titel
Bieler Geschichte.


Herausgeber
Gaffino, Davi; Reto, Lindegger; Stadt Biel
Erschienen
Baden 2013: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
2 Bände, 1030 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

Die Mehrheit der Städte und Gemeinden im Kanton Bern mit mehr als 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern verfügen leider über keine neuere Geschichte ihres Gemeinwesens. Die Stadt Biel beschloss 2008, dies für sich zu ändern und damit eine grosse historiografische Lücke im Kanton zu schliessen. Sie setzte eine Projektleitung und einen Beirat ein, welche die Arbeiten von sieben Autorinnen und Autoren koordinierten und begleiteten. Das Ergebnis liegt seit Ende 2013 in Form von zwei umfangreichen Bänden vor, die gleichzeitig in einer deutsch- und einer französischsprachigen Fassung erschienen.

Band 1 behandelt den Zeitraum von den Anfängen bis 1815, Band 2 die Zeit von 1815 bis in die Gegenwart. Für den ersten Band bildete die drei Bände umfassende Stadtgeschichte von Cäsar Adolf Bloesch von 1855/56 einen wichtigen Orientierungspunkt. Sie war die bisher einzige umfassende Publikation zur Geschichte Biels, wenn man vom 1999 erschienenen Stadtgeschichtlichen Lexikon absieht.

Laurent Auberson ist der Autor des ersten der 16 Kapitel von Band 1. Er schildert das Landschaftsbild und die ersten Siedlungsspuren am unteren Ende des Bielersees bis ins Frühmittelalter. Darin zeigt er aufgrund von archäologischen Quellen, dass der Altstadthügel von Biel – entgegen verschiedener Theorien von Historikern aus den vergangenen 200 Jahren – in römischer Zeit kein bewohnter Ort war, obwohl das Seeland zahlreiche römische Siedlungen aufwies. Margrit Wick-Werder und Markus Wick verfassten die Kapitel zu den Epochen vom Frühmittelalter bis 1610. Wann Biel als Siedlung entstand, ist unklar. Als der Ort 1142 erstmals urkundlich erwähnt wurde, war er wohl ein Dorf am Weg zwischen Basel und dem Genfersee, das sich erst im 13. Jahrhundert zur Stadt am Rand des Territoriums des Fürstbistums Basel entwickelte. Biel versuchte, die Schwäche der Bischöfe von Basel im 14. und 15. Jahrhundert auszunutzen und mehr Autonomie zu gewinnen. Dies gelang nur teilweise: Nach den Burgunderkriegen vermochte sich Biel als zugewandter Ort der Eidgenossenschaft zu etablieren, ohne je einen Bündnisvertrag dazu abzuschliessen. Zudem gewann die Stadt während der Reformation, der sie sich parallel mit Bern anschloss, mehr Einfluss im nördlich gelegenen Erguel. Trotzdem gelang es nicht, die Herrschaft der Fürstbischöfe von Basel loszuwerden. Biel etablierte sich als grosse Kleinstadt ohne Untertanengebiet, eingezwängt zwischen den eidgenössischen Orten Bern, Freiburg und Solothurn. Im Vertrag von Baden von 1610 bestätigte die Tagsatzung den rechtlichen Status Biels als Stadt im Territorium des Fürstbistums Basel, die eine weitgehende Selbstverwaltung ausübte.

Für die Kapitel von 1610 bis 1815 zeichnen Antonia Jordi, Tobias Kaestli und Pascal Kaegi als Autorin und Autoren. Sie schildern in chronologischer Abfolge die Ereignisse und Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wie andere Schweizer Städte war Biel mit dem internationalen Geschehen wie dem Dreissigjährigen Krieg konfrontiert und profitierte von Soldverträgen mit ausländischen Staaten. In der Stadt etablierten sich die führenden Familien in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als politische Macht. Die Sonderstellung als protestantischer Ort mit einem katholischen Herrscher führte auch im 18. Jahrhundert regelmässig zu Konflikten.

1747 erlaubte der Rat zwei Bielern die Gründung einer Kattun- und Indiennefabrik. Diese Manufaktur war der erste industrielle Betrieb in Biel und bedruckte bis 1842 erfolgreich Baumwolltücher mit modischen Mustern für den Export.

Nach dem Einmarsch der Franzosen 1798 bildete Biel mit den umliegenden Gemeinden bis 1814 einen Kanton im französischen Staatsgebiet. Diesen Status versuchte die Stadt in den Verhandlungen des Wiener Kongresses 1814 /15 beizubehalten. Doch Biel wurde 1815 zusammen mit dem Jura in den Kanton Bern eingegliedert.

Band 2 ist ebenfalls chronologisch aufgebaut. Die politischen Ereignisse bilden den roten Faden durch die zwölf Kapitel und den Schwerpunkt des Bandes. Darin eingeflochten sind Informationen zu den Bevölkerungszahlen, zur Geschichte einzelner Firmen, zur Stadtentwicklung, zu Schulen sowie zu kulturellen Institutionen und Veranstaltungen. Dabei ergeben sich ab und zu Wiederholungen, wenn Ereignisse am Schnittpunkt zweier Kapitel thematisiert sind.

Bis in die 1830er-Jahre verloren die alteingesessenen Bieler Burgerfamilien ihren politischen Einfluss auf lokaler Ebene. Neu Zugezogene ohne Bieler Burgerrecht waren nun in der Mehrheit und prägten das politische und gesellschaftliche Geschehen in der Stadt.

Nach dem Niedergang der Textilindustrie um 1840 war der zugewanderte Gymnasiallehrer Ernst Schüler massgebend an der Ansiedlung der Uhrenindustrie beteiligt. Dieser Wirtschaftszweig entwickelte sich in Biel ab 1840 sehr erfolgreich: Neue Arbeitsplätze entstanden, was Arbeitskräfte nach Biel lockte und die Bevölkerungszahl der Stadt schnell und stark ansteigen liess. Die Uhrenindustrie ist bis heute sehr konjunkturabhängig; dies führte in Krisenzeiten zu grossen Umsatzeinbrüchen und starkem Stellenabbau. Biel war deshalb in den Wirtschaftskrisen des 20. Jahrhunderts immer wieder von Arbeitslosigkeit, Steuerausfällen und einer hohen Fürsorgequote betroffen.

Als Industriestadt war Biel im 20. Jahrhundert politisch und gesellschaftlich von der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie geprägt. Die Gemeinde wurde über Jahrzehnte von einer linken Mehrheit regiert, nachdem die Stimmbürger den Sozialdemokraten Guido Müller 1921 zum Stadtpräsidenten wählten, der Biel politisch und als Persönlichkeit bis 1947 prägte. Er führte die Stadt erfolgreich durch die Krisenjahre und hinterliess auch bauliche Spuren, indem er die Entstehung des Bahnhofquartiers im Stil des Neuen Bauens massgeblich förderte. Nach einer dreissigjährigen Phase mit freisinnigen Stadtpräsidenten vermochte die SP mit Hermann Fehr (1977 – 1990), Hans Stöckli (1990 – 2010) und Erich Fehr (seit 2011) das Stadtpräsidium wieder zu besetzen.

Nach 1815 war Biel jeweils sehr direkt in die Jurafrage involviert, da zumindest mit dem Südjura enge Verflechtungen bestanden. Zudem wäre bei einer Abspaltung des ganzen Berner Juras vom Kanton Bern die französischsprachige Bevölkerung Biels innerhalb des Kantons isoliert gewesen. Die Beziehungen Biels zum Jura sind denn auch wiederholt Thema dieses Bandes.

Die wenigsten Leserinnen und Leser werden diese Publikation von mehr als 1000 Seiten von A bis Z und in einem Zug konsumieren. Wie andere Orts- oder Kantonsgeschichten dienen die zwei Bände als Handbuch zum Nachschlagen. Dabei ist jedoch der chronologische Aufbau besonders in Band 2 etwas hinderlich. Wer sich über bestimmte Themen informieren möchte, muss den Band mühsam suchend durchblättern. Da die Publikation kein Register aufweist, wird das Nachschlagen zusätzlich erschwert. Wünschbar wäre zudem gewesen, wenn die wirtschaftlichen Akteure Biels stärker herausgearbeitet worden wären. Es gibt in Band 2 leider keine Übersicht, welche Firmen jeweils am meisten Arbeitskräfte beschäftigten und an welchen Standorten sie produzierten. Eine grafische Aufbereitung der Stadtentwicklung im 19. Und 20. Jahrhundert oder ein gut lesbarer Stadtplan fehlen ebenso.

Die beiden Bände enthalten über 800 Abbildungen. In Band 1 sind darunter viele Karten und Grafiken, die zusammen mit anderen Illustrationstypen den Text gut bebildern. Die Abbildungen in Band 2 fallen demgegenüber etwas ab. Viele sind so klein reproduziert, dass der Inhalt nur schlecht sichtbar ist; zudem weist der Band nur wenig farbige Illustrationen auf. In etlichen Fällen wäre es sinnvoll gewesen, weniger Abbildungen zu wählen, dafür die aussagekräftigsten gross und mit gut sichtbaren Details zu zeigen.

Trotz dieser Kritik ist die Bieler Geschichte ein Meilenstein in der Bieler Historiografie und ein wichtiges Buch in der Geschichtslandschaft des Kantons Bern.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Bieler Geschichte. Hrsg. von der Stadt Biel unter der Leitung von David Gaffino und Reto Lindegger. Baden: hier + jetzt 2013. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 76 Nr. 3, 2014, S. 74-77.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 76 Nr. 3, 2014, S. 74-77.

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