B. Degen u.a. (Hrsg.): Grimm Robert

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Titel
Robert Grimm. Marxist, Kämpfer, Politiker


Herausgeber
Degen, Bernard; Hans, Schäppi; Adrian, Zimmermann
Erschienen
Zürich 2012: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Lukas Künzler

Der 50. Todestag von Robert Grimm (1881–1958), wohl einer der interessantesten und bedeutendsten Schweizer Politiker des 20. Jahrhunderts, gab Anlass zu einer wissenschaftlichen Tagung, die am 7. März 2008 in Bern stattfand und auf reges Interesse stiess. Der Sammelband umfasst die um zwei Beiträge erweiterten, überarbeiteten Referate und enthält die bisher umfassendste Bibliographie seines eindrucksvollen publizistischen Werkes. Die Herausgeber gehen davon aus, dass eine Neudefinition des Sozialismus nicht ohne eine kritische Auseinandersetzung mit Positionen der Vergangenheit möglich sei; wenn man, so Hans Schäppi, heute an der Zielsetzung einer sozialistischen Gesellschaft festhalten wolle, komme man um eine kritische Auseinandersetzung mit der kommunistischen und sozialdemokratischen Tradition nicht herum.

Eine Auseinandersetzung mit Robert Grimm, dem Generalstreikführer von 1918, lohnt sich gewiss auch dann, wenn man an besagter Zielsetzung nicht festhalten möchte. Für die Sozialisten war der Organisator der Konferenzen von Zimmerwald und Kiental, der im Exekutivkomitee der ISAP (Internationale Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Parteien) einsass, eine internationale Führungsfigur; für das bürgerliche Lager hingegen war er die Unperson von 1918, in der sich die Angst vor einem Überschwappen des Bolschewismus verkörperte. Noch in den 1970 er -Jahren vermochten bürgerliche Kreise eine Gedenktafel für Grimm in Zimmerwald zu verhindern. In Grimm widerspiegelt sich allerdings nicht nur der politische Antagonismus in der Schweiz des 20. Jahrhunderts. Der Berner Gemeinde-, Kantons-, Regierungs- und Nationalrat war nach der Zerschlagung des deutschen und des österreichischen Sozialismus in den 1930 er - Jahren massgeblich für die Revision des Parteiprogramms von 1920 verantwortlich, was zur Aufgabe der Ablehnung der Landesverteidigung führte und letztendlich die Integration der Sozialdemokratie in den bürgerlichen Bundesstaat ermöglichte. Der Nationalratspräsident von 1946 verkörpert letztlich auch diesen Prozess der Herausbildung der helvetischen Konkordanzdemokratie der Nachkriegszeit. Zumal durch ihn als Vorsteher der Sektion Kraft und Wärme im Kriegsindustrie- und Arbeitsamt bereits während der Kriegsjahre die Sozialdemokratie in die (Mit-)Verantwortung gezogen werden konnte, als ihr noch ein Regierungssitz vorenthalten war.

Der Sammelband nähert sich Robert Grimm als Person und Persönlichkeit mit einem breiten und ausserordentlich spannenden Themenbündel, das die vielfältigen Aspekte seines persönlichen Wesens, gesellschaftlichen Denkens und politischen Handelns eindrucksvoll beleuchtet. Die Verschränkung eines individuellen biographischen und eines historisch übergeordneten Ansatzes ermöglicht den Zugang zum wortgewaltigen Arbeiterführer, der sich durch eine eigenwillige Dialektik von Theorie und Praxis charakterisieren lässt – Grimm vermochte es, wie von den Autoren herausgearbeitet wird, in unverwechselbarer Art, nicht nur Projekte theoretisch zu konzipieren, sondern diese mit Blick auf das pragmatisch Machbare auch konkret umzusetzen, womit allerdings eine gewisse Relativierung der Position einhergehen konnte. Die Aufsätze thematisieren aber auch Felder ausserhalb des genannten Spektrums, was den Zugang zu aussagekräftigen Facetten öffnet; so zum Beispiel seine Rolle beim Bau des fortschrittlichen, modernen Staatsarchivs oder auch die Wesensmerkmale seines historischen Denkens anhand der Analyse einer seiner historischen Studien, welche sich – obwohl verhaftet im historischen Materialismus – durch eine innovative, Konflikt - zentrierte Perspektive auf die Schweizer Geschichte auszeichnet. Solche Ansichten und Einsichten waren der Zeit voraus.

Grimms Persönlichkeit trägt Spuren der Gegensätzlichkeiten und Ambivalenzen seiner Zeit. Wäre er ein Mann des Freisinns gewesen, so die rhetorische Vermutung von Hans Ulrich Jost, würde man vielleicht heute «in positivem Sinne, Willensstärke, Entschlusskraft, Durchsetzungsvermögen, natürliche Autorität, rasche Auffassungsgabe, geschickte Taktik, Männlichkeit und blendende Rhetorik loben».

Der Sammelband liefert wichtige Forschungsimpulse zu Robert Grimm und zur Schweizer Sozialdemokratie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es bleibt zu hoffen, dass die Ansätze aufgenommen und vertieft werden. Anlass dazu bieten würde das Jahr 2018 (hundert Jahre Generalstreik). In dieser Hinsicht könnte eine nähere Untersuchung des Verhältnisses von Grimm zur Schweizer Armee einem Erkenntnisgewinn zu seiner Rolle in der Schweizer Geschichte zweckdienlich sein, zumal jüngst in einem historiographischen Übersichtsbericht darauf hingewiesen wurde, dass neuere Untersuchungen zu den Auswirkungen zwischen dem Armeeaufgebot und der Beendigung des Streiks von 1918 ein wissenschaftliches Desiderat darstellen (traverse 2013,1). Dabei wird massgeblich auch auf Grimm einzugehen sein.

Zitierweise:
Lukas Künzler: Rezension zu: Degen, Bernhard; Schäppi, Hans; Zimmermann, Adrian (Hrsg.): Grimm, Robert: Marxist, Kämpfer, Politiker. Zürich: Chronos 2012. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 75 Nr. 3, 2013, S. 48-50.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 75 Nr. 3, 2013, S. 48-50.

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