B. Acklin u.a. (Hrsg.): Ist mit Religion ein Staat zu machen?

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Titel
Ist mit Religion ein Staat zu machen?. Zu den Wechselbeziehungen von Religion und Politik


Herausgeber
Acklin Zimmermann, Béatrice; Ulrich, Siegrist; Hanspeter, Uster
Erschienen
Zürich 2009: Theologischer Verlag Zürich
Anzahl Seiten
103 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
David Neuhold

Von den sieben Beiträgen, die der schmale Band versammelt, widmen sich die letzten vier sehr spezifischen und hoch aktuellen Themenkreisen in Rahmen der Wechselwirkung zwischen Politik und Religion im schweizerischen Umfeld: Frank Mathwig nimmt die «Biopolitik» in der Humanmedizin unter die Lupe und macht darauf aufmerksam, wie selbst der Bundesrat jüngst in einem ersten Anlauf das Konzept der Menschenwürde in eine Güterabwägung einbrachte und somit vorstaatliche Grundlagen gefährdete. Adrian Loretan macht sich mit dem islamischen Kopftuch und dem Minarett religiöse öffentliche Symbole zum juridischen Thema und plädiert am Ende seines Beitrags dafür, dass Religionsgemeinschaften als Dienst am Gesamt der pluralistischen Gesellschaft ihre eigenen himmelschreienden Probleme lösen sollten (84). Werner Kramer fokussiert in der Behandlung der sans-papiers (über 240.000, 91 – divergierend davon später die Angabe bei Bruhin mit 100.000 auf 102) als qualifizierter Arbeitskräfte auf einem verdrängten Arbeitsmarkt im Rahmen der Subsistenzwirtschaft den Themenbereich Arbeit und Migration; wohingegen der Jesuit Joseph Bruhin im Kontext eigener Erfahrungen auf «Kirche und Sozialpolitik» blickt. Dabei rezipiert er den ürcher Finanzrat Vollenwyder wohlwollend: Die Aufgabe der Religionsgemeinschaften in der Schweiz sei v.a. auch eine der vertikalen Kommunikation, denn: «In den Kreisen, die nicht so viel verdienen, spreche man über Vielverdiener. Umgekehrt entwickeln die Reichen Vorstellungen, wie die Sozialleistungen zu gestalten wären.» (98)

So interessant diese vier Beiträge auch sind, für den Kontext dieser Zeitschrift sind die ersten drei womöglich von weitreichender Bedeutung bzw. grösserem Interesse, denn Thomas Maissen bietet erstens einen historisch konzisen Überblick zur gestellten Thematik, der jedem/r Studenten/in der Geschichte oder Theologie in der Schweiz als Einstiegslektüre empfohlen werden kann. Wenn die Thematik der Religion bei Maissen auch zu stark auf die unbestritten wichtige Erwählungskategorie bezogen wird – Maissen lässt den «schweizerischen Erwählungstopos» (z.B. in der Form der Schlachtgedenken) auch bis in das Jetzt in säkularisierter politischer Form weiter wirken –, so wird hier zurecht die These vertreten, «dass seit den Anfängen der Eidgenossenschaft die Beziehung zu Gott, Glauben und Kirche in historiographischer wie politischer Hinsicht eine besondere Rolle spielte, die mit ihrer politischen Struktur und deren Wandel zu tun hatte.» (13) Entscheidend für Religion in der Politik im schweizerischen Kontext ist in historischer Hinsicht bestimmt auch das Faktum, dass es zumindest auf Bundesebene nie eine Staatskirche bzw. Staatsreligion gegeben hat: «Schweizerische Nationalgeschichte ist daher in einer auffälligen Form als säkulare Erfolgsgeschichte jenseits der Glaubensbekenntnisse geschrieben worden.» (26)

Hermann Lübbe blickt zweitens vor allem über den Atlantik, wenn der Blick auch zurück nach Europa fällt: Es ist bekannt, dass die Vereinigten Staaten trotz Modernisierung «säkularisierungsresistenter» sind, was sich auch im geopolitischen Sensorium für religiöse Momente v.a. im Krisenfall, bemerkbar macht. Hier geht Lübbe an zentraler Stelle auf den Balkankonflikt in Ex-Jugoslawien ein, in dem die USA «grössere Kompetenz nicht allein auf der Verfügung über ausreichende militärische Mittel» (33) besass – was nicht zuletzt eine Frage von Religion in der Politik (und im Krieg) war und wurde.

Peter Voll legt drittens einen wohltuend «theoretischen» Beitrag vor, der den Untertitel des Bandes verstärkt ausleuchtet: Die Wechselwirkungen zwischen Religion und Politik sind vielfältig und niemals eindirektional, so z.B. in Fragen der juridischen Anerkennung als «Religion» bzw. «religiös», was Rückwirkungen auf das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften hat (48) oder etwa wenn andererseits Religionsgemeinschaften in politische Auseinandersetzungen involviert sind (53) – durch Konflikte werden solche tendentiell gestärkt. Das zeig(t)en so manche Kulturkämpfe in einer ersten Phase.

Die Titelfrage des Bandes ist freilich rhetorischer Natur – denn wer wollte nachaufklärerisch wohl mit Religion Staat machen? Bestimmt wollen dies nicht die HerausgeberInnen, die dem Konzept einer offenen, liberalen Gesellschaft anhangen (12, Vorwort); und die, die es wollen, sind wohl in einer Position, in der sie diese Frage in der Schweiz – hoffentlich – nie positiv beantworten können. Damit ist für Staat und Gesellschaft freilich nur eine Vorbedingung realisiert.

Zitierweise:
David Neuhold: Rezension zu: Béatrice Acklin Zimmermann/Ulrich Siegrist/Hanspeter Uster (Hg.), Ist mit Religion ein Staat zu machen? Zu den Wechselbeziehungen von Religion und Politik, Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 503-504

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