H. J. Mierau: Kaiser und Papst im Mittelalter

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Titel
Kaiser und Papst im Mittelalter.


Autor(en)
Mierau, Heike Johanna
Erschienen
Köln 2010: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Wie ein roter Faden zieht sich der Begriff «Gewaltenteilung» durch das vorliegende Werk. Heute kennt der moderne Staat die Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative. Sie wirkt systemerhaltend und ausgleichend und kann Anschläge in Richtung tyrannischer Alleinherrschaft verhindern.

Bereits in der Spätantike bildete sich eine Art Gewaltenteilung in der Doppelspitze von Kaiser und Papst heraus. So ist im Westreich, das auf dem Spannungsverhältnis von Kaiser und Papst aufgebaut war, eine Begrenzung der absoluten Macht realisiert worden. In den letzten Jahrzehnten gehörte es zu den ungeschriebenen Regeln der modernen Geschichtsbetrachtung, die beiden Gewalten möglichst zu separieren. Bände wie «Das Kaisertum im Mittelalter», «Die deutschen Herrscher des Mittelalters» oder «Die Geschichte des Papsttums» zeugen von einer strikten Trennung zwischen imperium und sacerdotium. In dieser Studie wird der Versuch unternommen, keine Trennung von Papst- und Kaisergeschichte vorzunehmen, in der die Bipolarität zur Sicherung der christlichen Weltordnung aufgezeigt wird. Machtbegrenzung und wechselseitige Korrektur dienten als wichtige Komponenten einer gerechten Gesellschaft.

Das Christentum trat mit dem Toleranzedikt von Konstantin im Jahre 313 als legaler Religionsverband in das imperium Romanum ein. Der Kaiser ergriff mit der Einberufung von Konzilien die Initiative, um Verbindlichkeiten im Miteinander von «Staat» und «Kirche » zu finden, vor allem aber um den internen Glaubensstreit zu entscheiden (Katholiken/Arianer). Die Bischöfe als Vorsteher der Christengemeinden wurden deshalb seit Konstantin zu einer neuen Elite des Reiches. Die Verlegung des Kaisersitzes von Rom nach Byzanz trug hiezu bei. Das Tandem Kaiser Konstantin/Papst Silvester I. wirkte für die kommenden Jahrhunderte prägend. Ein Beispiel sind die auf päpstlichen Auftrag hin errichteten Konstantin/Silvester-Fresken in der Kirche SS.Quattro Coronati in Rom. Seit 313 wurden die Bischöfe von Rom ausdrücklich vom Kaiser aufgefordert, als Schiedsrichter in Streitfragen zwischen Bischöfen zu fungieren.

Im 6. Jahrhundert lenkten Kaiser und Papst die Christenheit gemeinsam. Die kooperative Bipolarität von Kaiser und Papst wurde in der siebten Novelle Kaiser Justinians 536 Verfassungsrecht des Reiches: Die Aufgabenverteilung wurde klar in einen göttlichen und einen weltlichen Bereich geschieden. Grössere Spannungen zwischen dem Papsttum und dem oströmischen Kaisertum ergaben sich im 8. Jahrhundert. Der Papst brach mit Ostrom, das seinen Aufgaben als Schützer der Kirche und des römischen Papsttums nicht hinreichend nachkam, und bestimmte in einem selbstherrlichen Krönungsakt am 25. Dezember 800 Karl den Grossen zum neuen Kaiser (des Westens). 812 kam es schliesslich zur endgültigen Anerkennung Karls und zur Tolerierung der Titelführung durch Ostrom. Die Ottonen konnten an die karolingische Tradition anknüpfen. Nach dem Sieg 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg über die Ungarn erhielt Otto der Grosse im Jahr 962 die Kaiserkrone aus den Händen des Papstes. Dabei versprach er, Schützer und Schirmer der Heiligen Römischen Kirche zu sein. Die Heirat zwischen Otto II. und Theophanou brachte eine Wiederannäherung des lateinischen und griechischen Teils des alten Imperium Romanum.

Mit der Krönung des Saliers Heinrichs II. und seiner später als Heilige verehrten Gattin
Kunigunde symbolisierte der Papst, dass er die christliche Weltherrschaft vergab. Heinrich
III. sorgte für Ordnung im Kirchenstaat und erreichte nicht nur die förmliche Absetzung
der drei lebenden Päpste, sondern auch die Besetzung des höchsten Amtes in der
Kirche mit einem Bamberger Bischof. In den folgenden Jahrzehnten schlug das Pendel in
die andere Richtung aus. Im Investiturstreit kam es zu einer Systemkrise, als Gregor VII. mit dem «Dictatus papae» die Bipolarität völlig zugunsten einer päpstlichen Weltherrschaft aufheben wollte. Canossa ist der Höhepunkt. Erst im Jahre 1122 gelang es, mit dem Wormser Konkordat unter Heinrich V. eine Einigung mit dem Papsttum zu erreichen.

Unter dem Staufen Friedrich I. (Barbarossa) kam es 1153 zum Vertrag von Konstanz, der bekräftigte, dass zwischen regnum und sacerdotium Frieden und Eintracht herrschen soll. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts gelangte die päpstliche Seite unter Innozenz III. mit dem Laterankonzil 1215 auf den Höhepunkt der Macht. Der Papst nahm daher die gleiche Rolle wahr, die Konstantin in Nicäa ausgefüllt hatte. Friedrich II. strebte eine aufs Mittelmeer konzentrierte Weltherrschaft an. Mit seinen Kreuzzugsplänen war er erfolgreich. Fast zehn Jahre währte der Friede zwischen Kaiser und Papst. Aber auf dem Konzil von Lyon 1245 wurde der Kaiser als Häretiker verurteilt. 1250 starb er. Die Vakanz im Reiche führte dazu, dass die deutschen Reichsfürsten die Zeit für ihre eigene Territorialpolitik ausnützten. 1273 entschieden sich die Kurfürsten für Rudolf von Habsburg. Auf dem II. Konzil von Lyon 1274 bestätigte Gregor X. Rudolf als König und übermittelte ihm das Angebot zur Kaiserkrönung, die aber nie zustande kam. Unter Bonifaz VIII. kam es zum ersten Heiligen Jahr. Der Papst vertrat den Standpunkt: «Der wahre Kaiser ist der Papst» (Unam Sanctam). Dadurch wurde die Zwei-Schwerter-Theorie neu gedeutet.

Hauptproblem des 14. Jahrhunderts war die Rückkehr der Päpste nach Rom. Aber kurz
nach der Erreichung des Ziels brach das Grosse Schisma aus, das erst durch Kaiser Sigismund auf dem Konzil von Konstanz beendet werden konnte. Der 1417 gewählte Papst Martin V. entschied den Machtkampf zwischen Papsttum und Konzil zugunsten des Papsttums. Erst der Enkel Maximilians Karl V. konnte auf der Grundlage des iberischen Erbes seiner Mutter das Kaisertum antreten. Der junge Kaiser verfügte mit der iberischen Halbinsel, der Neuen Welt und dem alten Kernland in den Deutschen und Italienischen Landen über grössere Gebiete als alle seine Vorgänger seit Karl dem Grossen. Er entschied sich im Streitfall, ob die Causa Lutheri vor einer Nationalsynode verhandelt oder als eine Reichsangelegenheit zu betrachten sei, für seine zentralistische Position und verbot ein für 1524 geplantes Nationalkonzil: Die Bipolarität der beiden Gewalten wurde in diesem zentralen Fall der Glaubenseinheit vom erwählten Kaiser gegen nationale Sonderinteressen verteidigt. Bei allen Spannungen zwischen den beiden Gewalten durch das ganze Mittelalter hindurch ist doch immer ein intensives Zusammenspiel zwischen Kaiser und Papst zu beobachten. Ein paar Beispiele mögen das belegen: Die Rangerhöhung Salzburgs 798 entsprang der Zusammenarbeit zwischen Papst und dem zukünftigen Kaiser Karl dem Grossen. Die Errichtung des Erzbistums Magdeburg war die Folge einer intensiven Zusammenarbeit im Zuge der Kaiserkrönung Ottos des Grossen. Als Gran zum Erzsitz für Ungarn bestimmt wurde, war das ein Akt beider Gewalten, ebenso der Akt von Gnesen im Jahr 1000 im Kontext der polnischen Königserhebung. Die Abspaltung der Bistümer Wien und Wiener Neustadt aus der Diözese Passau im Jahre 1469 belegt erneut das enge Zusammenspiel der beiden Gewalten.

Leider findet sich in diesem reichhaltigen Band, der das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt durch mehr als tausend Jahre aufs schönste aufzeigt, auch ein sinnstörender Fehler. Christus und Maria werden durch die Autorin auf die gleiche Stufe gestellt. Nach christlicher Auffassung wird Christus als Sohn Gottes angebetet, während Maria als Geschöpf verehrt wird (234).

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: Heike Johanna Mierau, Kaiser und Papst im Mittelalter, Köln/Weimar/Wien, Böhlau, 2010, https://www.infoclio.ch/de/rez?rid=19752. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 461-462.