R. Holenstein: Erfinder der modernen Schweiz

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Title
Ochsenbein – Erfinder der modernen Schweiz.


Author(s)
Holenstein, Rolf
Published
Basel 2009: Echtzeit Verlag
Extent
652 S.
Price
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Jürg Segesser

Ulrich Ochsenbein war der erste Berner Bundesrat. Aus einfachen Verhältnissen stammend, knüpfte er im bernischen Seeland rasch ein enges Netz aus gesellschaftlichen, beruflichen, militärischen und politischen Kontakten. Diesem Beziehungsnetz verdankte er es, dass der Misserfolg im zweiten Freischarenkrieg keinen Karriereknick bedeutete. In rascher Folge wurde Ochsenbein bernischer Regierungsrat, Regierungspräsident, Tagsatzungspräsident, Präsident der Bundesrevisionskommission, Nationalratspräsident und schliesslich Bundesrat.

Bei der Ausarbeitung der Bundesverfassung von 1848 war er eine treibende Kraft, und ihm ist es nicht zuletzt zu verdanken, dass das Werk in der Rekordzeit von gut sechs Monaten ausgearbeitet, beraten und in Volksabstimmungen angenommen wurde. Wegen seinem Engagement für die neue Bundesverfassung zerstritt er sich allerdings mit verschiedenen Meinungsführern der Berner Radikalen. Die nächste Wiederwahl als Nationalrat schaffte er nur mithilfe der Konservativen, und 1854 fiel er nach dem Ausgleich zwischen Konservativen und Radikalen (der sog. «Fusion») endgültig zwischen Stuhl und Bank. Er schaffte weder die Wahl in den Nationalrat noch die Wiederwahl als Bundesrat.

Mit 43 Jahren musste er sich von einem Tag auf den andern eine neue Existenz aufbauen. Er fand eine solche zum Teil in Frankreich als General von Napoleon III., zum andern verbrachte er den Rest des Lebens als Gutsbesitzer, Publizist und Anwalt auf seinem Landgut Bellevue. Der Versuch eines politischen Comebacks scheiterte, ebenso blieben seine Interventionen zur Juragewässerkorrektion und zum bernischen Eisenbahnbau ohne Wirkung.

Der Journalist Rolf Holenstein will Ulrich Ochsenbein wieder an den ihm in der geschichtlichen Erinnerung gebührenden Platz stellen. Dazu hat er eine Vielzahl von Publikationen benutzt, im Staatsarchiv Bern bisher unbekannte Briefe von Johann Rudolf Schneider (Nationalrat und treibende Kraft bei der 1. Juragewässerkorrektion) entdeckt, und er durfte aus dem Familienarchiv Courvoisier Briefe von Ochsenbein benutzen. Die Innensicht in ein Politikerleben vermittelt neue Sichtweisen. Allerdings: Dort, wo Innen- und Aussensicht auseinanderklaffen, folgt Rolf Holenstein ziemlich konsequent der Innensicht. Entstanden ist so ein dickes Buch (600 Seiten, davon gut 100 Seiten Anmerkungen), das flüssig, spannend, allerdings mit einer gewissen Neigung zum Dramatisieren, geschrieben ist.

In 11 Kapiteln (mit zum Teil etwas suggestiven Überschriften) wird der Werdegang von Ulrich Ochsenbein von seiner Geburt bis zu seinem Tod dargestellt. Das Schwergewicht liegt dabei stark auf der Zeit bis 1848, das heisst auf der ersten Lebenshälfte Ochsenbeins. Dieser Teil beansprucht gut drei Viertel des Umfangs, ein Kapitel befasst sich mit der sechsjährigen Amtszeit von Ochsenbein als Bundesrat und zwei kürzere Kapitel mit den 36 Jahren nach seiner Nichtwiederwahl als Bundesrat. Dieser letzte Lebensabschnitt, der eigentlich wenig bekannt ist, wird im Verhältnis zum Umfang des Buches leider eher stiefmütterlich abgehandelt.

Rolf Holenstein beschreibt Ochsenbein als «Erfinder der modernen Schweiz» und schreibt ihm auch eine Vielzahl von Ideen zu, die eigentlich im Zeitgeist lagen und die im Kollektiv der Bundesrevisionskommission und ihrer Unterausschüsse erarbeitet worden sind. Solche Übertreibungen wären eigentlich unnötig, ebenso die seitenlangen Attacken im Anmerkungsteil auf den ersten Biografen Ochsenbeins, der nach Holenstein reines «Ochsenbein-Bashing» betrieben habe und dem die meisten späteren Autoren abgeschrieben hätten. Eine sehr gewagte Behauptung! Ob die interessante, aber etwas langfädige und umfangreiche Biografie ihren Zweck erfüllt, sei dahingestellt. Die Geschichte des ersten nicht wiedergewählten Bundesrates dürfte indessen je nach politischer Präferenz auf unterschiedliches Echo stossen.

Zitierweise:
Jürg Segesser: Rezension zu: Holenstein, Rolf: Ochsenbein. Erfinder der modernen Schweiz. Basel: Echtzeit Verlag 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 56-57.

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Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 56-57.

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