M. Nattiel-Soltermann: Portrait einer Dynastie

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Title
Portrait einer Dynastie. Leiterinnen der Kindergartenseminare im Kanton Bern zwischen weiblichem Herrschaftsanspruch und staatlicher Legitimation 1917–2005


Author(s)
Nattiel-Soltermann, Marlis
Series
Geschichte und Bildung 1
Published
Zürich 2010: LIT Verlag
Extent
153 S.
Price
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Karin Fuchs, Geschichte, Universität Zürich

Marlis Nattiel-Soltermann greift in ihrer Studie eine Thematik auf, die bisher wenig Beachtung fand. Weder der Kindergarten noch die Rolle dessen Leiterinnen beschäftigte die historische Forschung in der Schweiz in einem grösseren Rahmen. Dazu kommt der ausgewiesen genderspezifische Ansatz der Arbeit, die damit darauf reagiert, dass der Kindergarten seit seinem Bestehen in allen Bereichen im Wesentlichen von Frauen geprägt worden war. Der Kindergarten unterlag im untersuchten Zeitraum einem Wechselspiel gesellschaftlicher Akzeptanz, womit eng verknüpft geschlechterspezifische Rollenerwartungen und -haltungen verknüpft waren.

Die Ära der weiblichen Definitionsmacht über den Kindergarten habe mit dem Strukturwandel, wie er sich in der Schweiz vor dem Hintergrund der Tertiarisierung der gesamten Lehrerinnen- und Lehrerbildung in der jüngst vergangenen Zeit vollzogen habe, ein Ende gefunden. Von dieser These geht die Autorin aus und verweist damit auf eine Eigenheit, wonach den Frauen in der Schweizer Gesellschaft über all die Jahre ein Freiraum im Vorschulbereich offen gelassen wurde. Die Leiterinnen der Berner Kindergartenseminare, die Nattiel-Soltermann porträtiert, haben diesen Freiraum zu nutzen gewusst. Über siebzig Jahre prägten sie nachhaltig eine Bildungsinstitution und übten einen Einfluss aus, der weit über den Kanton Bern hinausging. Die rund um das Rollenverständnis angelegten Spannungsverhältnisse sind jedoch unübersehbar. Dies zeigt sich prägnant in den Biografien dieser Leiterinnen zeigt.

Vor dem Hintergrund des schweizerischen Bildungsföderalismus mit seiner Gemeindeautonomie ist die Geschichte des Kindergartens in der deutschsprachigen Schweiz zu verstehen. Begleitend war ein retardierendes Rollenverständnis, das weit in die Nachkriegszeit hineinreichte. Dass es sich dabei um eine zeitgeschichtliche Studie handelt, zeigt sich zum einen in der gewählten Methode. Die Autorin erschliesst mittels narrativer Interviews in einem aufwendigen Verfahren teilbiografische Aspekte der Berner Kindergartenleiterinnen. Dank dieser Methode lassen sich genderspezifische Fragen und Themen überhaupt erst erfassen und angehen.

Zum anderen ist die Autorin in gewissen untersuchten Phasen selber «Zeitzeugin», wie es die eigenen biografischen Begebenheiten darlegen. Damit stellte sich ihr das Spannungsfeld persönlicher Erinnerung und wissenschaftlicher Zeitgeschichtsschreibung, mit dem sie in überzeugender Art transparent und kompetent umgegangen ist. Die Aussagen der interviewten Leiterinnen, die die Historikerin in ihre Arbeit einbaut, erschliessen interessante Einblicke in Herkunft, Ausbildung, pädagogische Leitvorstellungen sowie Professionsverständnis der Leiterinnen der ehemaligen Kindergartenseminare im Spannungsfeld zwischen weiblichem Herrschaftsanspruch und staatlicher Legitimation.

Der erste Beitrag der Reihe «Geschichte und Bildung» erfüllt damit genau die Ziele der beiden Herausgeber, die mit der Reihe eine Plattform für historische Bildungsthemen schaffen wollen. Ein Desiderat, das vergleichenden Fragen mit historischen Bezügen aus dem Bildungsbereich einen Platz geben will. Der Autorin gelingt im wörtlich anschaulichen Sinne ein ausserordentlich fein nivelliertes und präzise konturiertes Porträt einer fast dynastisch verbunden wirkenden Gruppe von Frauen, die die bernische Kindergartenlandschaft im Laufe des 20. Jahrhunderts massgeblich geformt und geprägt haben.

Zitierweise:
Karin Fuchs: Rezension zu: Marlis Nattiel-Soltermann: Portrait einer Dynastie. Leiterinnen der Kindergartenseminare im Kanton Bern zwischen weiblichem Herrschaftsanspruch und staatlicher Legitimation 1917–2005. Zürich, Lit Verlag, 2010. (Markus Furrer und Kurt Messmer [Hg.], Geschichte und Bildung, Band 1). Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 60 Nr. 4, 2010, S. 501-502.

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Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 60 Nr. 4, 2010, S. 501-502.

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