R. Voltmer: Wie der Wächter auf dem Turm

Cover
Titel
Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510) und Strassburg


Herausgeber
Voltmer, Rita
Reihe
Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte, 4
Erschienen
Trier 2005: Porta Alba Verlag
Anzahl Seiten
1097 S., Abb.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Kathrin Utz Tremp, Staatsarchiv Freiburg

Bei dem vorliegenden umfangreichen Buch handelt es sich um eine Dissertation, die im März 1998 im Fachbereich III der Universität Trier (Prof. Dr. Franz Irsigler) angenommen wurde, deren Drucklegung sich aber wohl nicht zuletzt wegen ihres Umfangs bis 2005 verzögert hat. Die Autorin, Rita Voltmer, hat sich inzwischen vor allem als Hexenforscherin mit Schwergewicht Frühe Neuzeit einen Namen gemacht, doch liegen ihre Anfänge offensichtlich im Spätmittelalter, und zwar bei einem der berühmtesten spätmittelalterlichen Prediger, Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510), dem ersten Inhaber der 1478 gegründeten Prädikatur am Strassburger Münster. In dieser Eigenschaft hat er in den 32 Jahren bis zu seinem Tod ein umfangreiches Predigtkorpus geschaffen, das zumindest zum Teil in Frühdrucken überliefert ist. Die Autorin übernimmt es, aufgrund dieses Korpus’ Geilers Auffassung von seinem Amt, sein Verhältnis zu «seiner» Stadt Strassburg und schliesslich das Reformkonzept, das er für diese entwarf, zu schildern (39). Für Geiler waren Amt und Person des Predigers untrennbar verbunden, und er verstand sich selber als Wächter auf dem Turm, «der die Stadt, d. h. die christliche Gemeinschaft vor Gefahren zu beschützen hatte» (197). In der Fastenzeit predigte er nicht nur täglich, sondern hielt sich auch streng an das Fasten, so dass seine Freunde nicht selten um seine Gesundheit fürchteten (735–736). Dieses Amtsethos als Prediger führte bei ihm zu einem ausgeprägten Wahrheitsfanatismus, und die nahezu unangreifbare Stellung des Münsterprädikanten erlaubte es ihm, Konflikte von der Kanzel auszutragen (225, 227). Er sah die Stadt als corpus mysticum, als christliche Gemeinschaft aus «gaistlich und weltlich menschen » (251, 260). Zwischen Geistlichen und Laien verlief indessen eine unüberschreitbare Trennlinie, ähnlich wie zwischen Chor und Schiff einer Kirche; kein Laie und schon gar keine Frau durfte den Chorraum betreten (262–263). Dabei kam der Priesterschaft eine unbedingte Aufsichtsrolle und Vorrangstellung vor den Laien zu, was nicht ausschloss, dass auch die erste für Geiler äusserst reformbedürftig war. Er hielt die «Pfaffenfeindlichkeit» seiner Zeit für verdient, erlaubte aber nicht, dass die Laien in die libertas ecclesie eingriffen (262–268). Die Reform des Klerus hatte durch diesen selber zu erfolgen, nicht durch die Stadtregierung (436). Geiler war auch gegen die Pfründenkumulation in gleicher Hand, meinte aber, dass gute Geistliche doch mehrere Pfründen besitzen dürfen sollten (438) Da der Prediger aber beim Klerus mit seinen Reformabsichten nicht weiterkam, versuchte er, «strikte asketische, dem observanten Mönchtum entlehnte Ideale in die Welt der Laien zu übertragen und für eine bessere christlich-moralische Erziehung zu sorgen» (440). Er strebte eine Theologisierung der Stadt an, eine Art Theokratie, ähnlich wie fast zeitgleich mit ihm der Dominikaner Girolamo Savonarola (1452–1498) in Florenz. Geiler stellte sogenannte Missbrauchskataloge auf, indem er z. B. verlangte, dass den zum Tod Verurteilten das Sakrament nicht mehr gereicht werden oder dass die Wahl eines Kinderbischofs, der vom Nikolaustag bis zum Oktavtag der Unschuldigen Kinder «regierte», unterdrückt werden sollte (443–445). In Geilers Augen waren es solche Dinge, die den Zorn Gottes herausforderten, der sich z. B. in der neu auftretenden Krankheit der Syphilis äusserte (454). Letztlich scheiterte Geiler indessen auch mit der Reform der Laien, denn der städtische Rat liess sich von ihm nicht in die Karten schauen und unterstützte den Prädikanten nur dort, wo es zu seiner eigenen Stärkung beitrug (460–461). Als Geiler am 10. März 1510 im Alter von fast 65 Jahren starb, gab es Bestrebungen zu seiner Heiligsprechung, die aber durch die Reformation unterbrochen wurden (735–736). Sein stark dualistisches Gesellschaftsmodell war zugleich ein statisches; nichts war ihm so zuwider wie Aufstieg, sei es durch die Kumulierung von Ämter oder Konnubium, und seine Stadt war eine «Stadt ohne Frauen», denn diese hatten entweder hinter Klostermauern oder im Haus zu leben (741f.). Alles in allem ein sehr reiches, dicht belegtes Werk, das sich notwendigerweise hie und da wiederholt, aber trotzdem flüssig liest.

Zitierweise:
Kathrin Utz Tremp: Rezension zu: Rita Voltmer, Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510) und Strassburg (=Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte, Bd. 4), Trier, Porta Alba Verlag, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 317-318.

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