M. Froeschlé-Chopard: Dieu pour tous et Dieu pour soi

Cover
Titel
Dieu pour tous et Dieu pour soi. Histoire des confréries et de leurs images à l‘époque moderne


Autor(en)
Froeschlé-Chopard, Marie-Hélène
Erschienen
Paris 2006: L'Harmattan
Anzahl Seiten
401 S., Abb.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Hersche

Nicht der etwas enigmatische Haupt-, sondern bloss der Untertitel sagt aus, was hinter diesem Buch steckt: Eine kumulative Geschichte der Bruderschaften in der Frühneuzeit. Es ist die abschliessende Synthese eines Lebenswerks, das sich auf den Spuren der grossen Anreger Gabriel Le Bras und Alphonse Dupront rund vierzig Jahre lang der Erforschung dieses Themas, insbesondere am Beispiel der Provence, widmete. Zusätzlich hat Froeschlé-Chopard aber auch den grossen Reichtum der französischen Regionaluntersuchungen zur Religionsgeschichte allgemein ausgewertet und in ihre Darstellung eingebaut. Damit ist entstanden, was sich heutzutage viele wünschen, ein sogenanntes Standardwerk.

Die Autorin führt uns nach einem Rückblick auf die mittelalterlichen Grundlagen die Geschichte der französischen Bruderschaften von der beginnenden Gegenreformation bis an die Schwelle der Revolution vor. Es ist spannend, anhand ihrer Ausführungen das Auf und Ab dieser einflussreichen religiösen Körperschaften durch drei Jahrhunderte zu verfolgen. Die tridentinischen Kirchenreform forderte einen Wandel der traditionellen Bruderschaften, den man mit der Kurzformel «Weniger Geselligkeit und mehr Frömmigkeit» umschreiben könnte, der aber niemals vollständig durchdrang. Noch lange hielten sich in einigen Gegenden die alten Bräuche. Konkurrenz kam mit den neuen Bruderschaften, insbesondere diejenigen des Altarssakraments und des Rosenkranzes, sowie die jesuitischen Kongregationen. Diese waren stärker vom Klerus dirigiert und mehr auf individuelle Frömmigkeitsübungen angelegt. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war ihre Ausbreitung eine Erfolgsgeschichte, die Froeschlé-Chopard auch mit harten Zahlen belegt. Eine letzte Welle mit Neugründungen von Bruderschaften gab es nach 1690 mit denjenigen zum neuen Kult des Herzens Jesu, und in dessen Fussstapfen auch des Herzens Mariä. Dann, deutlich sichtbar seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, folgte die grosse Krise. Die Eliten zogen sich, aus materiellen wie ideellen Gründen, von den Bruderschaften zurück; sie wurden zu einer Angelegenheit der minderen Klassen und der Frauen. Gerade die neuen Herz-Bruderschaften belegen die Feminisierungsthese eindrücklich. Erbittert bekämpft wurden diese von den Jansenisten, bis schliesslich die aufklärerische Kritik die Bruderschaften generell als unnütz, ja schädlich bewertete. In gewissem Sinne waren die Bruderschaften ein Opfer ihres eigenen Erfolgs: Der zunehmende, bei den Herz-Bruderschaften noch betontere Frömmigkeitsindivdualismus ging an die Substanz des Gemeinschaftlichen. An Quellen hat die Autorin selbstverständlich die Statuten und die Andachtsliteratur befragt. Daneben bringt sie aber auch (eine Stärke der französischen Geschichtsschreibung) sehr viel statistisches Material, zum Teil graphisch und kartographisch dargestellt. Insbesondere wurden die von der französischen Forschung seit einiger Zeit erschlossenen römischen Ablaßbreven, eine nach Zehntausenden zählende serielle Quelle, ausgewertet. Ein besonderes Anliegen der Verfasserin ist ferner, die bildlichen Quellen, denen sie zeitlebens mit grossem Spürsinn nachgegangen ist, zum Sprechen zu bringen. So findet der Leser in ihrem Buch als angenehme Beigabe auch sehr viele kommentierte Illustrationen, die einen anderen, sonst eher unüblichen Zugang zum Thema Bruderschaften anbieten.

Im Titel steht nicht, dass sich Froeschlé-Chopards Untersuchung geographisch auf Frankreich beschränkt. Nur am Rande, etwa bei der Auswertung der römischen Ablassbreven, greift die Autorin über diesen Raum hinaus. Das mindert ihre Leistung keineswegs, wirft aber natürlich die Frage auf, ob sich ihre Feststellungen europaweit generalisieren lassen. Ich würde dies eher verneinen. Insgesamt scheint mir auch die Geschichte der französischen Bruderschaften doch klar ein Spiegel jenes spezifisch «klassizistischen» Katholizismus zu sein, mit dem sich Frankreich vom barocken Modell abhebt. Um die Frage besser beantworten zu können, hätte die Verfasserin vielleicht die vorhandenen regionalen Unterschiede noch etwas stärker hervorheben können. Mindestens in «Kernfrankreich» war die Reform der Bruderschaften recht erfolgreich, währenddem sich in Italien und auf der iberischen Halbinsel die älteren Organisationsformen weit besser hielten. Die neuen Herz-Bruderschaften waren ebenfalls im 18. Jahrhundert weitgehend auf Frankreich beschränkt, mehr als die Hälfte der Ablassbreven ging in dieses Land. Allgemeine Verbreitung fanden der Kult der Herzen Jesu und Mariä erst im 19. Jahrhundert, was wiederum ein schönes Beispiel ist, wie Frankreich auch hier der allgemeinen religiösen Entwicklung voranging. Die wenigen vorliegenden Untersuchungen zum Bruderschaftswesen im deutschen Raum deuten ebenfalls auf Unterschiede zu Frankreich hin. Sie haben nur ganz am Rande auf die schon seit 1980 erscheinenden vielen Publikationen Froeschlé-Chopards konkreten Bezug genommen. Sie hätten davon entschieden profitieren können.

Zitierweise:
Peter Hersche: Rezension zu: Marie-Hélène Froeschlé-Chopard, Dieu pour tous et Dieu pour soi. Histoire des confréries et de leurs images à l‘époque moderne, Paris, L‘Harmattan, 2006. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 315-316.

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