S. Schmitt u.a. (Hrsg.): Städtische Gesellschaft und Kirche

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Titel
Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter.


Herausgeber
Schmitt, Sigrid; Klapp, Sabine
Reihe
Geschichtliche Landeskunde, 62
Erschienen
Stuttgart 2008: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
261 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Heinrich Speich, Allgemeine und Schweizer Geschichte des Mittelalters, Université de Fribourg/Suisse

Schon der Blick auf das Inhaltsverzeichnis offenbart die Schwierigkeit, die methodisch und thematisch disparaten Beiträge zu einer sinnvollen Einheit zu verschmelzen. Die Tagung vom Winter 2004, deren Ergebnisse jetzt vorliegen, bildete den Auftakt des Mainzer Forschungsprojektes «Kirche und Gesellschaft im Spätmittelalter. Soziale Mobilität und soziale Positionierung im landesgeschichtlichen Kontext». Die Herausgeberin betont in ihrer Einleitung, den doppelten Zweck: Einerseits soll die reiche Datensammlung von Francis Rapp zum Elsässer Klerus im Mittelalter nutzbar gemacht werden. Dazu werden die Möglichkeiten der elektronischen Aufarbeitung von Quellensammlungen in Datenbanken vorgestellt. Andererseits soll das Verhältnis von Personengruppen zu ihrem kirchlichen Umfeld im späten Mittelalter beleuchtet werden.

Der Reigen der Beispiele, wie elektronische Datenbanken für die Erschliessung von Quellen genutzt werden können, wird von Peter Rückert eröffnet, der die Württembergischen Regesten (WR) und ihre prosopographischen Auswertungsmöglichkeiten vorstellt. Dabei steht der Forschungsnutzen jener beinahe 16’000 Urkunden und Akten aus der Zeit zwischen 1301 und 1500 im Vordergrund. Auch wenn er die der Datenbank zugrunde liegenden Überlegungen gut präsentiert, erweckt sein Text eher den Anschein einer Betriebsanleitung als jenen einer beispielhaften Dokumentation des Anwendernutzens.

Ähnliches gilt für den Beitrag von Suse Baeriswyl-Andresen. Sie stellt anhand des Repertorium Academicum Germanicum (RAG) vor, wie Netzwerke akademisch Gebildeter erfasst und genutzt werden können, die im spätmittelalterlichen Reich in Kirche, an Höfen und in Städten tätig waren. Die Datenbank umfasst rund 35’000 Biogramme. Die prosopographischen Daten dienen dazu, Verwandtschaften, Netzwerke und Aktionsräume von Gelehrten und Gelehrtengruppen zu dokumentieren. Dabei wird die Verbreitung und Etablierung gelehrten Wissens mittels der Datenbank personell fassbar.

Quellenstrukturen und Forschungsinteresse gemeinsam aufzuzeigen, dies gelingt Andreas Rehberg mit der Vorstellung des Repertorium Germanicum (RG). Das Projekt des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Rom greift auf über 5'000 Bände publizierter päpstlicher Supplikenregister, Kanzleiregister und Kammerregister zurück. Diese umfassen regestenartig die Prosopographie deutschsprachiger Kleriker des späten Mittelalters. Der Autor versteht es, dem Leser den Aufbau und Erkenntniswert des Werkes eingängig zu erläutern. Dies zeigt er eingängig an einem konkreten Beispiel, wobei Nutzen und Grenzen des RG ausgelotet werden. In einem zweiten Teil stellt Rehberg jene kurialen Quellengattungen vor, die dem Repertorium Poenitentiarie Germanicum (RPG) zu Grunde liegen. Die Pönitentiarregister in rund 150 Bänden (1410–1559) umfassen die Akten des päpstlichen Gerichtshofes für eherechtliche Fragen, Gnadenerweise, Weihedispense, freie Wahl des Beichtvaters und Lossprechungen aller Art. Ferner betont Rehberg die Bedeutung der päpstlichen Weiheregister, die Notariatsprotokolle der römischen Notare, die Bruderschaftsbücher etc. als spezifisch römische Quellentypen.

Die folgenden Beiträge befassen sich mit der städtischen Gesellschaft in ihrer Interaktion mit Klerus und kirchlichen Institutionen. Karl Borchardt zeichnet die Sozialgeschichte des Johanniterordens in oberdeutschen Städten nach. In einer ersten Phase bis etwa 1250 stützte sich der Orden in Deutschland vor allem auf Priesterbrüder. Danach stellte er in seiner Zusammensetzung aus Adel und städtischen Führungsschichten einen Spiegel der Machteliten dar. Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden weniger neue Brüder aufgenommen, der Orden verschloss sich zunehmend stadtbürgerlichen Schichten und verlor damit in den Städten an sozialer Aktzeptanz und Einfluss.

«Klerus in Koblenz» von Martina Knichel belegt exemplarisch, wie städtische Patrizier als Kanoniker an den Stiftskirchen ihren Einfluss auf die Stadtämter geltend machten. Wie sich dieser Einfluss auf die «fabrica ecclesiae» auswirkte, zeigt Arnd Reitemeier anhand von Amt und Aktionsradius städtischer Kirchenmeister. Die eingängige Beschreibung von Robert Gramsch zum «Lüneburger Prälatenkrieg» (1446–1462) beleuchtet die Netzwerke von Rat und Klerus und ihre Erfolgsaussichten im Streit um die städtische Besteuerung kirchlicher Einkünfte.

Sabine von Heusinger befasst sich mit den Handwerksbruderschaften in Strassburg. Deren Zweck bestand einerseits in der «memoria» der Mitglieder, andererseits bildeten sie eine frühe Form sozialer Vorsorge mittels Spitalgeldern oder Darlehen. Die Satzungen der Bruderschaften bezweckten eine Kontrolle der Mitglieder und ihre Integration in die städtische Gemeinschaft, bis hin zur internen Rechtssprechung. Eine zentrale Funktion erfüllten sie während Prozessionen in der Stadt, die von Kirche oder Rat veranlasst werden konnten. Anhand der Stationen der Bittprozession für Regen im Juni 1438 entwirft die Autorin eine situative Sakraltopographie der Stadt.

Die «Orte politischer Kommunikation im spätmittelalterlichen Breslau» stehen im Fokus von Andreas Rüther. Er definiert die Orte politischer Meinungsbildung funktional. Dazu zählen die Trinkstuben der Gilden mit ihren «festen Formen der Geselligkeit» oder die Besetzung der Kirchenpfründen nach politisch austarierten Kriterien. Am Beispiel der «Hussitenfurcht» zeigt er anschliessend, welch entscheidende Funktion die Kirchen und ihr Personal in der politischen Information der zünftisch organisierten Gesellschaft innehatten.

Letha Böhringer nutzt eine prosopographische Datenbank, um Kölner Beginen und ihre Familen sozial einzuordnen. Anhand der Einträge in Schreinsbüchern und Stadtrechnungen weist sie in hoher argumentativer Klarheit nach, welche Stellung Beginen in der städtischen Gesellschaft hatten und dass sie ihren Stand innerhalb der gewählten Lebensform meistens beibehielten.

Abschliessend betrachtet Rita Voltmer anhand des Werkes des Predigers Johannes Geiler von Kaysersberg (1445–1510) die Unterschichten in Strassburg. Der ausführliche Artikel demonstriert den differenzierten Armutsbegriff des Münsterpredigers und diskutiert sein polit-theologisches System.

Die Zusammenfassung der Tagungsergebnisse von Rolf Kiessling schlägt den Bogen zur Einleitung, die sich beide mehr auf die Tagung als auf die Publikation der Beiträge beziehen. So wie es für die Herausgeberinnen eine Herkulesaufgabe war, methodische und inhaltliche Beiträge sinnstiftend zu vereinen, so bedauerlich ist es, dass der Leserschaft in diesem Band fünf der Tagungsbeiträge vorenthalten werden. Auch wenn zwischen Tagung und Drucklegung einige Zeit verstrichen ist, blieben die Ergebnisse nicht ohne gebührende Resonanz. Die konsequente Anwendung eines prosopographischen Ansatzes stellt einen Zugewinn für Städteforschung, Landes-, Sozial- und Kirchengeschichte dar.

Zitierweise:
Heinrich Speich: Rezension zu: Sigrid Schmitt/Sabine Klapp (Hg.), Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter (=Geschichtliche Landeskunde, Bd. 62), Stuttgart, Franz Steiner Verlag, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 314-315.

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