Cover
Titel
Hexen. Historische Faktizität und fiktive Bildlichkeit – Sorcières. Faits historiques, imagerie et fiction.


Herausgeber
George, Marion; Andrea Rudolph
Reihe
Kulturwissenschaftliche Beiträge. Quellen und Forschungen; 3
Erschienen
Dettelbach 2004: J. H. Röll Verlag
Anzahl Seiten
495 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Mario Kreuter, Redaktion "Südost-Forschungen", Südost-Institut

Der zweisprachige Titel des Sammelbandes ist ein wenig verwirrend, da sämtliche seiner Beiträge in deutscher Sprache abgefasst sind und lediglich am Schluss jedes einzelnen Beitrags eine französische Zusammenfassung folgt. Doch das internationale Symposium Die Hexe. Historische Realität, Ideologie, Fiktion, das vom 31. Oktober bis zum 2. November 2002 in Penzlin in Mecklenburg-Vorpommern stattfand, ist u. a. vom Institut für Germanistik der Universität Poitiers mitorganisiert worden, was diesen schönen Umstand erläutert.

Die insgesamt 26 Beiträge des vorliegenden Sammelbandes sind in sechs Gruppen eingeteilt. Während sich in der ersten Gruppe Aufsätze zu Sprach- und Vorstellungsbildern des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit finden, hat die zweite Gruppe die volkskundlichen Quellen populärer Narrationsformen zum Gegenstand. In Gruppe Nummer drei stehen Fragestellungen des literarischen 18. Jahrhunderts im Vordergrund, während die vierte Gruppe gleiche Fragestellungen für das 19. Jahrhundert behandelt. Nummer fünf nähert sich der Gegenwartsliteratur, und in der sechsten Gruppe stehen Kinderliteratur und museumspädagogische Fragestellungen im Fokus des Interesses. Für den Historiker interessant sind die beiden ersten Gruppen mit vier bzw. drei Beiträgen sowie der erste Beitrag aus Gruppe Nummer drei.

Irmtraud Rösler verfolgt in ihrem Aufsatz «‘… dergleichen malefiz Persohn …’ Mecklenburgische Prozeßakten als Quellen sprachhistorischer Beobachtungen» (S. 19–34) ein eher linguistisches Interesse. Neben einer Diskussion der Prozessakten als Textsorte untersucht Rösler die Bezeichnungen für die Angeklagten, die einzelnen Hexereidelikte und für den Teufel.

Ren?te Sili?a-Pi??e beschäftigt sich mit «Hexenpflanzen im Deutschen und Lettischen» (S. 35–45). Dieser Beitrag ist sowohl sprach- als auch kulturwissenschaftlich angelegt und geht vor allem für das Lettische auch Namensvarianten einzelner Pflanzen nach. Sili?a-Pi??e behandelt dabei nicht nur diejenigen Pflanzen, die man als Werkzeuge der Hexen ansah, sondern auch solche, die der Hexenabwehr dienten.

Jitka Komendovás Beitrag «Zum Phänomen ‘Hexentum’ im ältesten Schrifttum der Rus’» (S. 47–55) sowie Sabine Heimann-Seelbachs Aufsatz «des tîfels genôz. Zur Dichotomisierung des Dämonischen im Artusroman» (S. 57–72) sind zwar literaturwissenschaftlich angelegt, doch sind sie aufgrund der ausgewählten Textkorpora sicherlich auch für Mittelalterhistoriker interessant.

In der zweiten, volkskundlich ausgerichteten Gruppe steht ein Beitrag von Leander Petzoldt mit dem Titel «Das Bild der Hexe in der populären narrativen Tradition des 19. Jahrhunderts. Zur Wirkungsgeschichte des Malleus maleficarum» (S. 75–90) am Anfang. Anhand einiger Beispiele zeigt Petzoldt auf, wie sehr die Vorstellungswelt des Hexenhammers auf die Volksliteratur und Popularkultur eingewirkt hat. Petzoldts Beitrag ist ein umfangreicher Übersichtsartikel.

Christa Tuczay hat sich der «Darstellung der Hexe in der österreichischen Sage» (S. 91–120) gewohnt kenntnisreich angenommen. In ihrem in 16 Abschnitte unterteilten Beitrag stellt Tuczay u.a. die nachgeahmte Hexenfahrt, die beschlagene Hexe, die Hexe als Alp oder Trud oder die Herzesser vor.

Eva Krekovi?ovás «Zur Reflexion der Hexe in den folkloren Gattungen. Vergangenheit und Gegenwart – am Beispiel deutschsprachiger und slowakischer Texte» (S. 121–129) ist leider etwas knapp geraten. Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen hauptsächlich auf slowakisches Material gestützten Forschungs überblick.

Der für Historiker wichtige Beitrag aus der dritten Gruppe stammt von Gerda Riedl und ist «‘Alles von rechts wegen!’ Frühneuzeitliches Hexenprozess-(Un-)Wesen am Beispiel der Sidonia von Borcke» (S. 133–154) betitelt. Der behandelte Fall ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen entstammte Sidonia von Borcke einem begüterten Familienzweig eines alten pommerschen Adelsgeschlechtes und stellt somit eines der ständisch privilegiertesten Verfolgungsopfer dar. Zum anderen war sie kampfeslustig und prozesssüchtig, was zu einem rund 1000 Seiten starken Aktenkonvolut führte, das unzählige Gesichtspunkte eines Hexenprozesses beleuchten hilft.

Alle vorgestellten Beiträge sind fachlich hervorragend und lesenswert. Zusammen mit den Aufsätzen, die hier nicht vorgestellt werden konnten, wird ein beeindruckendes Panorama der volkskundlichen bzw. philologischen Hexenforschung dargeboten. Was die technische Seite anbelangt, so ist der Band nur zu loben. Der feste, geschmackvolle Einband, die stabile Bindung und die gute Papierqualität sind eine wahre bibliophile Freude. Die Abbildungen und Illustrationen sind allesamt von gestochen scharfer Qualität. Das Fazit kann nur positiv ausfallen: Marion George und Andrea Rudolph haben ein breit angelegtes Panorama der Hexenforschung zusammengestellt. Die einzelnen Beiträge sind allesamt informativ und von Fachleuten verfasst. Trotz eines nicht-geschichtswissenschaftlichen Schwerpunkts ist der Band auch dem Historiker von Nutzen.

Zitierweise:
Peter Mario Kreuter: Rezension zu: Marion George, Andrea Rudolph (Hg.): Hexen. Historische Faktizität und fiktive Bildlichkeit – Sorcières. Faits historiques, imagerie et fiction. Dettelbach, J. H. Röll, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 2, 2007, S. 224-225.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 2, 2007, S. 224-225.

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