C. Simeon: L’envol manqué de l’aviation militaire suisse

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Titel
L’envol manqué de l’aviation militaire suisse à la fin de la Belle Epoque (1910–1914.


Autor(en)
Simeon, Christophe
Erschienen
Neuenburg 2008: Éditions Alphil
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Kreis

Zu den Pionierjahren der schweizerischen Luftfahrt ist bereits einiges publiziert worden. Zu nennen ist insbesondere der umfangreiche Band von Erich Tilgenkamp von 1942. Ihn hat die jüngst publizierte und hier vorzustellende Lausanner Lizentiatsarbeit zum Ausgangspunkt einer spannenden Abklärung gemacht. Es handelt sich um eine unter der Leitung von H. U. Jost entstandene und – nachvollziehbar – mit dem Fakultätspreis ausgezeichnete und in den innovativen Editions Alphil publizierte Studie zu den Vorgängen rund um die nationale Flugspende von 1913. In einer Rekapitulation ist allerdings die kleine, aber ausgesprochen erhellende Studie von Christian Simon in Erinnerung zu rufen, weil sie bereits Jahre zuvor (1991) am kantonalen Beispiel von Basel untersucht hat, was Christophe Simeon nun mit Blick auf die gesamtschweizerische Entwicklung und mit einem speziellen Interesse für die Haltung der Armee behandelt. Simeon legt mit seinem Band eine anregende Studie zu den berührenden Erstversuchen der Fliegerei vor und geht den Bedingungen und Faktoren nach, welche den take-off dieses revolutionären Transportmittels begünstigt oder eher behindert haben.

An der 1913 lancierten Flugspende lässt sich die weit gespannte Frage abhandeln, inwiefern und warum es in dieser Aktion zu einer Verschränkung von technischem Fortschrittsglauben und nationaler Begeisterung gekommen ist. Dabei ist allerdings nicht eindeutig auszumachen, wer in wessen Dienst steht: die Förderung des Nationalen durch die Begeisterung für die Technik oder die Förderung technischer Innovation durch nationale Begeisterung.

Aus einem bestimmten Vorverständnis hält man eine Kombination von Nationalismus und Fortschrittswille für eher ungewöhnlich, hüllten doch auch traditionalistische Geister – und diese sogar in erster Linie – ihr konservatives Gutdünken gerne in den Mantel des nationalen Interesses. Der herrschende Militärpatriotismus war jedenfalls der jungen Fliegerei wenig zugetan. Fliegen, das war zu abenteuerlich und zu individualistisch und den Dirigenten gedrillter Massenheere suspekt. Das Maximum an Innovationsbereitschaft galt allenfalls dem Zeppelin. Selbst der Hinweis, dass fremde Flugmaschinen die eigene Bodentruppe demoralisieren würden, wenn man nicht ebenfalls über solche Apparate verfügte, sowie der Zuruf von französischer Seite, dass das Prinzip der bewaffneten Neutralität doch Investitionen in die neue Technologie geradezu erfordere, blieben ohne Wirkung.

Man kann zwar geltend machen, dass die armeefeindliche Haltung der Linken eine Investition in die Luftfahrt zusätzlich erschwert habe. Wenn man aber sieht, wie viel trotzdem in die Armee und insbesondere in das Festungswesen investiert werden konnte, dann sieht man, dass hier andere Gründe im Spiel waren. Die vom Verfasser vorgebrachte Erklärung, man habe auch darum wenig unternommen, weil man im Kriegsfall mit der Unterstützung durch die deutsche Flugwaffe gerechnet habe, dürfte erst später und bloss am Rande bestimmend gewesen sein. Der Hauptgrund lag offenbar in der innovationsfeindlichen Einstellung der massgebenden Armeeführer. Das stand allerdings im Einklang mit dem auch in Deutschland bis 1912 ebenfalls bestehenden Desinteresse, wie umgekehrt das auffallend lebendigere Interesse der französischen Schweiz mit Frankreichs aufgeschlossener Haltung gegenüber dem Flugwesen übereinstimmte. Nachdem die ersten Impulse zur Förderung des schweizerischen Flugwesens aus der französischen Schweiz gekommen waren, blieb die spätere Unterstützung durch die Basis in diesem Landesteil aus antizentralistischen Motiven dann aber ausgesprochen schwach.

Es war die enthusiastische Zivilgesellschaft, welche 1913 mit einer grandiosen Kollekte Bundesrat und Armee die Einführung der Flugwaffe gleichsam aufzwang. Es wäre aber unzutreffend, darin die Weiterführung einer spezifisch eidgenössischen, das heisst direkt-demokratischen und von der Idee der Gemeinnützigkeit getragenen Tradition zu sehen. Analoge Sammlungen zu ähnlichem Zweck waren bereits in Frankreich und Deutschland durchgeführt worden.

Die Arbeit stützt sich auf die Akten des Bundesarchivs sowie des Stadtarchivs Lausanne (für den Aéro-Club Schweiz). Auf der Vereinebene war der 1901gegründete und am Ballonflug interessierte Aéro-Club Schweiz (ACS) zunächst zurückhaltend, während der 1909 geschaffene Club Suisse d’Aviation (CSA) den Motorflug förderte. Das zentrale Kapitel befasst sich mit dem Desinteresse der Militärs an den revolutionären Möglichkeiten des Flugwesens. Der Vf. geht sogar so weit zu sagen, dass nicht nur nicht gefördert worden sei, sondern sogar eine «volonté de retarder le plus que possible» bestanden habe (S. 174). Der erste Armeeeinsatz fand im September 1911 statt, er dauerte gerade 8 Minuten und diente der Erspähung einer Kavalleriebrigade in der Umgebung. Das private Angebot, bei den bekannten Kaisermanövern von 1912 mitzuwirken, wurde dankend abgelehnt; Ulrich Wille hielt nicht viel von Flugszeugen. Und das EMD-Budget von 1913 sah noch immer keinen Posten für das Flugwesen vor.

Simeon kommt zu zwei bedenklichen Befunden: Die Armee habe es – und dies mit gravierenden Spätfolgen (Fehlen von Fluggeräten und einer nationalen Flugindustrie) – versäumt, rechtzeitig den Anschluss an eine wichtige neue Entwicklung herzustellen. Eine nicht restlos überzeugende Erklärung dafür sieht Simeon einerseits im traditionalistischen und mythologischen Selbstverständnis der politischen Elite, die es vorzog, sich mit den Pfahlbauern zu identifizieren, statt an der zukunftsträchtigen Technologie zu orientieren. Anderseits leitet er die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Flugwesen von der Bereitschaft ab, sich in den nationalen Aussenbeziehungen zu engagieren. Diese sei in der Schweiz nicht aufgekommen, weil man sich vor allem auf die innere Konsensherstellung konzentriert habe. Die jährlich wechselnden Departementsvorsteherschaften seien auch nicht dazu angetan gewesen, dass man die Innovation mit der nötigen Aufmerksamkeit verfolgte.

Erschwerend wirkte sodann die föderalistische Fraktionierung des Landes. Die Medienwirkung der Flugmeetings sei kleinräumig geblieben, dies habe nur schwer eine nationale Dynamik aufkommen lassen. Die topographischen Gegebenheiten fielen nicht gross ins Gewicht, und am Pioniergeist der ersten schweizerischen Piloten fehlte es auch nicht. Eine grössere Zahl der teils als Helden verehrten, teils aber auch als Hasardeure abqualifizierten Piloten holte sich mangels der Entfaltungsmöglichkeiten im eigenen Land die Lorbeeren dann im Ausland, unter anderem in den Balkankriegen von 1912/13.

Simeons zweiter Befund hält fest, dass sich der Bund später überhaupt nicht an die Bestimmungen der Volksspende von 1913 gehalten und einen Teil der Geldes zweckentfremdet habe, indem er es unter anderem in den Flugplatz Dübendorf investierte. Das Ergebnis der Spendenaktion übertraf alle Erwartungen: Angestrebt wurde eine halbe Million Franken, es kamen 1,7 Millionen zusammen. Aufschlussreich sind die Unterschiede in den kantonalen Ergebnissen: Bei einem Pro-Kopf-Durchschnitt von 0,54 Franken lag Basel trotz seiner ablehnenden Arbeiterschaft mit 0,98 Franken an der Spitze, das Wallis mit 0,4 Franken am Ende der Skala. Zürich, wo auch die ablehnende Haltung der lokalen Offiziersgesellschaft ins Gewicht fiel, war mit 0,32 Franken deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Die Trägheit der Reaktion in Bundesverwaltung und Armee kam auch darin zum Ausdruck, dass man auch nach dem Vorliegen der Mittel in der Evaluation viele Monate verstreichen liess, bis man konkrete Beschlüsse fasste. Dies mit der Konsequenz, dass bei Kriegsbeginn keine Flugzeuge vorhanden waren.

Zitierweise:
Georg Kreis: Rezension zu: Christophe Simeon: L’envol manqué de l’aviation militaire suisse à la fin de la Belle Epoque (1910–1914). Neuenburg, Editions Alphil, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 347-349.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 347-349.

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