Cover
Titel
Hexen und Magie. Eine historische Einführung.


Autor(en)
Dillinger, Johannes
Reihe
Historische Einführungen 3
Erschienen
Frankfurt a.M. / New York 2007: Campus Verlag
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Mario Kreuter, Redaktion "Südost-Forschungen", Südost-Institut

An Buchreihen, die sich als einführende Literatur in das Studium der Geschichtswissenschaft und in die Grundtatsachen der Geschichte verstehen, herrscht nicht unbedingt Mangel. Warum also hat sich der Campus Verlag entschieden, eine weitere Reihe aufzulegen? Genau kann der Rezensent diese Frage auch nicht beantworten, aber Johannes Dillingers Buch lässt doch gewisse Rückschlüsse zu. Johannes Dillinger, derzeit an der Brookes University in Oxford lehrend, ist ein ausgewiesener Spezialist auf dem Gebiet der Hexenforschung. Seine Einführung hat er in neun Kapitel und einen kritischen Anhang mit Hinweisen auf Institutionen und Kooperationen, eine Auswahlbibliographie, ein Glossar und ein Personen- und Ortsregister eingeteilt. Schon das Inhaltsverzeichnis macht deutlich, wie Dillinger sich dem Thema nähert, nämlich sehr methodisch. Statt einer chronologischen Aufarbeitung bietet er zunächst thematisch-methodologische Zugänge. Auf eine knappe Enleitung folgt als zweites Kapitel «Magie und Hexerei – Definitionen in Gegenwart und Vergangenheit», und dies ist zu begrüssen, wird dem Leser doch so das theoretische Rüstzeug geliefert, um sowohl den Hexenglauben an sich als auch die Gedankenwelt der Hexentheoretiker und -verfolger verstehen zu können. Dass dabei der problematische Begriff «Aberglauben» besprochen und kritisiert wird, sei Dillinger hier hoch angerechnet. Im dritten Kapitel «Magie und Geisterglauben» werden auch die Strix sowie Nachzehrer und Vampire vorgestellt und im Kontext der Hexengestalt beschrieben. Auch einzelne Verfolger wie Heinrich Kramer, Jean Bodin oder Peter Binsfeld erfahren vermehrte Aufmerksamkeit. Erst die Kapitel 4 bis 8 sind dann eher chronologisch geordnet, von «Voraussetzungen und rechtliche Bedingungen der Hexenprozesse» (Kapitel 4) über «Strukturen und Akteure der Hexenverfolgungen» (Kapitel 5), «Die Opfer der Hexenverfolgungen» (Kapitel 6), «Das Ende der Hexenverfolgungen» (Kapitel 7) bis zum Weiterleben von Magie und Hexenglauben (Kapitel 8). Auch diese Kapitel sind in sich methodischen und sachlich begründeten Fragestellungen verpflichtet und folgen nicht sklavisch der Chronologie der Ereignisse. Dadurch arbeitet Dillinger sehr gut die Mechanismen heraus, denen Hexenjagd und -prozesse folgten, und er nimmt sich sogar die Zeit, Fragen wie der nach der Rolle von Juristenfakultäten im Prozess oder der nach der Finanzierung von Prozessen nachzugehen. Eine Schlussbetrachtung (Kapitel 9) rundet alles ab. Der zeitliche Rahmen, den Dillinger behandelt, umfasst gute 800 Jahre. Er beschreibt nicht nur die Zeit der Hexenverfolgungen an sich, also den Zeitraum zwischen ca. 1430 und 1782, sondern skizziert auch die Entstehung des Hexen- aus dem Ketzerprozess, somit einen Teil hochmittelalterliche Geschichte, und endet seine Darstellung im Hier und Jetzt – afrikanische Hexen, Neopaganismus und Satanismus bilden den Abschluss des Buches.

Bei seinen Ausführungen kann Dillinger auf seine umfassende Kenntnis der Materie zurückgreifen und legt dabei interessante Schwerpunkte. So hat er im 5. Kapitel als Akteure nicht etwa Hexenverfolger wie Peter Binsfeld im Auge, sondern die überschätzte Rolle der Inquisition, die Bedeutung der weltlichen Gerichte und den Verfolgungsdruck aus den Reihen der Bevölkerung, der sich in den westlichen Territorien des Reiches sogar in dörflichen Hexenausschüssen manifestieren konnte. Mit manchmal sehr pointierten Formulierungen geht Dillinger gegen Klischees an und stützt seine Sicht der Dinge stets auf seine eigenen, umfassenden Quellenstudien. Einiges an Quellenmaterial findet der Leser auch im Buch selber zitiert, und weil dies offenbar nicht reichte, gibt es im Internet auf der Webseite des Campus Verlags auch noch ein 31 Seiten umfassendes Quellenkompendium samt Kurzkommentaren als pdf-Datei zum kostenfreien Download, ohne Kaufnachweis oder Passwort. Eine kleine stilisierte Maus zeigt im Buch an, wo sich die Ausführungen Dillingers auf Quellenmaterial dieser pdf-Datei stützen. Welch ein Service, open access einmal anders!

Der Anhang bietet nicht nur ein knappes, aber nützliches Glossar, sondern auch einiges an Links zu Institutionen und Kooperationsprojekten. Besonders freut es den Rezensenten, dass Dillinger auf die Online-Bibliothek zur Magie der Cornell University und auf den Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) und auf dessen Mailingliste verweist. Warum hier ein Hinweis auf das Hexenlexikon fehlt (URL: http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/ lexikon), ist dem Rezensenten nicht klar.

Sehr lobenswert ist ferner, dass sich Dillinger nicht scheut, den Leser mit jenem publizistischen Wahnsinn zu konfrontieren, der die Regale der Buchhändler füllt. «Dummdreiste Reaktionäre und Autoren, die den auflagensteigernden Effekt extremer Meinungen erkannt haben» (S. 114) nennt er die Schuldigen an dieser Misere. So nimmt sich Dillinger den vorgeblichen katholischen Reverend Montague Summers vor, der noch in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Hexen und schwarze Magie als Tatsachen beschrieb, diskutiert einige Verirrungen der psychoanalytischen Hexenbetrachtung und streift sogar knapp die Hexenhebammenthese von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, wobei er sich nicht mit langen Widerlegungen aufhält, sondern auf die ausführlichen Zurückweisungen seiner Fachkollegen verweist und statt dessen die wissenschaftliche Unredlichkeit der Bremer Autoren mit einem markanten Beispiel belegt: Als Gerd Schwerhoff, wohl wissend, dass Otto Steiger Listenmitglied ist, 2005 Heinsohn und Steiger in der AKIH-Mailingliste zu einer öffentlichen Debatte mit zwei Vertretern der historischen Hexenforschung aufforderte, zogen es beide vor, zu schweigen. Als Kontrahenten hatten sich sofort… Johannes Dillinger und der Rezensent gemeldet.

Nimmt man dies alles zusammen, scheint auch die Frage nach dem Sinn einer weiteren Reihe mit Einführungsliteratur zu Themen der Geschichte eine Antwort zu finden. Es geht nicht um chronologische Darstellungen, wie sie sich im Fach Geschichte ja durchaus anbieten, sondern um einen mehr an Sachfragen orientierten Ansatz. Solch ein Vorgehen ist in der Tat zu begrüssen. Vom technischen Standpunkt aus ist das Buch ebenfalls gelungen. Guter Einband, sauberer Druck, augenfreundliches Layout, das alles kann man nur erfreulich nennen.

Was gibt es an Unerfreulichem zu vermelden? Recht wenig, doch sollen die beiden Dinge, die dem Rezensenten nicht gefielen, keinesfalls verschwiegen werden. Zum einen sind die Literaturverweise im Text nicht immer in der Bibliographie auffindbar. So verweist Dillinger auf S. 86 bei der Besprechung der Folter auf «(Nowosadtko 2004)». Doch in der Bibliographie fehlt dieser Name vollständig. Ähnliches gilt für die Literaturangaben auf S. 131: dort wird auf «(Marfarlane 1970; Macfarlane 1978)» hingewiesen; die Bibliographie kannt aber nur ein einziges Werk von Alan Macfarlane von 1970. Ist der ominöse Marfalane eben dieser Macfarlane? Wo aber ist dann Macfarlane 1978 geblieben? Und auch «Levack 1987: 38–40)», zu finden auf S. 66, gibt es in der Bibliographie nicht, nur ein Werk von Brian P. Levack von 1999, allerdings 2. Auflage. Hier hat das Lektorat ganz offensichtlich geschlafen. Zum anderen sind Sprache und Formulierungskunst Dillingers an einigen Stellen einer Einführung nicht ganz angemessen, da die Klarheit der Aussagen leidet. So lehnt er zu Recht die Überbetonung von kirchlicher Misogynie und Hexenverfolgung ab, beendet seine kritischen Ausführungen zu Elizabeth Reis aber mit folgendem Satz: «Dass Reis Misogynie nicht nur in katholischer, sondern auch in puritanischer Tradition entdeckte und hier eine entscheidende Ursache für die Hexenprozesse von Salem erkennen wollte, wird man entsprechend qualifizieren dürfen» (S. 122f.). Hätte man dies für Einsteiger nicht etwas weniger verklausuliert formulieren können?

Nicht verklausulieren muss der Rezensent sein Fazit. Johannes Dillingers Einführungswerk Hexen und Magie ist rundum gelungen. Die Einteilung der Kapitel, der an methodischen Konzeptionen und Sachfragen orientierte Zugang, die sehr schöne Sprache, die insgesamt klar strukturierte Präsentation der einzelnen Themenfelder und nicht zuletzt das online verfügbare Quellenkonvolut, all dies zusammen hat einen Einführungsband geschaffen, der seinesgleichen sucht und sowohl Fachstudenten als auch Historikern anderer Fachrichtungen und sicherlich auch Geschichtslehrern einen umfassenden und tiefschürfenden Einblick in die moderne Hexenforschung gibt. Dem Campus Verlag kann man nur wünschen, weiterhin ein solch glückliches Händchen bei der Wahl der Autoren für seine neue Reihe zu haben.

Zitierweise:
Peter Mario Kreuter: Rezension zu: Johannes Dillinger: Hexen und Magie. Eine historische Einführung (Historische Einführungen, Band 3). Frankfurt a.M. / New York, Campus, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 1, 2008, 200 S. 114-116.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 1, 2008, 200 S. 114-116.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit