S. Berti Rossiu.a. (Hrsg.): Trois siècles d’histoire à Lousonna

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Titel
Trois siècles d’histoire à Lousonna. La fouille de Vidy «Chavannes 11» 1989–1990. Archéologie, architecture et urbanisme. Avec les contributions de Pierre André, Caroline Brunetti, Anika Duvauchelle, Claude Olive, Vincent Serneels


Herausgeber
Berti Rossi, Sylvie; May Castella, Catherine
Reihe
Cahiers d’archéologie romande 102, Lousonna 8
Erschienen
Lausanne 2005: Cahiers d'archéologie romande
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christa Ebnöther

Kernstück der vorliegenden Publikation bildet die Befundvorlage der Ausgrabungen, die 1989/1990 auf einer Fläche von 1800m2 am Fusse des Hügels Bois-de-Vaux im nördlichen Teil Lousanna’s freigelegt wurden (Chavannes 11): In fast einzigartiger Weise liess sich nicht nur die Geschichte eines Quartiers in der Zeit zwischen dem mittleren 1. Jh. v.Chr. und dem mittleren 3. Jh. n.Chr. nachzeichnen, sondern auch der Prozess der Urbanisierung verfolgen.

Ein erster von den beiden Grabungs- und Projektleiterinnen Sylvie Berti Rossi und Catherine May Castella verfasster Teil enthält die weitgehend deskriptive Vorlage der sich in 11 Phasen gliedernden und auf 4 Parzellen verteilenden Baubefunde (S. 26–166), die mit übergreifenden Analysen zur Bautechnik (S. 167–182) und Innenausbau der Gebäude (S. 183–200) sowie zur Wasserver- und entsorgung (S. 201–204) ergänzt wird. Ihm folgt ein interpretativer-architektonischer Teil, der sich mit der Gliederung (S. 207–212), Nutzung (S. 213–222) und Rekonstruktion (Pierre André, S. 223–254) der Hausbauten und Parzellenüberbauungen befasst. In einer Synthese werden die Ergebnisse schliesslich in einen gesamtstädtischen und historischen Kontext gesetzt (S. 257–269).

Während die Keramik — chronologisch relevante Referenzensembles — sowie ausgewählte Gattungen der Kleinfunde dieser Grabung bereits 1999 (Lousonna 9) publiziert wurden, sind diesem Band zwei vicusübergreifende Beiträge zum Metallhandwerk angegliedert (Abfälle: Vincent Serneels, S. 287–302; Werkzeuge: Anika Duvauchelle, S. 303–331). Untersuchungen an osteologischem Material aus augusteischen Gruben (Claude Olive, S. 333–342) und last, but keineswegs least ein Beitrag zum bisherigen Kenntnisstand der eisenzeitlichen Besiedlung Lausannes (Caroline Brunetti, S. 343–370) bilden den Schluss.

Die ersten, um das mittlere 1. Jh. v. Chr. zu datierenden Siedlungsspuren (Phase 1) — über einer Nekropole des 2. Jh. v. Chr. entlang eines hangparallelen Weges angelegte Balkenraster — sind werfen einige Fragen auf: sind sie als Wohnbauten, militärische horrea oder Teil einer latènezeitlichen Befestigungsanlage zu interpretieren — manifestiert sich hier somit ein Nebeneinander im Ausstrahlungsbereich, aktive Einflussnahme (caesarisches Lager) oder Widerstand gegen die römische Präsenz in der nahen Kolonie Nyon. In den unterschiedlich kritischen und gewichteten Diskussionen durch die verschiedenen Autorinnen (S. 27–32 und S. 357–358) kommt klar zum Ausdruck, dass die Frage um die Deutung dieser frühesten Spuren noch keineswegs abgeschlossen ist. Wenn man dabei in Anbetracht der späteren Materialumlagerungen dem formulierten Desiderat, auch die übrigen metallenen Kleinfunde aufzuarbeiten (S. 362), nur zustimmen kann, so wäre auch eine Eintragung der eisenzeitlichen Evidenzen auf einen topographischen Plan — nicht nur für nicht mit den entsprechenden Gegebenheiten Lausannes vertrauten Lesern — als Diskussiongrundlage wünschenswert.

Nicht unwichtig in Bezug auf diese Frage ist die weitere Entwicklung der Bebauung (Phase 2, 40 v.–20 v.), welche die Orientierung und z.T. auch Achsen der frühesten Strukturen übernehmen: entlang des nun etwas breiteren Weges gruppierten sich nördlich des Weges zunächst Pfosten- später auch ein Schwellenbau in zwei von Palisaden umschlossenen Arealen, eine Bebauungsstruktur wie sie aus spätlatènezeitlichen Siedlungen bekannt ist.

Mit Phase 3 (t.p. 20 v. Chr.) wurde der bisherige Weg zu einer 12–13 m breiten Strasse ausgebaut — eine tiefgreifende, sicherlich von übergeordneter Stelle geplante Baumassnahme. Die damit einhergehende neue Überbauung zeigt aber in der Beibehaltung älterer bzw. Festsetzung von Baulinien, die sich in Phase 4 dann auch klar als Parzellengrenzen manifestieren, sowie in den zwar vergrösserten und gegen Norden versetzten Häusern eine grosse Kontinuität. Verständlicherweise zögern die Autorinnen, sie als Streifenhäuser anzusprechen; m. E. handelt es sich eher um eine Bebauungsstruktur, die ihre Wurzeln vielleicht in den älteren Hofarealen hat, und aus welcher sich die mit Phase 4 (t.p. 10/20) etablierten, bis ans Ende des 2. Jh. oder sogar darüber hinaus beibehaltenen Parzellenbebauungen entwickelten: Nördlich der Strasse waren dies mehrteilige, über eine (nicht überdachte) abschliessbare Passage zugängliche Überbauungen mit Fronten von 16 m Breite, die mit auch andernorts bekannten Komplexbauten vergleichbar sind. Südlich der Strasse zeichnet sich eine etwas abweichende Überbauung ab, die vielleicht mit der Terrassenlage und/oder Nutzung der Bauten in Verbindung zu bringen ist.

Bis etwa um 70/80 n.Chr. sind in unterschiedlichem, aber gleichmässigen Rhythmus von 10 bis 20 Jahren verschiedene Veränderungen und Erneuerungen festzustellen (Phasen 5–6. Die dabei festzustellenden «Bewegungen» der Hauptfronten, die vor- und zurückgesetzt wurden, um Portiken zu schaffen oder aufzugeben, bestätigen, dass diese überdachten Passagen entlang der Strasse Teil der Parzelle, des privaten Besitzes, waren.

Abgesehen vom Balkenraster (Phase 1) wurden die Häuser bis Phase 3 als Pfostenbauten mit vereinzelten Schwellenwänden erstellt. Ab Phase 4 erscheinen vermehrt Schwellriegelwände und auf Trockenfundamente gesetzte Ständerbauten; zugleich ist eine erste spezifische Verwendung von gemörteltem Mauerwerk (Stützmauer, Portikus) zu beobachten. Eine systematische Anwendung dieser Technik erfolgte in Form von Sockelmauern erst nach 70/80 (Parzelle A und C, Phase 7) bzw. nach der Jahrhundertwende (Parzellen B und D, Phase 9); gleichzeitig tauchen mit dem Keller (Parzelle C) und den Sodbrunnen neue Elemente auf.

Das Nebeneinander bzw. die zunächst spezifische Anwendung verschiedener Bautechniken liefern insofern eine wichtigen Betrag zu den aktuellen Diskussionen, als dass sie unterstreichen, dass für die Wahl der Konstruktionsweise nicht Know-How, sondern andere Kriterien (Bedarf, Baugrund, Platzverhältnisse) ausschlaggebend war.

Der Ausbau in Stein ging mit einer sich in Richtung Hinterhof ausdehnenden Überbauung einher, ohne dass Grundsätzliches an der Struktur geändert wurde. Einzig bei Gebäude B kam es mit Schaffung grosser Hallen im früheren 2. Jh. (Phase 9) zu einer grundlegenden Umgestaltung. Möglich, dass gleichzeitig der Ambitus zwischen den Gebäuden auf den Parzellen A und B, der aus grabungstechnischen Gründen im Übrigen aber nie nachzuweisen war, geschlossen wurde.

Für das 2. und 3. Jh. (Phasen 9 bis 11) sind kaum Veränderungen zu vermerken, was auf die Verwendung der dauerhaften Fundamente, aber auch auf die schlechteren Erhaltungsbedingungen zurückzuführen ist. Letzteres trifft sicherlich für die jüngeren Besiedlungsspuren des späteren 3. und 4. Jh. zu, die durch die neuzeitliche Überbauung gänzlich abgetragen wurden.

Zur Nutzung der Bauten und Räume liegen nur wenige konkrete Hinweise vor: Wie fast überall ist das Metallhandwerk (Bronze- und Eisenverarbeitung) — mit allerdings nur drei Werkstätten — am besten belegt. Um ein eigentliches Gewerbeviertel kann es sich hier also kaum handeln. Interessant und wert, bei Gelegenheit weiterzuverfolgen, ist dabei der Gedanke an eine Interpretation dieser Komplexbauten als Wohn- und Arbeitsort mehrerer Familieneinheiten. In diesem Sinne bliebe auch zu überlegen, ob es sich bei den repetitiv-gleichförmigen Räumen und Ausstattungen im Westteil von Parzelle B (Phase 8) tatsächlich um strassenabseits gelegene Verkaufslokale/Werkstätten handelte, oder nicht um Unterkünfte anderer «Wohngemeinschaften», worunter auch Gäste fallen könnten.
Kleine Unzulänglichkeiten mehr redaktioneller Art, wozu auch eine bessere optische Hervorhebung und damit Würdigung der wohl wichtigsten Resultate der Ausgrabung — der Entwicklung der urbanen Bebauung — gehört hätte, und das Fehlen von für das bessere Verständnis der Befunde und deren Interpretationen wichtigen Querprofilen tun der hinter der neuen Publikation steckenden Arbeit und ihrem Wert keinen Abbruch: sie hat insgesamt die Erforschung der städtischen Siedlungen nicht nur ein gutes Stück weitergebracht, sondern liefert auch viel Stoff für neue Diskussionen. Un grand merci!

Zitierweise:
Christa Ebnöther: Rezension zu: Sylvie Berti Rossi, Catherine May Castella, Trois siècles d’histoire à Lousonna. La fouille de Vidy «Chavannes 11» 1989–1990. Archéologie, architecture et urbanisme. Avec les contributions de Pierre André, Caroline Brunetti, Anika Duvauchelle, Claude Olive, Vincent Serneels. Cahiers d’archéologie romande 102, Lousonna 8. Lausanne 2005. 392 Seiten, zahlreiche Abb. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 89, 2006, S. 299-300.

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Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 89, 2006, S. 299-300.

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