A. Kirchhofer: Nachhaltige Geschichte.

Cover
Titel
Nachhaltige Geschichte.


Herausgeber
Kirchhofer, André; Krämer, Daniel; Merki, Christoph Maria; Poliwoda, Guido; Stuber, Martin; Summermatter, Stephanie
Erschienen
Zürich 2009: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
397 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

Im Herbst 2009 erreichte der Berner Historiker Christian Pfister mit 65 Jahren das Pensionsalter. Einige seiner Schülerinnen und Schüler am Historischen Institut der Universität Bern konzipierten und realisierten für ihn eine Festschrift, die thematisch an sein wissenschaftliches Werk anschliesst und 20 Beiträge enthält.

Christian Pfister kann auf einen aussergewöhnlichen Werdegang als Forscher und Hochschuldozent zurückblicken. Während seiner Karriere hat er verschiedene neue Forschungsfelder erschlossen und methodisch neue Wege vorgespurt. Bereits mit der Wahl seines Dissertationsthemas setzte er neue Massstäbe. So ignorierte er den Rat eines Berner Professors, der meinte, es sei unmöglich, den Verlauf der Witterung und der Agrarkonjunktur im Mittelland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Genau zu diesem Thema legte er 1974 seine Doktorarbeit vor, die für die Klima- und Umweltgeschichte wegweisend wurde. Zudem bildete sie die Basis für das eigene weitere wissenschaftliche Arbeiten. Die methodische Verknüpfung von Klima-, Wirtschafts-, Gesellschafts- und Bevölkerungsgeschichte war neu und innovativ.

Der interdisziplinäre Ansatz der Dissertation und der Habilitation machten es für Christian Pfister nicht einfach, eine gesicherte Stelle an der Universität zu bekommen und die wissenschaftliche Arbeit weiterzuführen. 1978 bis 1981 verdiente er sein Einkommen als Sekundarlehrer und arbeitete parallel dazu an seiner Habilitationsschrift zum Klima in der Schweiz von 1525 bis 1860. Von 1981 bis 1990 war er als Oberassistent und als nebenamtlicher Professor am Historischen Institut der Universität Bern angestellt. Während seiner Anstellung als Forschungsprofessor des Schweizerischen Nationalfonds von 1990 bis 1996 und als ordentlicher Professor von 1997 bis 2009 am Historischen Institut der Universität Bern war seine Stelle zwar gesichert, er verfügte aber über kein weiteres Personal. Trotz diesen schwierigen Rahmenbedingungen hat sich Christian Pfister dank seiner Beharrlichkeit und seinem grossen Engagement ein internationales Renommee in der Klima-, Umwelt- und Regionalgeschichte sowie in der historischen Demografie erarbeitet. Er ist zudem mitverantwortlich dafür, dass sich die Universität Bern in der Klimaforschung international führend positionieren konnte.

Die Festschrift umfasst vier einleitende Beiträge, die das Wirken und die Person Christian Pfisters würdigen. Sein Mentor, der emeritierte Berner Geografieprofessor Bruno Messerli, schildert die frühe wissenschaftliche Arbeit seines Schülers in den 1970er-Jahren. André Holenstein beleuchtet Pfisters Karriere einerseits als dessen Schüler, der Christian Pfister in den 1980er-Jahren als Student erstmals begegnete, andererseits als Kollege am Historischen Institut der Universität Bern. Ein Anhang mit sämtlichen Publikationen Pfisters und einer Liste der von Pfister betreuten rund 150 Lizentiats- und Masterarbeiten, 26 Dissertationen und zwei Habilitationen dokumentiert das Werk des Gefeierten auf eindrückliche Weise.

Im Hauptteil des Bandes präsentieren Kolleginnen und Kollegen eine breite Palette von Artikeln zu den vier zentralen Forschungsfeldern Pfisters. Das erste Kapitel ist der Klimageschichte gewidmet. Mariano Barriendos berichtet über die historische Klimaforschung in Spanien, Rudolf Brazdil über jene in Europa. Eine Gruppe Forschende des Geografischen Institutes der Universität Bern rund um Prof. Heinz Wanner erläutern mögliche Gründe für die Entstehung der Kleinen Eiszeit zwischen 1300 und 1860. Dennis Wheeler zeigt auf, wie Logbücher britischer Schiffe als Quellen für historische Klimadaten herangezogen werden.

Das zweite Kapitel zum Thema Naturkatastrophen enthält Beiträge von Andrea Janku aus London über Katastrophenerfahrungen in China und von Christof Mauch aus München über Naturkatastrophen und Fortschrittsoptimismus in der Geschichte der USA. Auf dem Hintergrund der aktuellen Klimadebatten gehen Franz Mauelshagen aus Essen und der Berner Historiker Guido Poliwoda aus verschiedenen Blickwinkeln der Frage nach, wie Gesellschaften mit Katastrophen umgingen und welche Lehren sie daraus zogen.

Das dritte Kapitel trägt den Titel Regionalgeschichte und «histoire totale». Beat Brodbeck stellt darin die Onlinedatenbank «Quellen zur Agrargeschichte» vor, die Findmittel zu über 100 Archivbeständen aus der ganzen Schweiz enthält; Hans-Rudolf Egli und Daniel Salzmann zeigen am Beispiel des Berner Seelandes auf, wie Landschaften als historische Quellen genutzt und interpretiert werden können; Daniel Flückiger und Martin Stuber präsentieren anhand zweier personenorientierter Datenbanken neue Möglichkeiten, die sich aus der systematischen Kombination von Struktur- und Akteurdaten einer Region ergeben; Verena Winiwarter aus Wien stellt methodische Überlegungen zur Regionalund Umweltgeschichte als «histoire totale» vor.

Das vierte Kapitel enthält vier Beiträge zur Verkehrs- und Energiegeschichte und zu dem von Christian Pfister postulierten 1950er-Syndrom. Juri Jaquemet und Benedikt Meyer gehen der Entwicklung der Zivilluftfahrt seit dem Zweiten Weltkrieg nach, Ueli Haefeli und Ruth Kaufmann-Hayoz befassen sich gemeinsam mit dem Aufwachsen und der Mobilität von Kindern im Zeitalter der Massenmotorisierung. André Kirchhofer und Jonas Steinmann präsentieren die ordnungspolitischen Paradigmen im Schweizer Eisenbahnwesen seit 1852, die zwischen freiem Wettbewerb und Staatsintervention pendelten. Christoph Maria Merki plädiert in seinem abschliessenden Artikel für eine zeitliche Erweiterung von Christian Pfisters 1950er-Syndrom.

Der Titel der Festschrift Nachhaltige Geschichte ist in doppeltem Sinn zu verstehen. Erstens wirken Christian Pfisters Forschungsergebnisse nachhaltig weiter, sie wurden breit rezipiert und gaben Anstoss zu Arbeiten anderer Personen. Zweitens ist die Nachhaltigkeit eine zentrale Perspektive in den Fragestellungen Pfisters und seines Umfeldes, an der gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen gemessen werden.

Christian Pfister ist auch nach seiner Emeritierung nicht wirklich in den Ruhestand eingetreten. Er ist am Oeschger Zentrum und am Historischen Institut der Universität Bern tätig und hat verschiedene Projekte und nicht verwirklichte Ideen, die hoffentlich noch zahlreich umgesetzt werden können. Auch vonseiten des Historischen Vereins wünschen wir Christian Pfister weitere produktive Jahre in guter Gesundheit. Der Historische Verein des Kantons Bern und die bernische Historiografie profitierten von der wissenschaftlichen Arbeit Christian Pfisters, da dieser mehrfach in den Publikationsreihen eigene Arbeiten veröffentlichte und interessante Beiträge von Schülerinnen und Schülern vermittelte. Zudem waren seine Vorträge im Vereinsprogramm, die er in regelmässigen Abständen zu neuen Forschungsergebnissen hielt, immer ein Gewinn.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Kirchhofer, André; Krämer, Daniel; Merki, Christoph Maria; Poliwoda, Guido; Stuber, Martin; Summermatter, Stephanie (Hrsg.): Nachhaltige Geschichte. Festschrift für Christian Pfister. Zürich: Chronos 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 4, Bern 2010, S. 54-57.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 4, Bern 2010, S. 54-57.

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