Eugen Thierstein (1919 – 2010) wuchs in der Stadt Bern auf und absolvierte hier bei Hans Steiner eine Fotografenlehre. Danach arbeitete er als freiberuflicher Fotograf für Firmen, Privatpersonen sowie Tageszeitungen und Zeitschriften wie die Berner Woche oder die Schweizer Illustrierte. Er stellte die Menschen in ihrem Alltag ins Zentrum seines fotografischen Schaffens und dokumentierte damit das Leben in der Stadt und Region Bern in den 1940er- und 1950er-Jahren. In seinem Nachlass befinden sich zahlreiche Bilder von berührenden Szenen, die sich während des Zweiten Weltkrieges abspielten: Frauen und Kinder bei der Essensverteilung für Arme, Hausiererinnen unterwegs, Glätterinnen in der Leinenweberei Bern, Soldaten beim Bau von Panzersperren oder der Knabe Fredy, der mit seiner kleinen Schubkarre Pferdemist für den Garten einsammelt.
1948 eröffnete Thierstein mit seiner Frau Gertrud an der Amthausgasse ein eigenes Geschäft mit Fotolabor. Die Firma hatte grossen Erfolg und konnte deshalb in den 1950er-Jahren bis zu acht Personen beschäftigen, die mit Firmenautos ausschwärmten, um Fotoaufträge auszuführen. Ein besonders einträgliches Geschäft war das Fotografieren an Hochzeiten, Firmenanlässen, Geburtstagen und Jubiläen. Später verlegte Thierstein sein Geschäft nach Köniz und konzentrierte sich auf die Herstellung von Mikrofilmen für die öffentliche Verwaltung und private Firmen. So stellen seine schwarz-weissen Fotografien aus der Mitte des 20. Jahrhunderts sein wichtigstes Werk dar, das als Zeitdokument und als Einblick in vergangene Zeiten in Bern bedeutend bleiben wird. Glücklicherweise übergab Thiersteins Tochter den Nachlass ihres Vaters 2015 an eine öffentliche Institution, die Burgerbibliothek, wo die Bilder sicher und professionell aufbewahrt werden.
Die Einleitung zum Buch umfasst zwei Texte. Bernhard Giger, ausgebildeter Fotograf, Journalist und früherer Leiter des Kornhausforums in Bern, gibt einen Überblick über Eugen Thiersteins Leben und Werk. Philipp Stämpfli, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Burgerbibliothek, schildert, wie ein Fotobestand erschlossen und digitalisiert wird. Thiersteins Bilder sind in der Online-Datenbank der Burgerbibliothek erfasst. Darin lässt sich ein Teil der digitalisierten Bilder finden und betrachten.
Die Publikation erschien in der Reihe Passepartout der Burgerbibliothek Bern und enthält eine Auswahl von Eugen Thiersteins Fotos. Pro Seite ist ein Bild reproduziert, damit auch die Details gut zur Geltung kommen. Die perfekt eingefangenen Momentaufnahmen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts werden schön und neu inszeniert, was beim Durchblättern viel Freude bereitet.
Zitierweise:
Lüthi, Christian: Rezension zu: Burgerbibliothek Bern (Hrsg.): Eugen Thierstein, Fotograf. Den Menschen im Blick. Bern 2023, https://www.infoclio.ch/de/rez?rid=145971. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 85 Nr. 4, 2023, S. 77 -78.