A. Esch: Alltag der Entscheidung

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Titel
Alltag der Entscheidung. Beiträge zur Geschichte der Schweiz an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit


Autor(en)
Esch, Arnold
Erschienen
Bern 1998: Haupt Verlag
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Carl Pfaff

Arnold Esch, von 1977 bis 1988 Professor für die Geschichte des Mittelalters an der Universität Bern, hat sich mit den Studenten seines Seminars selbstverständlich auch Themen der Berner und der Schweizer Geschichte zugewandt. Die bleibenden Früchte seines Bemühens, bereits an verschiedenen Orten publiziert, hat einer seiner Schüler, der Archivar Vinzenz Bartlome, in dankenswerter Weise zu einem ansprechenden Band vereinigt. Sein etwas rätselhafter Titel verweist den Leser auf die von Esch bevorzugte sozial- und mentalitätsgeschichtliche Perspektive hin, die neue Einsichten in das Denken und Trachten der Menschen am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit verspricht. Seine Fährten führen die Leserschaft weit weg von der einst so bewunder- ten heroisierenden Geschichtsschreibung eines Richard Feller, und zwar gerade auch dann, wenn er sich einem scheinbar längst erschöpften Thema zuwendet, wie etwa im «Berns Weg in den Burgunderkrieg» betitelten Beitrag. Esch geht es nicht um die so genannten «Taten grosser Männer», sondern um den «ganzen, lebensvollen Alltag», in dem die geschichtsträchtigen Entscheidungen fielen. Es geht um das spannungsreiche Zusammenspiel der zufälligen Umstände und kollektiven Einstellungen mit all den subjektiven, oft ganz banalen Faktoren, die das politische Handeln mitbestimmten. Das Ausleuchten der jeweiligen konkreten Situation, ja das Nachempfinden der spe- zifischen Atmosphäre machen uns deutlich, dass der tatsächliche Geschichtsverlauf keineswegs so zielstrebig und von den ersten Akteuren so überlegen gesteuert worden ist, wie man sich gerne vorgestellt hat.

Esch erweist sich in seinen Beiträgen immer aufs Neue als ein ebenso gewissenhafter wie methodenbewusster Forscher, der seine Quellen geschickt befragt und ihnen oft überraschende Antworten entlockt, ohne sich je in vage Spekulationen zu versteigen. Er verzichtet auf den «überhöhten Standort» des Historikers, der «rückschauend immer schon weiss, was sich auf Dauer gewandelt hat». Gleichgültig, ob seine Quellen altbekannte Texte sind, wie Thüring Frickers Schrift vom «Twingherrenstreit» oder die Chronik des Valerius Anshelm im Aufsatz «Wahrnehmung sozialen Wandels in Bern an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit», oder noch kaum beachtete Verhörprotokolle im köstlichen Beitrag «Räuber, Diebe, Wegelagerer», immer entwickelt er seine Erkenntnisse sorgsam aus dem oft genug äusserlich und inhaltlich sperrigen Material heraus und formt es zu anschaubarer Gestalt. Bei alledem lässt er die Leserinnen und Leser am Handwerk des Mittelalterforschers teilnehmen. Ohne schulmeisterliches Gehabe zeigt er den Nichtfachleuten, welche kniffligen Probleme allein schon die Entzifferung der Handschriften bedeutet, oder er macht bewusst, wie sehr die Sprache der benutzten Quellen von zeitbedingten, uns fremd gewordenen Anschauungen geprägt ist, die man erst entschlüsseln muss.

Worin liegt der Gewinn, dieses Buch zu lesen? Eschs Texte enthalten keine Staatsaktionen, sondern lassen uns Menschen begegnen, Menschen aus Fleisch und Blut in ganz verschiedenen biografischen Situationen: ehrgeizige Protagonisten der bernischen Politik, heils- oder weltsüchtige Jerusalem-Pilger, verachtete Aussenseiter der bürgerlichen Gesellschaft. Was zeitlich weit zurück liegt, für immer vergangen und verdämmert zu sein scheint, wirkt plötzlich frisch, farbig und lebensnah. Nie verliert sich der Faden im beliebig Anekdotischen. Die grosse historische Folie mit ihrer ganzen Dramatik tritt zwar zurück, sie empfängt aber indirekt ein neues, vielgestaltiges Relief, indem der Autor bisher unbeachtete Tiefenschichten freizulegen versteht. Das alles kleidet er in eine angenehm fliessende Sprache, die auf jeglichen modischen Jargon verzichtet. Die Lektüre dieser Texte ist darum ebenso bereichernd wie vergnüglich.

Zitierweise:
Carl Pfaff: Rezension zu: Alltag der Entscheidung. Beiträge zur Geschichte der Schweiz an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Bern, Haupt, 1998, 415 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 61f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 63, Nr. 4, Bern 2001, S. 61f.

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